Viktor Guszmann und der „Erste Gau-Ball der Schwäbischen Türkei“ in Fünfkirchen (1939)

Von Krisztina Kaltenecker

Der ungarndeutsche Rechtsanwalt Viktor Guszmann galt im Nachkriegshessen etwa bis Ende der 1950er Jahre als einer der bekanntesten Sozialingenieure und Ethnomanager der Heimatvertriebenen. Doch welche sozialpolitischen Ansichten und Tätigkeiten formten ihn zum Experten der auf die Landschaft bezogenen Gesellschaftsverbesserung? Um diese Frage zu beantworten, wird in der vorliegenden Personalia Viktor Guszmanns minderheitenpolitische Karriere in Südungarn 1933 – 1944 stichpunktartig zusammengefasst.

Jungakademiker-Karriere im Zeichen des Katholizismus und des Konservatismus?

Viktor Guszmann ist 1904 in Wöschendorf/Versend (Komitat Branau) geboren. Als Schüler besuchte er das „Pius“, das Stiftsobergymnasium der Gesellschaft Jesu (Jesuiten) in Fünfkirchen. Gleichzeitig war er Zögling im dortigen römisch-katholischen Jungeninternat „Emericanum“.

Guszmann erhielt vom ungarischen Staat finanzielle Bildungshilfe, weil sein Vater im Ersten Weltkrieg als Honvéd-Soldat gefallen war. 1924 – als sozialpolitisch interessierter Achtklässler – inszenierte er sich im „Pius“ überzeugend als Gegner der marxistischen Sozialisten sowie des „amoralischen Liberalismus“ und tat die von den Sozialisten angestrebte soziale und politische Gleichheit als realiter nicht ausführbar ab. Jura und Politik gab er gleichzeitig als berufsmäßige Interessengebiete an. Das Abitur legte Guszmann noch in demselben Jahr mit sehr gutem Ergebnis ab. Angeblich (nämlich nach Stefan Steyers Erinnerungen) enttäuschte er als Jurastudent – mit seinen (minderheitenpolitisch wohl opportunen) Äußerungen – den damals bedeutendsten politischen Vertreter der Ungarndeutschen, Minister a. D. Jakob Bleyer, schwer.

Beim Wahlkampf im Bezirk Mohatsch 1931 tat er sich als talentierter Redner für Staatssekretär a. D. Vilmos Mihálffy (Regierungspartei Egységes Párt/Einheitspartei) hervor, der sich als Realpolitiker bezeichnete und das politische Programm von Ministerpräsident István Graf Bethlen unterstützte. Gleichzeitig bekämpfte Guszmann das politische Programm der Opposition energisch, in diesem Fall das von Alois Beck (Kleinlandwirtepartei). Guszmanns Aufgabe bestand darin, in den Gemeinden (wie z. B. Sabern/Hercegszabar, Lantschuk/Lánycsók, Kschnaarad/Kisnyárád, Baar/Bár, Schomberg/Somberek, Gürschen/Rácgörcsöny und Ketsching/Cseredoboka) zur ideologisch-politisch einheitlichen Ausrichtung der (deutschen) Männer durch Agitation beizutragen. Selbstbewusst strebte der Jurastudent eine Karriere als Mihálffys Schwaben-Experte und deutschsprachiger Mitarbeiter für Agitation und Propaganda vor Ort im Wahlbezirk Mohatsch an. Sein kühner Karriereplan ging allerdings trotz des Wahlsieges der Regierungspartei im Bezirk Mohatsch nicht auf.

Viktor Guszmann mit Ehefrau in der St. Stephan Siedlung Darmstadt 1948

Viktor Guszmann mit Ehefrau in der St. Stephan-Siedlung Darmstadt (1948)

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Die Teilnahme und Teilhabe an der Anleitung der Produktion einer „Volksgruppe“

