„Ich bin mit Omega-Frontmann János Kóbor verwandt”

Sohn heimatvertriebener Badeseker Werner Szugfil über Herkunft, Heimatverbundenheit und Familienverbindungen

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Von Richard Guth

„Also um den ersten Teil der Frage zu beantworten: Ja, ich bin stolz auf meine Stadt Schwerte: Hier bin ich geboren, hier werde ich sterben. Hier bin ich 1956 geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe viele Freunde hier und in der nächsten Umgebung, habe hier geheiratet und mein Bruder, der Letzte aus dem engsten Familienkreis, lebt auch hier”, so die Antwort des 67-Jährigen aus der 50.000-Einwohner-Stadt am Rande des Ruhrgebiets. Aber warum interessiert sich das Sonntagsblatt für den stolzen Bürger einer nordrhein-westfälischen Kommune? Die Antwort liefert die Facebook-Seite von Werner Szugfil, die voll von ungarndeutschen Bezügen ist: alte Familienfotos, geteilte Beiträge oder Kommentare zu ungarndeutschenbezogenen Artikeln.

„Jedoch haben Ungarn und vor allem Badesek/Bátaszék für mich eine besondere Bedeutung: Je älter ich werde, umso stolzer bin ich auch ein Ungarndeutscher zu sein. Denn meine Eltern stammen beide aus Badesek – ebenso meine Großeltern, meine Verwandten und alle Bekannten meiner Eltern. Es kamen durch die Flucht und die Vertreibung ca. 60 Ungarndeutsche hier in Schwerte an. Die Badeseker Männer waren alle Maurer und zogen hier an den Rand des Ruhrgebiets. um die Schäden des Krieges zu beseitigen. Arbeit bedeutet Geld und Sicherheit. Gekommen sind die Badeseker ca. 1948/1949 – kann auch 1950 gewesen sein. Das ist leider nicht mehr herauszufinden”, ergänzt Werner Szugfil und gibt gleich einen Einblick in die Vertreibungsgeschichte seiner Familie, die Teil seiner Identität bildet. In die Jahre 1960-67 fiel die Sesshaftwerdung der vertriebenen Badeseker in der neuen Heimat Schwerte: Sie bauten nach Szugfils Angaben eigene Häuser, dabei „half jeder jedem unter dem Motto: Hilfst du mir X-Stunden, helfe ich dir X-Stunden”. Werner Szugfil wuchs mit der schwäbischen Mundart von Badesek auf, er verstehe und spreche sie bis heute. „Nur Ungarisch beherrsche ich lediglich ein paar Brocken, um nicht zu verhungern”, ergänzt er schmunzelnd.

Ich bin mit János Kóbor 2 Werner Szugfil

Zuerst fuhr er im Jahre 1971 mit 15 mit den Eltern nach Ungarn – „es war für uns Kinder ein Abenteuerurlaub” – von da ab regelmäßig. Im Mittelpunkt der insgesamt 20-25 Fahrten standen nach Werner Szugfils Angaben Besuche bei den Verwandten: „Leider sind die meisten verstorben, nur noch wenige gibt es in Badesek. Eine Großcousine lebt in Woltersdorf bei Berlin, zu ihr habe ich häufigen Kontakt. In Badesek selber habe ich Kontakt über Videocall (Videoanruf, Red.) zu meinem Cousin, sonst informiere ich mich über die sozialen Medien, was in Badesek so passiert.” Und noch etwas treibt den 67-Jährigen um: „Ich habe durch meine Stammbaumrecherche Kontakte zu Ungarndeutschen gefunden, so wie bei Nándor (Frei, Red.) und z. B. Klara Burghardt.”

Die Familienforschung förderte einige interessante Details der Familiengeschichte zutage: Recherchen haben ergeben, dass die Vorfahren Szugfil (ursprünglich wohl Szügfill) ca. 1726 aus dem Fränkischen nach Ungarn kamen, um – dem Aufruf des Königs Karls folgend – Ungarn wieder aufzubauen und die verbrannte Erde der Türken zu beseitigen. Weitere Ahnen heißen Dirnbach, Ruff und Göbelt. Der interessanteste Zweig der Familie – die Ruffs (dazu später mehr) – wanderte laut Forschungsergebnissen vor 1792 ein, aber mehr habe der Hobbyfamilienforscher nach eigenen Angaben nicht herausgefunden. Was feststeht: „Auf jeden Fall war mein Vater das Kind von Josef Szugfil (geb. 1911) und Margarethe Szugfil (geb. 1912), geb. Ruff. Meine Mutter war eine geborene Göbelt, der Vater hieß Johann Göbelt (1913-1945) und die Mutter Theresia Göbelt, geb. Dirnbach (geb. 1915). Meine Eltern kannten sich schon aus Badesek, waren zusammen auf dem „Tanzboden” – sonntags. So wurde es mir erzählt.”

