Auslandsdeutsche des Jahres 2023 Manon Zinck-Dambach aus dem Elsass im SB-Interview
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SB: Wie kam es dazu, dass Sie beim Wettbewerb angetreten sind? Welche Erwartungen verbanden Sie damit?
MZ: Die Internationale Medienhilfe hat Kontakt mit mir aufgenommen, um mich aufzumuntern am Wettbewerb mitzumachen. Sie haben mir gesagt, dass mein Profil prima passe und dass es sehr gut wäre für meine Arbeit – wegen der internationalen Sicht in den Medien. Und das war auch der Fall, weil viele Zeitungsartikel über mich geschrieben wurden und es wurden auch ein paar Reportagen gedreht. Ich habe da mitgemacht, weil ich dachte, dass es gut für das Elsass und die elsässische Sprache wäre, so ins Rampenlicht zu gelangen.
SB Sie stammen aus dem Elsass – könnten Sie bitte ein wenig über Ihre eigene Geschichte und die Ihrer Familie erzählen?
MZ: Als ich klein war, wohnte ich in Gundershoffen und ging in die Schule im Nachbardorf Mertzwiller (es sind zwei Dörfer im Nordelsass). Meine Eltern kamen aus Mertzwiller und meine Großeltern wohnten da und haben meinen Bruder und mich gehütet als wir klein waren. Meine Urgroßmutter (mütterlicherseits) war eine Deutsche. Sie hat sich in einen Franzosen verliebt und ist also mit ihm nach Frankreich umgezogen. Auf meiner Vaters Seite habe ich auch deutsche Vorfahren, aber es ist unklar, was für welche, weil es um inoffizielle Kriegsliebesgeschichten geht…
Meine Eltern und Großeltern haben mit mir immer Elsässisch gesprochen als Kind und ich habe Französisch ein bisschen wie eine Fremdsprache in Immersion (Eintauchen, R. G.) in der Schule gelernt. Elsässisch war dann immer eine große Hilfe, um später Deutsch und English zu erlernen. Sprachen haben mich immer interessiert. Ich habe lange Theater gespielt im “Théâtre Alsacien de Reichshoffen Nehwiller” (Elsässisches Theater von Reichshofen-Nehwiller) und jetzt schreibe ich noch Theaterstücke dafür.
Ich habe ein wissenschaftliches Abitur gemacht und dann Germanistik und Pädagogik an der Uni in Straßburg und Colmar studiert. Ich habe auch ein Jahr in den USA verbracht als Französischlehrerin. Ich war fünf Jahre als Grundschullehrerin tätig in zweisprachigen Klassen im Elsass.
2022 hatte ich eine Gelegenheit Elsässischunterricht für Kinder in mehreren Schulen zu geben. Das hat mir gut gefallen und es gab auch eine große Nachfrage nach Elsässischunterricht für Erwachsene. Also habe ich mein Unternehmen “Hafele & Storichele” gegründet, um nur noch Elsässisch privat zu unterrichten. Ich habe meine Figuren Hafele und Storichele erfunden, als ich Lehrerin in Betschdorf (ein Töpferdorf im Nordelsass) war. Hafele ist ein Senfttopf und er hatte seine Deckel verloren. Also hat ihm Storichele geholfen, mit den Kindern und dem Sänger Serge Rieger seine Deckel wieder zu finden. Ich habe diese Figuren also wieder verwendet als Identität für mein Unternehmen. Ich arbeite jetzt mit Schulen, Freizeitzentren, Gemeinden, Vereinen und Museen zusammen, um die elsässische Sprache auf spielerische Weise (mit Theater, Marionetten, Zeichnungen, Spielen, Schnitzeljagd…) weiterzugeben, Ich werde auch ein Bilderbuch mit der Geschichte von Hafele und Storichele machen. Es wird Ende 2024 veröffentlicht und ich habe auch Plüschtiere dazu bestellt.
SB: Sie sind, wie Sie sagen, Deutschlehrerin von Beruf. Mit welchen Herausforderungen haben die deutsche Sprache und der Deutschunterricht zu kämpfen und was waren dabei Ihre Erfahrungen?
MZ: Ich hatte schon beobachtet, als ich studierte, dass Deutsch keinen guten Ruf hat bei den jungen Generationen. Sie haben lieber English oder sogar Spanisch als Fremdsprache gewählt. An der Uni waren wir nur etwa 30 Studenten in Germanistik und dieses Jahr sind es weniger als 10 Studenten! Ich denke, das hat etwas zu tun mit der Globalisierung des Englischen im Alltag (Netflix, Arbeitssprache…). Ich finde es schade, dass wir im Elsass nicht mehr Deutsch lernen. Es öffnet ja viele Arbeitsmöglichkeiten über der Grenze. Zum Beispiel sucht der Europapark immer viele Mitarbeiter, die beide Sprachen können. Vielleicht haben die schwierige Geschichte des Elsass und die verschiedenen Sprachpolitiken auch etwas damit zu tun…
SB: Der Anteil der Muttersprachler bzw. Dialektsprecher ist laut Statistik in den letzten Jahrzehnten massiv gesunken. Inwiefern und wenn ja, wie macht sich das im Alltag bemerkbar?
