Ungarndeutsche Parlamentarier im Portrait (3): Dr. István Hiller

Ungarndeutsche Parlamentarier im Portrait (3): Dr. István Hiller

„Karl Graff bin ich genannt, Ungarn ist mein Vaterland” – so stand es auf einem in altdeutscher Schrift verfassten Zettel des Urgroßvaters, des „stolzen Bürgers Ödenburgs deutscher Muttersprache”. Das Schriftstück sei nach der schicksalsträchtigen Volksabstimmung um die Zugehörigkeit des Ödenburger Landes Anfang der 1920er Jahre entstanden und zeuge vom Lokalpatriotismus der alteingesessenen Familie, deren Anwesenheit in Ödenburg bis 1530 nachgewiesen werden könne. „Es besteht zweifelsohne eine emotionale Beziehung”, gesteht der Parlamentsabgeordnete, Historiker und Minister a. D. Dr. István (Stefan) Hiller im Sonntagsblatt-Gespräch. Der 60-Jährige ist nach Dr. Koloman Brenner und Dr. Johann Hargitai der dritte Parlamentsabgeordnete deutscher Nationalität/Herkunft, der sich dem Sonntagsblatt für ein Portrait zur Verfügung gestellt hat.

Das Ödenburg seiner Kindheit und Jugend präge Dr. István Hiller nach eigenem Bekunden immer noch. Insbesondere auch die Sprache. Man habe in der Familie beide Sprachen gleichermaßen gesprochen: „Wir hatten in den 1970er Jahren vier Fernsehkanäle: Ungarn 1, ORF 1, Ungarn 2, ORF 2. Montags haben wir immer den Österreichischen Rundfunk (ORF) geguckt, das Ungarische Fernsehen hatte damals einen sendefreien Tag. Man guckte „Straßen von San Francisco” und „Dallas” und man sprach im Anschluss darüber auf Deutsch. Über Programme im Ungarischen Fernsehen sprach man wiederum auf Ungarisch. Zu Hause war Großmutter die Chefin und man sprach deutsch. Mit der Mutter, die gebrochen Deutsch konnte, kommunizierten wir auf Ungarisch, meine Oma sprach hingegen mit meinem Vater, der Direktor der Universitätsbibliothek und Redakteur der „Soproni Szemle” war, ponzichterisch, was ein bairisch-österreichischer Dialekt ist”, erzählt der Abgeordnete heanzischer Herkunft.

Sein Interesse an Sprachen rührt womöglich auch aus dieser bilingualen Erfahrungswelt her: István Hiller kam mit 18 Jahren nach Budapest und fing nach abgeleistetem Wehrdienst an der Loránt-Eötvös-Universität (ELTE) mit einem Studium der Klassischen Philologie (Latein, Altgriechisch) und der Geschichte an. Hier habe er seine Frau kennen gelernt, mit der er zwei Söhne hat – einer von ihnen lebt heute in Japan. Hiller gehört zu den wenigen Menschen im Land, die fließend Latein sprechen: Davon erhielt die ungarische Öffentlichkeit bei der parlamentarische Debatte rund um die Umbenennung der Regierungspräsidenten (ung. kormánymegbízott) in Obergespane (ung. főispán) einen überzeugenden Vorgeschmack. Nach eigenem Bekunden beherrscht Hiller noch die Sprachen Englisch und Italienisch.