Johann Göbelt und seine Familie lebten ab 1939/1940 in Dortmund, ca. 15 km von Schwerte entfernt, er war Ofenbauer vom Beruf. In diesen Jahren wurde Dortmund immer mehr zur Zielscheibe der Bomber, zumal die Wohnung in der Nähe eines Bahnhofs lag. Wegen der heftigen Bombardements entschloss man sich, so Werner Szugfil, wieder nach Badesek zurückzukehren, da man annahm, dass es dort friedlicher sei. Das sei aber ein großer Fehler gewesen: „Meine Großmutter mit den beiden Mädchen kamen in Badesek an und sprachen fast kein Wort Ungarisch, mein Großvater kam nach und wurde 1944 zwangsrekrutiert in die Waffen-SS. Durch den Einmarsch der Russen ist meine Großmutter mit den beiden Mädels und einigen Verwandten geflohen, denn wenn herausgekommen wäre, dass mein Großvater bei der SS war, wären alle erschossen worden. Bei der Flucht kam es in Badesek zu einem Kuriosum: Meine Mutter hat am Tag ihrer Abreise ihren Vater letztmalig gesehen, er war am Bahnhof, sprang in den Zug und konnte sich nicht verabschieden. Er hat aber noch auf Badeseker Gebiet den Zug wieder verlassen. Wäre er mal in Dortmund geblieben, denn er starb qualvoll in der heutigen Tschechei, wir haben von der Kriegsgräberfürsorge den Platz genannt bekommen”, erinnert sich Werner Szugfil an das Kriegs- und Nachkriegsschicksal der Familie.

Nach einigen Wirren und Hin und Her landeten sie schließlich in Dudenhofen/Speyer (heute Rheinland-Pfalz), wo die Großmutter verstarb und sich die Tante nebst Familie niederließ. Es stellt sich die Frage, wie die Mutter Werner Szugfils zu seinem Vater nach Schwerte gelangte. „Mein Vater fuhr mit einem Badeseker am 10. 09. 1953 – an diesem Tag war die Beerdigung meiner Großmutter – auf dem Motorrad von Schwerte nach Dudenhofen, es war sehr kalt und regnerisch. Der Freund meines Vaters wollte wegen der Cousine meiner Mutter dorthin und mein Vater fuhr mit um meine Mutter wiederzusehen, Die war damals 18 Jahre. Na ja, dadurch dass es sehr kalt war und die Jungs ausgefroren waren, tat Schnaps sein Übriges. Auf jeden Fall haben meine Eltern dann 1954 hier in Schwerte geheiratet.” Aber die Geschichte der Familie des Vaters zeugt von großen Veränderungen innerhalb weniger Jahre. Sie gehörte nämlich zu dem Kreis vertriebener Badeseker, die 1946/47 ihr Haus räumen und Hab und Gut zurücklassen mussten. Über diverse Stationen kamen sie nach Schwerte, es war ihnen noch ein langes Leben gegönnt: Die Großmutter starb 1989, der Großvater vor 21 Jahren im Alter von 91 Jahren.

Aber wie ist es nun mit der Verwandtschaft mit dem ehemaligen Omega-Frontmann János (dann wohl Johann) Kóbor, will ich zum Schluss wissen: „Wie oben schon mal erwähnt, ist meine Großmutter eine geborene Ruff. Georg Ruff war János’ Großvater. Georg war auch der Großvater meiner Oma. Ich habe aber János Kóbor nie persönlich kennen gelernt, der wusste vermutlich auch nichts von mir.” Aber eines verband die beiden doch: Auch Kóbor verbrachte laut Wikipedia-Lebenslauf seine Schulferien bei der schwäbischen Verwandtschaft in Badesek. Einst schrieb Johann Kóbor über seine Herkunft so: „Unter meinen Ahnen gab es Österreicher, Sachsen, Schwaben und wer weiß, was für Germanen noch – „Kóbor“ ist wohl ein Umschreiben von „Cobourg“. Auf Seiten der Großmutter mütterlicherseits gab es auch Lehrer und Priester in der Familie. Die väterliche Linie mütterlicherseits war bäuerlich, mein Großvater war auch Landwirt. Diese Großeltern wurden als schwäbische Kulaken 1946 in Viehwaggons nach Westdeutschland vertrieben.”

So schließt sich der Kreis von Werner Szugfil zu Johann Kóbor.

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