Von San.-Rat Dr. Johannes Angeli
Epilog
Genau wie am Anfang (siehe Vorwort) dieses nun doch umfangreich gewordenen Rückblickes auf acht Lebensjahrzehnte eines Ungarndeutschen inspirierte mich eine Frage meines Sohnes – inzwischen im Mannesalter – zu tieferem Nachdenken. Ja, was soll ich ihm denn antworten auf seine Frage: „Wo und was ist denn nun eigentlich Deine Heimat?”
Gibt es bei dieser meiner und ähnlicher Vita von Vertriebenen und Geflohenen unserer Zeit eigentlich DIE Heimat? Für uns gibt es eigentlich nur Orte, die für unseren Lebensweg markant und bestimmend waren: Orte, wo wir geboren wurden und unsere frühe Kindheit verbrachten; Orte, wo wir aufwuchsen und zur Schule gingen; Orte, wo wir unseren Beruf ergriffen, Familien gründeten und Freunde fanden oder gar die Orte, in denen wir nach persönlichen und gesellschaftspolitischen Entscheidungen schließlich unser endgültiges Zuhause fanden.
Dieses Zusammenfließen der Lebensereignisse schaffen eben diese Mehrschichtigkeit und dieses differenzierte Bild, das wir in der heutigen Zeit mit dem Wort „Heimat” verbinden müssen.
In unserer globalen, wirtschaftlich immer weiter zusammengewachsenen Welt werden wir wohl unsere Nationalitäten bewahren, aber uns vom klassischen Begriff „Heimat” immer weiter entfernen. Wir werden Bewohner sein von Regionen und Ländern, Bewohner von Erdteilen – aber in so mancher Großstadt unseren Wohnungsnachbarn leider nicht mehr kennen.
So wird es auch für mich die klassische Heimat, wie man sie früher verband – „hier geboren, gelebt und gestorben” – nicht mehr geben, geschuldet vor allem den politischen, gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklungen, die mir teils aufgezwungen wurden, die ich aber teils selbst gewählt habe.
Zurückblickend habe ich eigentlich zu allen geschilderten Orten, die meinen Lebensweg entscheidend bestimmten, „Heimatgefühle” gemäß meines damaligen Lebensabschnittes, also überall eine „Teilheimat”.
Somit fühle ich mich keinesfalls ohne Heimat oder gar heimatlos. Ich füge meine Teilheimaten zu einem Ganzen zusammen und habe so eine bunte, weite Heimat mit vielen Eindrücken und Erkenntnissen gewonnen, die mir in der Heimat alten Stils sicher verwehrt geblieben wäre.
Dennoch – man kann es drehen und wenden, wie man will – war Ungarn für mein Leben von Anfang an ein zentraler Fixpunkt und ist es über die Jahrzehnte auch geblieben, zumal – und hier schließt sich der Lebenskreis – die Vertreibung aus Ungarn 1948 mit der Flucht über Ungarn 1989 in die BRD seinen schicksalhaften Höhepunkt und Abschluss fand.
Auch wenn ich heute ein bewusster, der deutschen Nation zugewandter Deutscher bin, vielleicht weil es meine Vorfahren auch immer waren, ist mir das Schicksal und der Weg Ungarns bis in mein Alter hinein nie gleichgültig gewesen – und das wird immer so sein, so lange ich lebe.
Deshalb besorgt mich heute, dass Ungarn wieder in sein nationalistisches Denken zurückfällt, was schon über Jahrhunderte dem Land und seinem Volke nur Unglück, Krieg und Leid, speziell den einfachen Menschen, gebracht hat. Wann werden die verantwortlichen Politiker aus der Geschichte lernen?
Durch das Europa der Völker – durch die EU – öffnen sich doch jedem Bewohner Ungarns, ob deutscher Abstammung oder Madjare, ungeahnte Perspektiven. Die Wirtschaft hat es begriffen, die z. Zt. führenden Politiker Ungarns noch nicht.
Bleibt nur die Hoffnung, dass die ungarische Nation und die EU verständnisvoller zueinanderfinden zum Wohle Ungarns und ganz Europas und damit auch zum Wohle meines Dorfes Isszimmer sowie aller Ungarndeutscher, wo auch immer sie heute leben.
Es war nicht immer einfach, in seinem Leben so weit zurückzublicken, in manchem auch schwer und psychisch oft sogar belastend. Einige Ereignisse haben sich auch stärker im Gedächtnis fixiert und für den weiteren Lebensweg geprägt, andere fielen, mehr oder weniger bedeutend, dem Vergessen anheim, was sicher auch gut so ist, um unbeschwert den weiteren Lebensweg gehen zu können.
Ziehe ich ein Resümee über meine wichtigsten schriftlichen Bemühungen während meines Lebensweges, war für mich meine Promotionsarbeit vor 58 Jahren eine Aktivität, der ich mich zum erfolgreichen Abschluss meines Studiums verpflichtet fühlte, sowie meine über 55-jährigen Nachforschungen über meine Ahnen, die dem Interesse für die Herkunft und den Verbleib eines großen Isszimmerer Familienstammes geschuldet waren, während diese umfangreichen Erinnerungen an so viele Jahrzehnte meines Lebens ein Eintauchen und einen Rückblick, ja auch eine innere Verarbeitung meines Lebens darstellen.
Schließen möchte ich rückblickend über all die Jahrzehnte meines Lebens mit der Erkenntnis und Zuversicht aus einem Gedicht des deutschen Dichters und Dramatikers Bertold Brecht (1898-1956) zitieren:
Was geschehen ist, ist geschehen. Das Wasser
Das du in den Wein gossest, kannst du
Nicht mehr herausschütten, aber
Alles wandelt sich. Neu beginnen
kannst du mit dem letzten Atemzug.
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Suchanzeige – neuester Stand der Ahnenforschung (24. 2. 2023)
Franziscus Xaverius Angele, der Stammvater aller Angele/i von Isszimmer/Isztimér, wurde am 06. 11. 1730 in Sulmingen bei Biberach geboren. Als Eltern sind Joannes Georgius Angele und Catharina Nüsser/Niesser im Kirchenbuch angegeben. Deren Heirat und sonstige Daten konnten im Ursprungsgebiet aller Angele/i bisher nicht gefunden werden, vor allem die Anbindung an die dortigen bis 1405 dokumentierten 16 Angele-Hauptstämme des Risstales. Erbitte Hinweise unter johannes-angeli@gmx.de.