MZ: Ich glaube, die Generation der aktuellen Eltern versteht noch gut den Dialekt, aber sie haben ihn den Kindern nicht weitergegeben. Wenn ich die Kinder frage in den Schulen, mit wem sie Elsässisch reden, antworten sie: “nur mit den Großeltern”. Man hört noch viel Elsässisch bei älteren Personen, aber selten bei jungen. Die Leute, die meinem Unterricht folgen, brauchen das Elsässische oft für die Arbeit (Restaurant, Geschäfte, Gesundheitsbereich, Altersheime…). Was ich auch schon beobachtet habe in den Familienzusammenkünften: Wenn es eine Person am Tisch gibt, die nicht Elsässisch versteht, sprechen aus Höflichkeit alle Französisch. Im Alltag höre ich auch oft Sprachvermischungen. Die Leute sprechen Elsässisch, dann ein Wort Französisch und wieder Elsässisch.
Der Dialekt ist auch weniger zu sehen im Alltag, auch selten in den Medien. Es gibt kaum einen Platz für Artikel und Sendungen im Dialekt. Was meiner Meinung auch problematisch ist, ist die Weise, wie man mit dem zweisprachigen Unterricht in den Schulen umgeht. Ursprünglich waren die zweisprachigen Klassen da, um den Dialekt zu bewahren. Aber es gibt verschiedene Varianten und keine offizielle Schriftstandardisierung des Dialekts. Also schreibt und spricht man in den Klassen Hochdeutsch, was dem Dialekt nicht hilft. Das ist auch ein Grund, warum ich aus dem Schulsystem raus bin, um den Dialekt privat zu unterrichten. Die Experten sind auch nicht einig über diesen Punkt: Manche wollen den Dialekt vorziehen und manche das Hochdeutsche. Das verursacht meiner Meinung nach viele Debatten (was ja gut ist), aber keine konkreten Aktionen. Und das Elsass ist ja politisch abhängig von dem “Grand Est” (Region, wozu das Elsass gehört, R. G.) und dessen Teil “CEA” (Collectivité Européenne d’Alsace/Europäische Gebietskörperschaft Elsass), die viel Zeit brauchen, um einig zu werden über die Sprachpolitik. Aber ich habe den Eindruck, dass es doch langsam vorangeht…
SB: Welche Auswirkungen hat der Sprachverlust auf die Identität der Elsässer?
MZ: Eine schlechte Auswirkung. Die Sprache ist ja ein Teil der Identität und Authentizität des Elsass. Ich kämpfe, dass die Elsässer stolz und nicht beschämt sind, Elsässisch zu sprechen.
SB: Die kulturellen und wirtschaftlichen (und damit Arbeitsmarkt-) Beziehungen zu den Nachbarländern Deutschland – allen voran dem Land Baden-Württemberg – und Schweiz sind historisch bedingt eng. Gab es Veränderungen diesbezüglich in den letzten Jahren?
MZ: Das weiß ich nicht genau. Ich kenne viele Grenzgängerarbeiter, die zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, aber wenig jüngere.
SB: Wie Sie berichtet haben, sind Sie auch im künstlerischen Bereich als Selbstständige tätig. “Hafele und Storichele” heißt das Projekt, womit Sie Kindern die Elsässer Mundart näherbringen wollen – welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?
MZ: Das ist eine der besten Erfahrungen meines Lebens. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal von dem Elsässischen leben kann. Die Kinder mögen Hafele und Storichele und sind sehr offen. Wenn die Kinder Spaß haben, können sie alles lernen. Es hat mir auch erlaubt Zeit zu haben für meine kreativen Projekte (Theaterstücke, Kinderbücher). Ich bin sehr vielen Leuten begegnet, seit Hafele und Storichele. Es gibt mehr “Elsässisch-Aficionados” (Liebhaber, R. G.), als ich dachte. Ich habe auch den Eindruck, dass ich etwas Nützliches mache für unsere Sprache und Kultur. Ich spüre irgendwie einen Hoffnungswind, weil auch die jüngeren Generationen Lust haben, sich ihre Kultur und Sprache wieder anzueignen. Ich habe immer viele Ideen und Projekte für die Zukunft, nur die Zeit fehlt mir manchmal. Mein Herz ist voller Hoffnung und “Elsässischkeit”.
SB: Frau Zinck-Dambach, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Richard Guth.