Ein Kuriosum deutscher Nachkriegsgeschichte – die Ostpriesterhilfe betreute zwei Jahrzehnte lang deutsche Heimatvertriebene mit Kapellenwagen
Das Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach verfügt seit April diesen Jahres über eine neue Ausstellung: Sie zeigt die ersten Jahre der deutschen Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten und aus Ost- und Mitteleuropa. Durch exemplarische Darstellung von Ankunft und allmählicher privater und beruflicher Integration der Heimatvertriebenen in Hessen, die zeitweise ein Viertel der Bevölkerung stellten (in manchen ostdeutschen Landkreisen/Bezirken bis zu 50 %), erhalten die Besucher einen vielschichtigen Einblick – auch in den Alltag in der neuen, oft „kalten” Heimat der Vertriebenen aus Plankenhausen/Győrsövényháza und Leyden/Lébény, dem ungarischen Referenzgebiet der Ausstellung.
Die Ankunft der Heimatvertriebenen hatte auch Konsequenzen für das konfessionelle Bild: So siedelten sich katholische Sudetendeutsche im bis dahin evangelisch-lutherischen Marburger Land an oder evangelische Tolnauer Schwaben in den katholischen Dörfern des Bistums Fulda in Osthessen. Das Zusammenleben gestaltete sich nach Augenzeugenberichten nicht zuletzt aufgrund der konfessionellen Unterschiede nicht immer einfach. Die Neuankömmlinge katholischen Glaubens fanden in den evangelischen Dörfern naturgemäß keine kirchliche Infrastruktur vor. Die Ostpriesterhilfe (heute Kirche in Not) unter der Leitung des flämischen Paters Werenfried van Straaten nahm sich der Aufgabe an, die Heimatvertriebenen mithilfe von sogenannten Kapellenwagen – Sattelzügen mit Zugmaschinen oder Omnibussen – besetzt mit einem Fahrer und zwei Priestern seelsorgerisch zu betreuen. Die Kapellenwagen verfügten über Schlafgelegenheiten für die Mitreisenden, einen eingebauten Altar und einen Beichtstuhl – alles besonders wichtig in Ortschaften, die über keine katholischen Kirchen verfügten. Die Mission begann 1950 und endete erst 1970: Mitte der 1950er Jahre verfügte die Ostriesterhilfe über eine Flotte von 35 Kapellenwagen und erreichte laut Ausstellung 90 % der Heimatvertriebenen. Auch sogenannte Rucksackpriester (mit Klappaltären) zogen durchs Land – anfangs mit Fahrrädern, später mit Motorrädern und Pkws (VW Käfer). Die Initiative verlor zunehmend an Bedeutung, als in den Gemeinden, wo sich die katholischen (oder evangelischen) Heimatvertriebenen niederließen, Kirchen in Massivbauweise errichtet wurden – 240 an der Zahl. Dies geschah durch Zuschüsse und Eigenleistungen der Gemeindemitglieder. Hintergrund war die Erkenntnis vieler Heimatvertriebener, dass eine Rückkehr in die angestammten Gebiete nicht möglich sein wird. Bis heute prägen diese Nachkriegsbauten das Bild vieler hessischer Gemeinden.