SB-Potrait über den ungarndeutschen Exbürgermeister von Sóskút, Franz König
Das Jahr 2024 begann wahrlich turbulent. Ein Gnadenakt der ungarischen Staatspräsidentin führt zu deren Abdankung. Infolge dessen begann die Karriere eines Mannes namens Peter Magyar mit einem Interview beim regierungskritischen Portal „Partizán”. Fast zeitgleich gab es ein anderes Interview, diesmal beim privaten Fernsender „RTL Klub”, das im Nachgang als nicht minder bedeutsam erscheint. Der damalige und langjährige Bürgermeister von Sóskút Franz König schilderte darin ziemlich unverblümt, wie Regierungsentscheidungen bei Industrieansiedlungen ohne Mitbestimmung anderer Akteure getroffen würden. Vorangegangen war eine Protestwelle von zivilen Personen (aber mit Unterstützung oppositioneller Parteien) gegen die Ansiedlung einer Akkuwiederverwertungsanlage im Batteriedreieck Göd-Komorn-Iváncsa durch die slowenische Firma „Andrada”. Das Projekt scheint auf Eis gelegt zu sein, suchte doch nach Königs Angaben die slowenische Geschäftsführung nach einem neuen Investor, der das Firmengelände übernehmen könnte (im Frühjahr kam wieder Bewegung in die Sache, Red.).
Wer ist dieser Mann, der binnen weniger Tage landesweite Bekanntheit erlangte? „Reiser, Bürger, Spielmann, König – so heißen meine Vorfahren, also beiderseits bin ich Schwabe”, erzählt der 71-jährige Ex-Bürgermeister Franz König in seiner Heimatstadt Wiehall-Kleinturwall/Biatorbágy. Die Mutter selbst stammte aus dem benachbarten Edeck/Etyek, wo sie mit 13 Geschwistern aufwuchs. Eine Oma stammte sogar aus Jeine/Budajenő. Der Vater aus dem Ortsteil Wiehall diente in der ungarischen Armee. Der Familie blieb die Verschleppung vor 80 Jahren erspart – nicht so die Vertreibung. Franz König hat so beiderseits heimatvertriebene Verwandtschaft im Großraum Stuttgart. Der Onkel soll dreimal zurückgekehrt sein, denn damals fand er im besetzten Deutschland ein verwüstetes Land mit Hungersnot vor. Mittlerweile seien alle nahen Verwandten aus der Erlebnisgeneration verstorben, wodurch die Intensität der Verwandtschaftsbesuche abgenommen habe.
Aber auch über die eigene Kernfamilie habe König bald die Kontakte zur BRD vertiefen können, obwohl er selbst der deutschen Sprache nicht mächtig sei: 1968 habe die Schwester politisches Asyl in der Bundesrepublik erhalten (woraufhin ihr in Ungarn der Prozess gemacht worden sei – mit Verurteilung und Vermögenskonfiszierung als Folge) und auch der Bruder sei dissidiert (kehrte aber wenig später zurück). Die Übersiedlung der Schwester habe gravierende Folgen für die Kernfamilie gehabt: So musste nach Königs Angaben die Mutter regelmäßig bei der Polizei vorstellig werden, Franz König selbst erhielt seinen ersten Reisepass erst mit 39 Jahren zwei Jahre nach der Wende im Jahre 1992. König galt als Arbeitsscheuer/Asozialer (ung. kmk, közveszélyes munkakerülő), obwohl er nach eigenem Bekunden arbeiten wollte, und konnte nur durch Protektion über einen KISZ (Kommunistischer Jugendverband)-Sekretär an der Universität für Agrarwissenschaften in Getterle/Gödöllő studieren: Agraringenieurswesen mit Schwerpunkt Betriebsorganisation. Trotzdem sei es ihm nach Abschluss des Studiums schwer gefallen, eine adäquate Anstellung als Jungingenieur zu finden. Das veranlasste ihn als Kellner auf Trinkgeldbasis in einer Kneipe auf dem Land sein Glück zu suchen: Mit dem Ort Sóskút blieb er jahrzehntelang verbunden, auch seine „fölvidéki” Ehefrau (Madjarin aus dem ehemaligen Oberungarn) fand er hier. Die Gastronomie zahlte nach Königs Angaben damals gut: „Im ersten Monat habe ich gleich 15.000 Forint verdient, während der Einstiegsgehalt eines Ingenieurs bei 1200 Forint lag.” Als sich die Möglichkeit eröffnete, habe er die Gastwirtschaft übernommen und eröffnete mit der Familie in Kleinturwall ein Restaurant. Auch in anderen Bereichen probierte er sich aus: So unter anderem als Journalist bei Rundfunk und Fernsehen: Die langjährige Freundschaft zum Fidesz-nahen Journalistenurgestein Gábor Bencsik entstand in dieser Zeit, so König. Durch die Wiedergutmachung Anfang der 1990er Jahre gelangte der Sohn einer LPG-Angestellten zu wertvollem Grundbesitz im Speckgürtel der ungarischen Hauptstadt.