Seine Deutschkenntnisse durfte er als „Angehöriger des Eötvös-Collegiums” 1987 (ähnlich wie viele Mitglieder der heutigen politischen Elite in Ungarn) als Soros-Stipendiat an der Uni Heidelberg vertiefen: Bis heute sei er Mitglied des Heidelberger Alumni- (Ehemaligen-) Kreises. Der Kontakt zum ungarisch-amerikanischen Milliardär jüdischer Herkunft György Soros sei über einen Dozenten von Hiller entstanden, der früher Soros’ Lateinlehrer gewesen sei. Nach Abschluss des Studiums arbeitete der Junghistoriker am Historischen Seminar bei Prof. Dr. Ágnes Várkonyi. Seine Forschungsschwerpunkte waren die Habsburgerdiplomatie im 16. und 17. Jahrhundert sowie die internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Auch sein erstes Buch widmete er dieser Zeit: Palatin Nikolaus Fürst Esterházy in der Diplomatie; es erschien 1992 beim renommierten Böhlau Verlag Wien. Zur Buchvorstellung sei sogar der damalige Wissenschaftsminister und Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) erschienen. Die Esterházys beschäftigen Hiller nach eigenem Bekunden bis heute: So arbeite er an einer Monografie über die Geschichte dieser hochadligen Familie, die bis 1945 den mit Abstand größten privaten Grundbesitz in Ungarn besaß.

Nach der Habilitation 1990 folgte das nächste Stipendium: „Mit dem Lise-Meitner-Stipendium, das vergleichbar mit dem deutschen Humboldt-Stipendium ist, kam ich an das Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien. Darauf folgten rund um das Jubiläum 350 Jahre Westfälischer Frieden Vorlesungsreihen in Münster, Leipzig und Osnabrück. Dabei hatte ich die Möglichkeit für eine vielfältige Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Fachbereich”, berichtet der Historiker. 1999 wurde er „Professor des Jahres”. Auch der damalige Kultusminister und langjährige Bezirksbürgermeister (Budapest 12) Zoltán Pokorni habe zur Auszeichnung gratuliert.

Sein Weg in die Politik begann erst Anfang des neuen Jahrtausends: „Obwohl ich 1989 Gründer der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) war, hatte ich wenig Kontakt zur Politik. 2000 habe ich im Parteiprogramm mitgewirkt – in den Kapiteln zur universitären Bildung und Kulturpolitik – und damit auch Wahlkampagne gemacht. Heute kaum zu glauben: Wir hielten Foren im ganzen Land vor vollen Kulturhäusern”, schwärmt Hiller. „Während einer Vorlesung an der Universität wiederum winkte mir eine Mitarbeiterin des Seminars zu, ich werde am Telefon verlangt. Am anderen Ende der Leitung war der designierte Ministerpräsident Péter Medgyessy, der mich zum Kultusminister berufen wollte. Jedoch konnten sich die Liberalen von SZDSZ mit ihrem Kandidaten Bálint Magyar durchsetzen und ich wurde für 10 Monate Staatssekretär. Im Mai 2003 wendete sich das Blatt und ich wurde Minister für Kulturelles Erbe. Mit einer kleinen Unterbrechung war ich bis 2010 Minister, zuletzt zuständig für Kultus”, erinnert sich der Politiker, der 2005 Parteivorsitzender der Sozialisten wurde. Als einen der größten Erfolge betrachtet er das neue Collegium Hungaricum in Berlin. Genauso wichtig sei ihm die Unterstützung der Andrássy-Universität gewesen, deren erster Ehrensenator er wurde.

Auch nach dem Regierungswechsel 2010 blieb István Hiller Mitglied des Ungarischen Parlaments (Wahlkreis Pestelisabeth/Schorokschar/Kleinpest): Zwischen 2014 und 2022 bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten. Bis heute ist er Vizepräsident der Interparlamentarischen Union, einer Organisation von Parlamentariern aus 180 Ländern, die seit 130 Jahren besteht. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied (Beisitzer) des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks, dem die langjährige Hauptdirektorin der UBZ Baaja und Personalvorstand der Audi Hungaria AG Dr. Elisabeth Knab vorsteht. Aber nicht nur zu Dr. Knab habe er Kontakte, sondern zu vielen anderen Ungarndeutschen: „Ich habe zwar über die Jahre viele Kontakte zur ungarndeutschen Öffentlichkeit aufbauen können, aber ich bin nie deren Teil geworden”, sagt der ungarndeutsche Abgeordnete.

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