Enkel führt ortsgeschichtliches Projekt seines Großvaters fort
Von Zeit zu Zeit bescheren uns engagierte Ortshistoriker mit kuriosen Sammlungen. Das im Sommer 2025 erschienene Heimatbuch mit dem Titel „Ein Überblick über mein Geburtshaus“ von Stefan Müller (1932 – 2017) führt wie ein Fotoalbum durch vergangene Zeiten, teilweise nicht mehr stehenden Gebäuden und einst dort gelebten und noch immer dort lebenden Familien von Wakan/Vokány in der Branau. Zwar durfte Müller die Entstehung eines Buches aus seiner Sammlung leider nicht mehr miterleben, wurde sein heimatgeschichtliches Projekt erfreulicherweise von seinem Enkel weitergeführt. Dénes Gyúró ist Informatiklehrer an einer Grundschule in Fünfkirchen und beschäftigt sich in seiner Freizeit mit der Betreuung des Nachlasses seines Großvaters. Große Arbeit nahm Müller mit der Sammlung auf sich: Es sollten alle in Wakan vor dem Zweiten Weltkrieg im Dorf gelebten Familien aufgelistet und wo möglich, mit Originalfotos der Personen und Wohnhäuser dokumentiert werden. Wohlgemerkt war Wakan vor dem Zweiten Weltkrieg mehrheitlich von Deutschen bewohnt: Bei der Volkszählung 1941 bekannten sich um die 90% der damaligen 1670 Einwohner zum Deutschtum, beim letzten Zensus 2022 sehen wir jedoch nur eine Einwohnerzahl von knapp unter 800 Personen insgesamt, von denen sich nur um die 10% als Angehörige der deutschen Minderheit bekannten. Dramatisch ist dieser Rückgang, der vor allem historischen Ereignissen wie der Verschleppung zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion, noch mehr der Vertreibung der Deutschen aus Wakan nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch der Abwanderung in der Nachkriegszeit zu verschulden ist, und deshalb ist die Arbeit der Autoren umso wichtiger und wertvoller. Dénes Gyúró berichtete dem Sonntagsblatt über das angenommene Erbe und die Entstehung des Bandes.
SB: Herr Gyúró, was wussten Sie über die Sammlung Ihres Großvaters, bevor Sie mit der Arbeit begannen?
DGY: Ich wusste über diese Sammlung Zeit meines Lebens Bescheid, als Kind hat mich das aber gar nicht interessiert. Als wir einmal alle an Weihnachten bei meiner Großmutter in Wakan waren, hat sie dann wieder einmal von der Verwandtschaft erzählt, wer wie heißt, und ich wusste, die Zeit war gekommen, einen eigenen Familienstammbaum zu machen, alleine schon wegen meinen Töchtern, denen ich das weitergeben möchte. Das hat dann bestimmt gute zwei Jahre gedauert, alle Daten und Namen zu überprüfen. Der Name Müller ist ja auch nicht so selten. Und als ich dann damit fertig war, habe ich damit begonnen, mich mit dem Material von meinem Großvater zu beschäftigen, denn ich wollte noch einige Daten abklären und ging davon aus, dass ich in seiner Sammlung noch Informationen finden werde. Das war während der Covid-Pandemie. Ich habe dann in der Familie rumgefragt, bei wem das Ganze gelandet ist und habe dann vier große Aktenordner bekommen, in denen alle Archivfotos und Kopien akribisch mit den Notizen meines Opas drin waren und auch Diafilme gab es, drei Kartons, vor allem aus den 1970er Jahren, dann noch alte Fotos, Familiendokumente, alles war dabei. Naja, und so kam es dann, dass ich damit begonnen habe. Sieben Jahre habe ich bisher insgesamt mit dem Material gearbeitet.
SB: Der Nachlass Ihres Großvaters landete in den besten Händen, könnte man nach der Erscheinung dieser recht üppigen Sammlung in Druckform meinen. Was hat Sie dazu bewegt, diese Arbeit fortzuführen und schließlich in Buchform zu veröffentlichen?
