Umstände und Konsequenzen der Siedlungsgeschichte Kötschings/Kötcse

Umstände und Konsequenzen der Siedlungsgeschichte Kötschings/Kötcse. Die seltsame Siedlungsstruktur (Kötsching 23)

Fassen wir das in unseren vorherigen Fallstudien Gesagte zusammen, ergibt sich folgender Tatbestand: Das Besondere der Besiedlung Kötschings war nicht deren Einmaligkeit. Selbst die Besetzung des Dorfes verlief nicht so, wie es in früheren Beschreibungen dargestellt wurde: Dass nämlich auf einmal, an einem Tag, und so, dass daran alle später in Kötsching auffindbaren Familien teilnahmen. Von wesentlich geringerer Bedeutung war der April des Jahres 1730, sowohl in seinen Dimensionen als auch in der Intensität. Es wurde sichtbar, dass sich die Zu- und Abwanderung auch nach der ersten großen Einwanderungswelle nicht einstellte, sie blieb nämlich in ständiger Bewegung in Gestalt einer langsamen Migration. In der Gutsherrschaft Antal war die Zusiedlung am stärksten, hinsichtlich dessen, dass die in weiblicher Linie der Familie Antal eingeheirateten, größtenteils evangelischen Familien die Religionsfreiheit der protestantischen Leibeigenen achteten. Die Verhältnisse im „Globalen” waren hier besser als bei anderen Gutsherrschaften und die so in ihrer Person wie in ihrer Religion Verfolgten fanden hier gewissermaßen eine „geschützte Zone” vor. Die offensichtlichen Beweise für einen bevorzugten Ort sind, dass die Bevölkerungszahl am Ende der theresianischen Zeit, in den 1770er Jahren, stark zunahm, außerdem, dass diese überwiegend evangelischen Gutsherren den erbitterten Kampf der Kirchengemeinde für den Pfarrer, die Schule und für die selbständige kirchliche Registratur gegen die von dem Wesprimer Bischof Márton Padányi Bíró geführten Religionsverfolgungen sowohl moralisch als auch materiell unterstüzten.

Die Urbarialtabelle der Gemeinde und die Urbarialverträge in den Urbarialdokumenten zeigen den absoluten Durchschnitt, sie sehen im Vergleich mit anderen ähnlichen Verträgen und Tabellen in der Tolnau und der Schomodei so aus, als ob sie nur Formulare gewesen wären. Abweichungen gibt es nur in der Art und Weise der Realisierung. In der Geschichte des Deutschtums der Tolnau taucht manchmal ein klagender Brief an eine Instanz im Komitat auf oder an den Stadtrat, selten genug an den Kaiser; nicht aber in Kötsching, im Komitatsarchiv sind solche Schriften nicht zu finden. Der Klagebrief der Warschader aus dem Jahre 1725 über die Gutsherrschaft Mercy kann als eines der wenigen Beispiele herangezogen werden. In zehn Punkten zusammengefasst strömen die Klagen über die Ungerechtigkeiten, über einen korrupten Gutsverwalter namens Fendrics, wegen der Überbelastungen im Frondienst und sie verlautbaren: Wenn jemand dagegen zu protestieren wagte, so wird ihm gleich der Hidjeßer Kirchenturm gezeigt, und sehr schnell wird der Protest mit Schlägen beantwortet. (Klar und deutlich: Wo der Gott und dessen Statthalter auf Erden, Claudius Mercy wohnen).

In den Darstellungen der Kirchenbücher und örtlicher Aufzeichnungen haben sich die schweren und dürftigen Verhältnisse, in die die Menschen seit ihrer Ansiedlung gerieten, nicht plastisch genug dargestellt. Es darf aber unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen, dass 65 % der erwachsenen Bevölkerung der Kolonistendörfer – wenigstens Kötschings – nicht älter als 40 Jahre alt wurden – wenn sie dieses Alter überhaupt erreichten. Diese Zahl ist in den umliegenden, schon besiedelten Nicht-Pioniergemeinden (Karád, Túr, Csepel) wesentlich niedriger. Ein weithin bekannter Kolonistenausspruch zieht scharfsinnig die Lehre aus dieser tragischen Lage: „Erste Generation Tod, zweite Generation Not, dritte Generation Brot.” Das ungewohnte Klima, die kalten, kontinentalen Winter, die starken Temperaturschwankungen und Dürreperioden erschwerten das Leben der ersten Generationen. Auch die vielen Seuchen verschonten die Menschen nicht, denn Schutz gegen sie gab es kaum. Die Beamten des Ulmer Schwäbischen Kreises hatten oft Angst davor, daß die gelegentlichen Rücksiedler die Cholera einschleppen könnten; zuweilen kam man selbst auf den Gedanken, dass die Rücksiedelung provisorisch hätte eingestellt werden müssen.

