Kirmes einst und heute

Kirmes einst und heute

Jedes Jahr feiert die örtliche Kirche ihren Namenstag, besser gesagt den Tag ihres Schutzheiligen und Namensgebers. An diesem Tag bzw. an dem darauffolgenden Sonntag wird dieses Ereignis festlich im Rahmen einer Heiligen Messe gefeiert. Der Tag heißt Kirmes oder Kirchtag in Österreich, in Ungarn heißt er “búcsú”, ins Deutsche übersetzt „Abschied“. Der ungarische Begriff ist ein bisschen irreführend. Wovon sollte man „Abschied nehmen“? Vielmehr ist dieser Tag der kirchlichen Gemeinde gewidmet.

Als Kleinkind (in den 1990er Jahren) durfte ich diese Feierlichkeit auch in ihrem vollen Glanz erleben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie meine Eltern und ich ins Auto stiegen und ich es kaum aushalten konnte, bis wir bei unseren Verwandten angekommen waren. Ich war sehr aufgeregt, weil ich meine liebsten Verwandten traf und natürlich ahnte, dass ich etwas auf der Kirmes bekommen würde. Dann bin ich „groß geworden“ und irgendwie ist der Kirchtag in Vergessenheit geraten. In den Ortschaften, in denen ich als Kleinkind feiern konnte, ist kaum etwas von dieser Tradition geblieben. Heutzutage sieht man meistens nur wenige Stände, und es geht um den Verkauf von überteuerten Spielzeugen. Viele kennen den Ursprung der Kirmes auch nicht mehr.

Einst feierte man diesen Tag mit einer Heiligen Messe und einem festlichen Mahl zu Hause, zu dem die ganze Familie eingeladen war – sowohl die näheren als auch die weiteren Verwandten. Die Dorfbewohner trafen schon vor der Kirchweih sämtliche Vorbereitungen. Vor allem das Haus und die Stuben wurden ordentlich geputzt, damit die Verwandten die Ordnung im Eigenheim loben konnten. Es wurde gebacken und gekocht. Bis in die 1950er Jahre haben sich einige Bräuche von den alten Traditionen erhalten: Vor allem wurde in manchen ungarndeutschen Dörfern eine Flasche Wein vergraben und im Folgejahr wieder ausgegraben und verkostet. Es wurde auch ein Kirchweihbaum aufgestellt. Für die Kirmes waren die sogenannten Kirchweihburschen verantwortlich, die die lustigen Spiele am Kirchtag vorbereiteten und gegebenenfalls veranstalteten; die aufkommenden Kosten mussten sie auch selbst tragen. Diese sammelten sie durch Spenden wieder ein. Falls die Kosten höher als die gespendeten Summen waren, beglichen sie die Rechnung aus der eigenen Tasche. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Bedeutung der Kirchweih und sie hat an Bedeutung verloren. Einerseits wurden die Einheimischen vertrieben, andererseits spielte Religion eine untergeordnete Rolle im Sozialismus.

Ich durfte die richtige Kirchweih aber dennoch dank der Erzählungen meiner Oma aus ihrer Kindheit (in den Jahren 1950–60) in meinen Gedanken miterleben. Damals gingen die Familienmitglieder mit den Kindern auf die Kirmes oder auf den Kirchplatz. Dort standen Stände (Geschenkstände, Naschbuden etc.), die die Kinder anlockten. Sie erhielten natürlich etwas Tolles von den Verwandten. Nicht nur ein Geschenk oder etwas Leckeres war auf der Kirmes zu kaufen, sondern es gab auch ein Karussell zum Vergnügen. Jeder wollte natürlich eine Runde fahren. Die Augen der Kinder funkelten vor Freude und dieser Tag war besonders – für sie und für die Familie. Von diesem Tag war die Blaskapelle auch nicht wegzudenken. Die Heilige Messe wurde ebenso wie die Kirmes von der örtlichen Kapellenmusik begleitet. Bis 15 Uhr spielte die einheimische Kapelle auf der Kirchweih und anschließend zog sie mit ihrem Umzug ins Wirtshaus, wo ein Ball veranstaltet wurde. Dort trafen sich Jung und Alt und ließen den Tag und die Feldarbeiten bei Tanz und Musik ausklingen. Die Kirchtage fanden meistens im Sommer statt, da es sich mit den Namenstagen der Schutzheiligen der Kirche so ergab. Nicht nur das war ein Grund für die Kirchtagswahl, sondern auch der jährliche Ablauf der landwirtschaftlichen Arbeiten und die Fastenzeiten in der Kirche wurden berücksichtigt. Im Frühling vor Ostern war eine Kirmes undenkbar, obwohl manche Schutzpatrone der Kirche im Frühjahr ihren Namenstag hatten. Aufgrund der Feldarbeiten war ein Kirchtag nicht möglich, deshalb hielten die Dorfbewohner die Kirmes zu einer späteren Zeit, meistens im Herbst. Diese Tradition hat sich ebenfalls nicht erhalten.

Ich lebe seit zwei Jahren in Österreich, wo man auch den Kirchtag feiert. Diese Feier berührt mich sehr. Von dem damaligen feierlichen Glanz ist dort ebenfalls nicht viel geblieben. Es gibt wie gewohnt eine Heilige Messe, an der sich aber nur wenige beteiligen. Die Kirchengänger sind meist in Tracht gekleidet, es gibt noch Stände um die Kirche herum und Imbissbuden. Dabei werden das Essen und der Kirmesbesuch von einer Blaskapelle begleitet. Dann drehe ich die Zeitachse in meinen Gedanken zurück und stelle mir vor, wie damals meine Ahnen – etwa meine Uroma – die Kirmes gefeiert haben.

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