In die Politik stieg Franz König nach eigenem Bekunden in der Wendezeit ein: Seine politische Heimat war das konservative Ungarische Demokratische Forum (MDF) des József Antall jun. gewesen: „Als ich aber sah, dass sich das Ganze in die falsche Richtung entwickelt, bin ich ausgestiegen”, erinnert sich der 71-jährige an die gemeinsame Zeit mit den Politdinosauriern der Wendezeit Sándor Lezsák und Lajos Für, damals beide in der MDF-Ortsgruppe Kleinturwall aktiv.
2002 wurde er dennoch schwach: Gewerbetreibende in der 3000-Seelen-Gemeinde Sóskút sollen so lange auf ihn, den Kneipenwirt, den jeder kannte, eingeredet haben, dass er zusagte und mit überwältigender Mehrheit den Vorgänger ablöste. „Sóskút, das slowakische, aber auch schwäbische Wurzeln hat, war damals ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf. Es mangelte an befestigten Straßen und auch die öffentlichen Gebäude waren im schlechten Zustand”, erinnert sich König. „Ich habe mit den unterbezahlten Mitarbeitern des Gemeindeamtes Bonus-Zahlungen vereinbart, wenn sie bereit sind, die Prozesse wie die schnelle Erteilung einer Durchfahrtsgenehmigung für Lkw-Fahrer zu optimieren. Darüber hinaus habe ich sie weiterbilden lassen – mit dem Ziel der Erlangung eines Hochschulabschlusses. Als ich im Oktober 2024 das Amt verlassen habe, hatten so gut wie alle einen solchen Abschluss”, berichtet der ehemalige Bürgermeister. Darüber hinaus habe er begonnen, Unternehmen in den Ort zu holen: „Ich habe vom Gemeinderat eine Vollmacht bezüglich Steuerfragen erhalten. So konnte ich mit Unternehmern über Steuervergünstigungen verhandeln. Das war einmalig in Ungarn – genauso der Siedlungsentwicklungsplan, in dem wir Kosten und Nutzen des Zuzugs von Neubürgern präzise berechnet haben.” Das hatte zur Folge, dass sich Sóskút 2002 hinsichtlich der Gewerbesteuereinnahmen landesweit bei den unteren 10 % befand, 2024 hingegen unter den gewerbesteuereinnahmestärksten 1-2 %. Auf Komitatsebene stehe vor Sóskút nur Százhalombatta – eine Industriestadt mit Ölraffinerie und 18.000 Einwohnern: „Sóskút hat heute mehr Arbeitsplätze als Einwohner. Durch die sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen konnten wir alle Straßen befestigen, die Grundschule erneuern und den Kindergarten erweitern”, erzählt König. Die Zukunft sei aber unsicher, sollte die Regierung die Verteilung eines beachtlichen Teils der Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen auf die Komitate und Kreise übertragen.
Nach der Wahlniederlage im Juni und der Amtsübergabe im Oktober 2024 widmet sich Franz König ganz und gar der Familie und hofft, dass das schwäbische Erbe von den fünf Enkelkindern, von denen einige die Paul-Ritsmann-Nationalitätengrundschule besuchen, weitergetragen wird.