Selbst die allgemeine Sicherheit in dem vor kurzem frei gewordenen Lande ähnelte nicht der im Imperium. Anfangs drohte die Gefahr einfallender serbischer Marodeure, später die von in den Wäldern versteckten Fahnenflüchtlingen und herumstreifenden Verbrechern. In den Dokumenten des Gerichtshofes liest man über Fälle, als Leibeigene der Hidjeßer Domäne auf die „lange Fuhre” gingen und nie wieder nach Hidjeß zurückkehrten. Nicht selten bereiteten die wilden Tiere den Kolonisten ernste Schwierigkeiten. Bären und Wölfe waren Anfang des 18. Jahrhunderts noch freilebende wilde Tiere. Ausgehend von Angaben aus der heutigen Slowakei und aufgrund der dichten Bewaldung schätzt man in diesem Raum Transdanubiens durchschnittlich einen Wolf auf drei Quadratkilometer. Der Brief der Warschader bringt im dritten Punkt, dass wilde Tiere verschiedener Art in den Saaten unerträgliche Schäden verursachen; „fressgierige Wölfe brechen in die Dörfer und Höfe ein und verheeren den Geflügelbestand.” Die vielen Probleme der Hidjeßer Gutsherrschaft entstünden auch durch Verwaltungsschwierigkeiten aufgrund der gewaltigen Ausdehnung des Wirkungsgebietes. Die Produktion unmittelbar leitende Faktoren beherrschten die Lage, und wenn einige Punkte der Verträge nicht erfüllt worden waren, so ist dies größtenteils mit der Willkür der Verwalter zu erklären.

Das Herrschaftsgebiet der Antals dehnte sich im Gegensatz zu anderen nicht so weit aus, wodurch die Gutsherrschaft auch viel übersichtlicher war. Es ist daher kein Zufall, dass die Deutschen aus der Hidjeßer Gegend, die einen Ausweg aus ihrer schwierigen Lage suchten, sich eben hierher auf den Weg machten. Die Registrationen unterschiedlichster Art erbringen den Beweis, dass mehrheitlich die seit 1722/23 erwachsene „zweite” Generation den risikoreichen Umzug unternahm, diejenigen also, die noch in Deutschland geboren wurden und als Kinder in die neue Heimat kamen, um hier ihr Heil in Kötsching-Pußta zu versuchen.

Auch wegen seiner klimatischen Verhältnisse war Kötsching begehrt. Dass es vor den starken Nord- und Ostwinden geschützt war, hatte einen entschiedenen Vorteil gegenüber den Gemeinden auf dem Flachland. Die Bäche wie der geschützte Charakter bestimmten die Richtung der Ausbreitung des Dorfes; nicht gegen die Hügelrücken, sondern entlang des sogenannten Mühlbaches im Tal ging die Bebauung des Gebietes weiter in nördliche Richtung. In den ersten Jahren haben die Kolonisten die von den Forschern, unter ihnen auch Heinrich Schmidt, in der Branau vielerorts beschriebenen sogenannten „fränkischen Häuser” gebaut, beziehungsweise hätten bauen müssen – es gibt keinen Beweis dafür und dagegen – späterhin stellten sie sich aber auf das bekannte Schomodeier „Langhaus” mit drei Wohnräumen um, dessen weiterentwickelte Varianten später auch in anderen Ortschaften der Schwäbischen Türkei verbreitet waren und es noch immer sind.

Die Literatur der Siedlungsgeschichte unterscheidet drei Typen der Dorfgrundrisse. Das sogenannte „Straßendorf, in dem aufgrund der vorläufig konstruierten Entwürfe die schnurgeraden Straßenlinien beinahe mit ingenieurmäßiger Exaktheit gestaltet worden waren, alles war geregelt und schien beinahe uniformiert zu sein. Viele Straßendörfer findet man im Banat, wo viele Dörfer gemäß exakter Pläne errichtet wurden. Die andere Variante war das „Taldorf”, das in seiner Bebauung dem natürlichen Verlauf des Tals bzw. des Talbaches folgte. Den dritten Typ bilden die „Haufendörfer”: In diesem Fall gibt es kein eindeutiges Regelprinzip, denn die Leute bauten ihre Häuser in der Reihenfolge, wie sie ankamen, mit krummen Gassen, wodurch ein unübersichtlicher Dorflageplan entsteht.