Guszmann promovierte 1933 in Rechtswissenschaften an der Juristischen Fakultät der Universität Fünfkirchen. Damals orientierte er sich politisch und karrieretechnisch grundsätzlich neu: Er nahm Fühlung mit dem Volksdeutschen Flügel des Volksbildungsvereins auf. Diese Wende äußerte sich auch darin, dass er als Rechtsreferendar bei Rechtsanwalt Georg Hornung (Fünfkirchen) Beschäftigung suchte. Im Dezember 1933 exponierte sich Guszmann im Wahlkampf um das Landtagsmandat von Willand/Villány dementsprechend für Adam Riesz, den in Seike/Szajk lebenden Kandidaten der oppositionellen Unabhängigen Kleinlandwirtepartei. Es kam gleichzeitig zu den ersten persönlichen Auseinandersetzungen mit der Gendarmerie, zum Beispiel am Tag der Wahlen in Wakan/Vókány. Guszmann gehörte zweifellos der sich sukzessiv ausformenden Volksdeutschen Kameradschaft um Professor Richard Huß und Franz Anton Basch an und wurde von den örtlichen und regionalen Verwaltungsstellen Südungarns als pangermanischer Agitator identifiziert, dementsprechend minderheitenpolitisch auch quasi als „Gefährder“ abgestempelt und ab da stets, unablässig beobachtet. Bereits Mitte der 1930er Jahre fiel er mit Agitation gegen die Namensmagyarisierungen unter den Grenzsoldaten der Branau auf. Bei den Landtagswahlen 1938 engagierte er sich selbstredend (gemeinsam mit den Rechtsanwälten Georg Hornung und Karl Steiner) entschlossen in der Wahlkampagne von Georg Goldschmidt (Wahlkreis Bonnhard).

Guszmann war zudem einer der verantwortlichen Hauptorganisatoren des „ersten Gau-Balls der Schwäbischen Türkei“ am 15. Februar 1939 in den Räumlichkeiten des „Pécs-Budaer Katholischen Kreises der Randstadt“ in Fünfkirchen.

Infolgedessen war er (gemeinsam mit Rechtsanwalt Steiner) direkt mitverantwortlich für die Provozierung eines landesweiten politischen, öffentlich-medialen Skandals. Der „Gau-Ball“ in Fünfkirchen war von der Volksdeutschen Kameradschaft organisiert und noch von der Béla Imrédy-Regierung genehmigt worden. Nach dem Rücktritt Imrédys und der Regierungsbildung Pál Graf Telekis entstand allerdings eine neue minderheitenpolitische Situation. Der „Anschluss“ Österreichs und die in Gang gesetzte Zerstörung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutsche Reich schafften neue Voraussetzungen:  Für einen jeden vernünftigen Menschen war nun allein die Benutzung der (im ungarischen öffentlichen Recht und Kommunalrecht ungültigen und unbekannten) Bezeichnung „Gau Schwäbische Türkei“ selbstverständlich einem unverhohlenen pangermanischen Angriff auf Ungarns territoriale Integrität gleich. Zudem kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den militärisch-martialisch auftretenden jugendlichen „Ordnungskräften“ des Balls und den etwa 13–14 ungarischen Studenten der Universität Fünfkirchen, die die Veranstaltung (ohne Einladung) besuchten. Selbst heute noch wirkt die völlig hemmungslose Vorgehensweise von Basch, Guszmann, Steiner und Co. erschütternd, mit der sie das traditionelle Fest des Schwabenballs entfremdeten und drei Tausend tanzbegeisterte Volksdeutsche zum Zwecke der „Volksgruppenproduktion“ in Südungarn instrumentalisierten und missbrauchten.

Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Untersuchung an, ob es bei der Tanzveranstaltung Indizien für ein „politisches Verbrechen“ gegeben hätte. Manche Rechtsanwälte verlangten von der Rechtsanwaltskammer Fünfkirchen anstatt einer Disziplinarmaßnahme gegen Guszmann eine „Strafe mit abschreckender Wirkung“. Die Wogen des politischen Eklats sollten Anfang Juni 1939 durch einen Schauprozess gegen den Budapester Veterinärstudenten Matthias Huber jun. scheinbar geglättet werden. Zuvor hatte sich der damals 20-jährige Hochschulhörer in einer der Presse zugeschickten Stellungnahme zum verantwortlichen Hauptorganisator des „Gau-Balls“ in Fünfkirchen bekannt. In Wahrheit war Huber jun. eher der Leiter der Aufsichts- und Ordnungskräfte, d. h. der auf dem Ball in „Uniform“ furchteinflößend und teilweise gewalttätig auftretenden „Volksdeutschen Jungkameraden“ und vermutlich reichsdeutschen Universitätshörer. Huber jun. wurde vom Gerichtshof „Fünferrat“ Fünfkirchen schließlich nicht für den Gau-Ball verurteilt, sondern für die „Aufwiegelung“ von Nationalitätenangehörigen in einem Privathaus in Hegyhátmaróc (Komitat Branau) im November 1938. Huber jun. bekam im Juni 1939 (zunächst noch nicht rechtskräftig) sieben Monate Gefängnis, weil er in Marotz/Hegyhátmaróc gesagt habe, dass „hier alles deutsch werden sollte“ und dass „man die Ungarn ausrotten sollte“…

Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass die Rechtsanwaltskammer Fünfkirchen Guszmann als Rechtsanwalt mit Sitz in Petschwar/Pécsvárad erst Ende 1940 in ihre Reihen aufnahm. Der Historiker Loránt Tilkovszky sah in Guszmann die Verkörperung des aggressiven Volksbund-Agitators im Dienste der Dissimilierung. Sich auf Spitzelberichte berufend veröffentlichte Tilkovszky 1966 folgende aus dem November 1940 stammende Zitate Guszmanns, um seine vermeintlich rücksichtslose Dissimilierungsabsicht zu belegen: „Der Volksbund will, dass Ihr wieder Deutsche werdet, mit den Deutschen deutsch sprecht.“ (Warasch/Apátvarasd), „Jetzt ist es noch Zeit, den abgeänderten Namen wieder anzunehmen.“ (Warasch), „Die deutsche Jugend darf in Zukunft keine ungarischen Lieder singen, keine ungarischen Tänze tanzen, keine magyarische Tracht anlegen, sondern sie muss zu den altehrwürdigen deutschen Gesängen, Tänzen und Trachten zurückkehren.“ (Pahl/Nagypall).[1] Ich bin allerdings der Meinung, dass Tilkovszkys zitierte Einordnung zu kurz greift. Es ging dem Volksdeutschen Kameraden Guszmann um viel mehr als um die sprachlich-kulturelle Abspaltung. Er wollte an der Konstruktion einer primären Sozialgruppe – genannt „Volksgruppe“ – in Südungarn leitend beteiligt sein.

Die Beanspruchung und die Inanspruchnahme reichsdeutscher nationalsozialistischer „Hilfen“ und deren Konsequenzen

Um 1941 galt Guszmann in den Augen der politischen Öffentlichkeit der Branau als einer der bekanntesten „Kreisleiter“ des Volksbundes der Deutschen in Ungarn und zwar mit dem Zuständigkeitsgebiet Nordbranau bzw. (kurz darauf) Nordostbranau (mit dem Zentrum Petschwar). Meiner Überzeugung nach mobilisierte und instrumentalisierte er sich selbst in erster Linie für das „Volkswerden“ der Deutschen in Ungarn zum Beispiel unter anderem durch Beanspruchung und Inanspruchnahme reichsdeutscher nationalsozialistischer „Hilfen zur Selbsthilfe“. Die vom Deutschen Reich unterstützten damaligen Autonomiebestrebungen des Volksbundes setzten die wirtschaftliche Autarkie der „Volksgruppe“ zum Beispiel durch ein eigenes Finanzwesen voraus. Zur Geschichte der Errichtung einer volksdeutschen Bank führte der ehemalige „Volksgruppenführer“ Basch in seinem Volksgerichtsprozess 1945 aus, dass zuerst Guszmann den Kreditwesen-Experten der Volksdeutschen Mittelstelle der SS (VoMi) Max Glöckner über die Möglichkeit, die Petschwarer Sparkasse und Bank A.G. zu kaufen, informiert habe. Daraufhin sei sie dann vom Volksbund tatsächlich käuflich erworben und in „Deutsche Sparkasse und Bank Pécsvárad (Petschwar) A.G.“ umgetauft worden.[2] Als „Rechtsberater, Administrateur und Délégué“ war Guszmann 1941–1942 Mitglied in deren Direktorium.

Die damaligen rassisch-nationalen politischen Kreise Ungarns sahen gegebenenfalls in seinem obigen Engagement für die volksdeutsche wirtschaftliche Autarkie in Ungarn sogar eine direkte Bedrohung für die „Ergebnisse“ der Judenverfolgung. Wie der Historiker Norbert Spannenberger einen VoMi-Bericht vom 16. September 1942 zitierend schreibt: „Nach der Einberufung des eigentlich dienstuntauglichen Viktor Guszmann (1942) zur Honvéd erklärte ein Oberleutnant: ‘Die Volksbündler sind nicht nur politische Vorkämpfer, sondern – was gefährlicher ist – wirtschaftlich sehr rege für die deutsche Bewegung in Ungarn. Wir arisieren nicht deshalb, dass an die Stelle der Juden die Schwaben kommen sollen.“[3]

Guszmann diente 1942 als Honvéd-Soldat in Kaschau im Büro des Versorgungsbezirks der Vierten Ungarischen Armee (Fünfkirchen) und wurde dort als einer der aktiven Offiziere behandelt. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Hauptmann Pál Széky.

