Großer Wurf geplant

Tschechischer Staat verpflichtet sich zur deutlichen Erweiterung der Sprachenrechte der deutschen Minderheit

____________________________________________

Von Richard Guth

Das Begehren endete jäh, die Zeit schien 1991 noch nicht reif genug zu sein für den großen Wurf. Man wollte im beschaulichen Krummau/Český Krumlov eine deutsche Schule gründen. Dies rief in der Bevölkerung Germanisierungsängste hervor, obwohl das große Weltbrennen fast ein halbes Jahrhundert zurücklag. Man drohte dem Schulministerium sogar mit einem Bombenanschlag, sollten die Pläne in Erfüllung gehen. 30 Jahre später scheint die Welt eine andere zu sein: Die Gesellschaft ist offener, toleranter geworden. Auch nach dem Eindruck von Martin Herbert Dzingel, dem Präsidenten der Landesvereinigung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik: „Das, was 1991 noch nicht möglich war, erschien 2019 als machbar. Dennoch war ich erstaunt, dass es so glatt lief, ich habe es mir komplizierter vorgestellt.”

Gemeint ist Teil III der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, der vom tschechischen Parlament, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat fast einstimmig angenommen wurde. Dieser enthält weitgehende Sprachenrechte für die deutsche Minderheit in vielen Bereichen wie dem Schulwesen, der Justiz, im sozialen Bereich, in Medien und Kultur. „Wir sind gerade dabei, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten und damit gegen Ende September an die Ministerien heranzutreten, es sind fünf an der Zahl”, berichtet der 49-Jährige. Jeder Bereich verfüge über Experten, die sich regelmäßig in Online-Sitzungen träfen, um auszuloten, was möglich ist.

Großer Wurf geplant

Denn der Wechsel von Teil II zu Teil III der Europäischen Charta stelle nach Dzingel einen großen Wurf dar: Obwohl der Landesvereinigung kein einziger Fall bekannt sei, in dem Angehörige der deutschen Minderheit auf Ablehnung gestoßen seien, beruhe die bisherige Praxis auf freiwilligem Gewähren von Sprachenrechten auf der Grundlage von Quoten. Nun gehe es „in die Tiefe”, es werde verbindlicher: Nach Rücksprache mit den Betroffenen soll das oben genannte Konzept entstehen, das eine Grundlage für die Verhandlungen mit den Ministerien bilden soll. „Dabei genießt das Schulwesen Priorität, aber die Verbesserungen sollen nicht nur den schätzungsweise 40.000-50.000 Angehörigen der deutschen Minderheit zugutekommen, sondern jedem, der die deutsche Sprache anwenden möchte”, so der Deutsch-Muttersprachler aus dem Altvatergebirge nördlich von Olmütz/Olomouc.

Man habe bereits Gespräche geführt mit Schulvertretern, so in Budweis/České Budějovice, Karlsbad/Karlovy Váry, Eger/Cheb, Troppau/Opava sowie in Krummau und dabei Bedarf festgestellt. „Ziel ist der Aufbau von kontinuierlichem Unterricht vom Kindergarten bis zur Hochschule – was jetzt ein Problem darstellt. Es soll an einer oder mehreren Schulen je Gemeinde ein Angebot mit deutschsprachigem Fachunterricht geschaffen werden, wo etwa 50 % des Stundendeputats auf Deutsch unterrichtet werden soll”, so Präsident Dzingel. Man sehe dabei angesichts des allgemeinen Lehrermangels die Herausforderung der Versorgung mit deutschsprachigen Fachlehrern.

Auch in Verwaltung und Justiz soll beispielsweise bei Gerichtsverfahren die Nutzung der Muttersprache möglich sein und es sollen dafür Ansprechpartner eingestellt werden. Auch der deutschsprachige Schriftverkehr soll möglich werden. Die Umsetzung des dritten Teils der Europäischen Charta sei bereits jetzt ein Ergebnis von Kompromissen, denn die slowakische Minderheit habe flächendeckend das Recht ihre Sprache aktiv zu verwenden. Bei den Deutschen habe man sich an den Polen orientiert, die in zwei Kreisen diese Rechte besäßen. Dementsprechend habe man sich dafür entschieden, „traditionelle Siedlungskreise auszusuchen, in den die deutsche Minderheit aktiv ist. Das Ergebnis sind acht repräsentative Kreise, in denen das Modell umgesetzt werden soll”, erläutert Martin Dzingel. Dabei berichtet er von skeptischen Mitgliedern deutscher Vereine im Land, die meinen, dass man große Sachen vorhabe, die so auch aufgrund des hohen finanziellen Bedarfs nicht klappen würden.

Dzingel ist trotz dieser Vorbehalte optimistisch und erwartet Verhandlungen, die wohl Kompromisse verlangen werden. Dabei beobachtet der höchste Repräsentant der Deutschen in Tschechien den kontinuierlichen Rückgang der Nachfrage nach Deutsch an Schulen und einen Vormarsch des Englischen. Die Umsetzung des Teils III der Charta soll dem gewissermaßen ein Stück weit entgegenwirken. Aber auch was anderes stimmt ihn nachdenklich: Die Deutschen schätzten ihre eigenen Nationalsprache nicht genug. „Während wir in Tschechien um den Erhalt der deutschen Sprache kämpfen, findet man in der Bundeshauptstadt Berlin viele Hotels, wo man kein deutschsprachiges Personal mehr findet und oft auch Infomaterialien in allen Sprachen vorhanden sind, nur nicht in der Landessprache. Dies sollte die Regierung so nicht zulassen”, fordert Dzingel.

Beitragsbild: Thomas Ulbricht © Oliver Kremer, sports.pixolli.com

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!