DGY: Es hat mich sofort begeistert und als Enkel fühlte ich mich dazu verpflichtet zu Ende zu bringen, was mein Großvater begonnen hat, denn es ist ja eigentlich sein Lebenswerk. Mein Großvater, Stefan Müller, hat die Grundschule in Wakan besucht, kam dann nach Fünfkirchen, studierte zunächst Wirtschaftswissenschaft, wechselte aber schnell zum Lehramt, wurde Geographie- und Kunstlehrer und zuletzt stellvertretender Direktor der Wakaner Grundschule. Er war ein begeisterter Pädagoge, mochte die Arbeit mit Kindern sehr und war im ganzen Dorf beliebt. Er kannte ohne Zweifel jede Familie im Dorf, viele hat er ja auch selber unterrichtet und kannte auch viele von außerhalb. Zeitlebens beschäftigte er sich leidenschaftlich mit der Geschichte seines Heimatdorfes, vor allem mit der Zeit der Vertreibung der Deutschen. Jahrzehnte lang sammelte er Erinnerungen, Stammbäume, alte Dokumente und Lebensberichte der Dorfbewohner in der Hoffnung, all dies eines Tages mit der Nachwelt teilen zu können. Leider schaffte er es nicht mehr, ein Buch daraus fertigzustellen. Er wollte damit die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, das deutsche Wakan festhalten, dass es heute nicht mehr gibt, das Dorf seiner Kindheit.
SB: Konnten Sie noch mit Zeitzeugen sprechen? Wie ist die Resonanz?
DGY: Ich muss gestehen, ich wollte das Ganze eigentlich gar nicht so groß rausbringen. Ich wollte nur zwei Bücher mit Hardcover, eins für mich und eins für die Bibliothek der Gemeinde. Ich habe dann fast sieben Jahre lang meine Samstagnachmittage damit verbracht, alle Daten und Informationen zusammenzupaaren und zu ordnen. Ohne die Unterstützung meiner Frau Anita und meine Mutter Beáta Gyúró-Müller hätte ich vielleicht schon mit der Arbeit früher aufgehört und hingeschmissen. Meine Familie überzeugte mich aber schließlich, als das Ganze schon beisammen war, dass das viele Menschen interessieren könnte, auch solche, die jetzt nicht mehr in Wakan leben, und wie ich seitdem festgestellt habe, hat sich das auch bestätigt. Neben meiner Familie war auch Johann Muth aus Wakan, ein guter Freund meines Großvaters, mein größter Unterstützer. Er lebt heute mit seiner Familie in Willand und ist schon 95 Jahre alt. Er hat sich so sehr über das Manuskript gefreut, als wir im Gespräch waren, war es für mich, als hätte ich mit meinem eigenen Opa gesprochen. Er hat mir sehr viel von den Menschen erzählt, die er noch kannte und auch von seiner Kindheit in Wakan. Ich muss ehrlich gestehen, richtig ruhig schlafen konnte ich erst, als Herr Muth mir die Rückmeldung gab, dass alles stimmt, was drin steht. Er kannte ja wirklich alle, die abgebildet sind, auch die Fotos hat er sich sehr genau angeschaut und erzählte mir dann, viel über das Dorf, welches Haus mittlerweile umgebaut oder abgerissen wurde, und wie diese davor ausgesehen haben, dann auch über die Menschen, wo sie lebten und wie sie waren. Er freut sich sehr, dass ich ihm und auch anderen eine Freude damit machen konnte.
SB: Wo kann das Buch erworben werden?
DGY: Das Buch war eigentlich nicht für den Verkauf gedacht, aber da sich schon so einige Interessenten meldeten, lasse ich jetzt etwa zehn Exemplare pro Monat drucken und wenn sich dann jemand bei mir meldet, bestelle ich es nach.
SB: Herr Gyúró, vielen Dank für das Gespräch!
KASTEN/keretes rész
Müller, Stefan: Ein Überblick über mein Geburtshaus – Vokány/Wakan
Redaktion: Dénes Gyúró
699 Seiten
Sprache: Deutsch
Eigenverlag
Erscheinung: Fünfkirchen, 2025