Es ist wahrscheinlich, dass Guszmann spätestens im Spätsommer/Herbst 1944 als einer der bekanntesten Anführer des Volksbundes zur Waffen-SS einrücken musste oder hätte einrücken müssen. Mit Sicherheit verließ er Ungarn noch 1944 und gelangte nach seiner Flucht nach Hessen in die Nähe Darmstadts, wo seine Verwandten wohnten.

Nach dem Krieg wurde Guszmann in seiner Abwesenheit vom Volksgericht Fünfkirchen am 20. November 1947 wegen Kriegsverbrechens und verbrecherischen Vorgehens gegen das Volk rechtskräftig zum Tode durch Strangulation mit dem Seil verurteilt. Gleichzeitig wurde sein gesamtes Vermögen konfisziert. In allen diesbezüglichen zeitgenössischen Presseberichten wurde das Urteil dadurch begründet, dass er einer der ehemaligen Leiter und Organisatoren des Volksbundes im Komitat Branau gewesen sei. Manche bestimmten ihn auch als einen der ehemaligen Stellvertreter von „Volksgruppenführer“ Basch. Ihm sei vom Gericht besonders zur Last gelegt worden, dass er versucht habe, das ungarländische Deutschtum im Interesse des Deutschen Reichs zu organisieren. Auch sei er ein allgemein bekannter pangermanischer Agitator gewesen – schrieben die gemäßigteren Presseorgane. In den hysterisierenden und hetzerischen Artikeln war zu lesen, Guszmann sei 1944 freiwillig der Waffen-SS beigetreten. Ferner berichteten diese Zeitungen, das Volksgericht sei in seinem Urteil der Argumentation der Staatsanwaltschaft gefolgt, nach der Guszmann als einer der Hauptorganisatoren des Volksbundes für den Tod Tausender Zwangs-Rekrutierter der Waffen-SS im Krieg persönlich verantwortlich gewesen sei. Auch trage er die Verantwortung für das bittere Schicksal von etwa 30.000 von ihm irregeführten Volksbündlern, die zur Strafe gegenwärtig entweder zwangsausgesiedelt oder zur Strafarbeit verurteilt würden. Er habe die Deutsche Sparkasse Petschwar dazu benutzt, die Deutschen zum Beitritt in den Volksbund zu überreden oder gar sie dazu zu zwingen.

Für manche Zeitungsredakteure war es damals (1947) durchaus bekannt, dass Guszmann sich in der US-Besatzungszone Deutschlands aufhielt.

Ein klaffendes Forschungsdesiderat

Im Laufe der Jahrzehnte wurde Guszmanns Person im Volksmund zum nationalsozialistischen Monstrum Südungarns mythisiert. In Wemend/Véménd (Komitat Branau) der 1970er Jahre munkelte man über ihn, dass er nicht nur ein exponierter Volksbündler, sondern sogar ein Spitzel der Gestapo gewesen sei…[4] Die systematische geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung seiner Tätigkeiten in der Volksdeutschen Kameradschaft und im Volksbund der Deutschen in Ungarn blieb bis zum heutigen Tag aus.

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[1] Zitiert nach: Tilkovszky, Loránt: Volksdeutsche Bewegung und ungarndeutsche Nationalitätenpolitik (1938–1941), Teil II, in: Acta Historica, A MTA történelemtudományi folyóirata. Nr. 3–4. Band 12 (1966), Budapest 1966, S. 319–346, hier S. 329

[2] Vgl. Seewann, Gerhard / Spannenberger, Norbert (Hg.): Akten des Volksgerichtsprozesses gegen Franz A. Basch Volksgruppenführer der Deutschen in Ungarn Budapest 1945/46 unter Berücksichtigung der Arbeiten von Friedrich Spiegel-Schmidt und Loránt Tilkovszky. München 1999, S. 82.

[3] Zitiert nach: Spannenberger, Norbert: Der Volksbund der Deutschen in Ungarn 1938–1944 unter Horthy und Hitler. München 2002, S. 323.

[4] Vgl. Thiery, Árpád: Egy csepp tenger. Véméndi változások. II. In: Jelenkor. Irodalmi és művészeti folyóirat. Nr. 5/1970. Pécs 1970, S. 445–453, hier S. 447.

 

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