Alle drei Varianten können in Kötsching sehr gut beobachtet werden. Der Talbaucharakter dominiert, der sich aus der niederen Lage der Dorfmitte ergibt, doch lassen sich die anderen zwei Siedlungsformen gut ausnehmen. Am südlichen Dorfeingang können wir in der Magyar utca (Ungarngasse) die Merkmale eines Haufendorfes gut erkennen, ebenso oder vielleicht noch besser allerdings in den alten Dorfplänen. Ein Abschnitt der Magyar utca und ein großer Teil des Dorfes können als typisches Taldorf bezeichnet werden, die Dorfmitte um die Kis utca (Kleine Gasse) und der Sósdomb tragen Merkmale eines Haufendorfes, das Große- und insbesondere das Kleine Eck jeweils einen Straßendorfcharakter, so dass die Geländeverhältnisse die reine Form mehr oder weiniger modifizierten. Vor allem das Straßensystem des Kleinen Ecks erweckt den Eindruck, dass hier ein „Straßenbaukonzept” vorlag. Auf einem alten Foto, das vom Buchplateau aufgenommen wurde, sieht man eindeutig, dass die drei (!) parallel laufenden Häuserreihen nicht nur wegen der günstigen topographischen Gegebenheiten in gerader Linie angelegt worden sind. Wenn wir die zugrundeliegende Gesetzmäßigkeit der Siedlungsgeschichte in Betracht ziehen, dass Straßendörfer zur Zeit der josephinischen Ansiedlungen typisch waren, und die beiden anderen Varianten ältere sind, so liegt die Vermutung nahe, dass als der älteste Siedlungskem Kötschings der Somfolyó-Bereich in Betracht kommt. Von hier aus erfolgte dann der zweite Schritt der Ausdehnung, nämlich die Besiedlung der Magyar utca (Ungarngasse); wir wissen ja, dass die Ungarn ein wenig früher als die Deutschen gekommen sind. Danach folgte die Bevölkerung der Dorfmitte, dann die zwei „Ecken” am nördlichen Dorfrand irgendwann gegen Ende der 1770er und zu Beginn der 1780er Jahre. Demographische Untersuchungen zeigen auch, dass eben in diesen Jahren ein rasanter Zuwachs in der Bevölkerungszahl zu verzeichnen ist.

Auch der Straßenstrecke Nagysarok (Großes Eck) muss eine gewisse lokale Eigenständigkeit beigemessen werden. Es wird nämlich erzählt, dass früher das heutige Haus Nr. l6 in der Arany János utca die Dorfmitte bildete – das Gebäude diente damals als Wirtshaus oder vielleicht auch als eine Art Gemeindehaus, an dem man die für Wirtshäuser charakteristischen Merkmale noch lange sehen konnte. Die Mauern des ursprünglichen Gebäudes waren auch noch Ende der 30er Jahre voll mit sogenannten Blenden, in denen Weinflaschen gelagert wurden. Der bis heute erhalten gebliebene Keller ist der größte unter jenen, die in dieser Straße in alten Zeiten gebaut wurden: Darüber hinaus soll bemerkt werden, dass er unter das Haus eingehöhlt wurde, was für die Architektur der Gegend nicht typisch ist.

Um das Jahr 1780 konnten die neu angekommenen Kolonisten nur in diesen zwei Straßen Unterkunft finden. Es kann auch angenommen werden, dass sie gar nicht mehr zur alten fränkischen Gruppe aus Hessen gehörten, sondern Bayern waren oder zumindest ein Volk, das irgendeinen bayerischen Dialekt sprach. Diese Erscheinung ist in der Geschichte der Ungarndeutschen häufig zu beobachten; es ist nämlich in den meisten altangesiedelten Dörfern sehr oft so, dass sich eine süddeutsche Schicht auf fränkischem Terrain Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts niederlässt. War das auch in Kötsching der Fall? Bedauerlicherweise hat Kötsching in Folge der übertriebenen Magyarisierung Ende der 1890er Jahre aufgehört deutschsprachig zu sein, sodass eine exakte dialektologische Untersuchung dieser Frage und die damit verknüpfte Entscheidung nunmehr gänzlich unmöglich scheinen. Laut Statistiken lebten 1880 noch 99 Deutsche im Dorf, 1890 nur mehr 9 – diese Daten werden wegen der damaligen Magyarisierungstendenzen manipuliert gewesen sein. 1920 zählte das Dorf immerhin wieder 14 deutsche Einwohner. Immer noch wenig, aber nach Publilius Syrus: „Etiam capillus unus habet umbram suam.“ Auch eine einzige Haarsträhne kann Schatten werfen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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