Bohler Grundschullehrerin Anita Müller im Sonntagsblatt-Gespräch
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SB: Frau Müller, Sie stammen aus Haschad/Hásságy, einem kleinen Dorf in der Branau und leiten eine Kulturgruppe – was hat Sie motiviert diese Aufgabe anzunehmen?
AM: Das war mir keine Frage. Seit meiner Kindheit war ich im Dorfleben, dank meiner Eltern und meiner Oma, immer aktiv dabei, egal ob wir tanzten, sangen oder nur in der Tracht in die Kirche gehen mussten. Schöne Erinnerungen, Zusammenhalt und sehr viel Freude habe ich dadurch erlebt. Ich wollte immer nur, dass unsere Kinder auch noch etwas davon erfahren.
SB: Die meisten Leser kennen Haschad nur dem Namen nach – erzählen Sie bitte ein wenig über den Ort!
AM: Haschad ist ein ganz kleines Dorf in der Branau, 18 km von Fünfkirchen entfernt. Das Dorf ist von Hügeln umrahmt, und im Tal ist ein See, wohin unser kleiner Bach auch fließt. Das Dorf wurde schon im 11. Jahrhundert als „Terra Hashag” erwähnt. Die Deutschen wurden 1747 aus Bayern und aus Baden-Württemberg angesiedelt. Die Kirche wurde 1763 erbaut, deren Schutzpatron der Antonius von Padua ist. Haschad war immer von Blasmusik, von der Tanzgruppen, und von den Chören bekannt. Die wichtigste Person im kulturellen Leben war hier Konrad Freitag, Dirigent und Komponist von der Haschader Blaskapelle. Haschad war schon immer von seinem guten Wein berühmt, das ist heute noch so. Viele Familien haben noch Keller und einen Weingarten am Hügel hinter dem See, mit einem schönen Ausblick auf das Dorf.
SB: Viele Branauer Gemeinden haben in den letzten Jahrzehnten durch Vertreibung, Abwanderung, hohe Sterbeüberfälle und Zuzug Nichtdeutscher ihr altes Gesicht verloren – trifft das auch auf Haschad zu?
AM: Leider ja, vor einem Jahr konnte ich es mir nicht vorstellen, dass einmal in Haschad ein Sekler-Tor stehen wird, aber das ist kein Problem. Ich habe von meiner Großmutter gelernt, dass man immer das Gute in allem sehen muss, dass man die Hoffnung nie verlieren darf und das Beste von alles herausbringen muss. Wir behalten trotzdem unsere Identität, geben unsere Bräuche, Sitten und die Mundart unseren Kindern stolz weiter, auch wenn diese schon von anderen Eindrücken geprägt sind. Früher lebten in vielen Dörfern mehrere Minderheiten in Frieden zusammen, so lernen wir jetzt auch voneinander und schätzen die Kultur von den Anderen.
SB: Welchen Stellenwert hat(te) das Deutschtum und die Sprache (Mundart) in der Familie?
AM: Das Ungarndeutschtum gehört bei uns einfach zu unserem Leben. Das sind wir. Es ist selbstverständlich nicht mehr so, wie als ich ein Kind war. Damals hat meine Oma und meine Urgroßmutter mit uns nur die Mundart gesprochen, was auch auf der Straße oder in der Kirche von anderen gesprochen wurde. Deutsch hatten wir auch vom Super RTL gelernt, wo wir schon damals Winnie der Pooh und Mickey Mouse geguckt haben oder am Abend, wo die ganze Familie im Wohnzimmer Peter-Steiner-Theater, Stadel und Heimatmelodie gesehen hat. Aber sehr viel habe ich auch durch das Singen von den Liedern der Kastelruther Spatzen dazugelernt, die meine Eltern ständig im Auto gehört haben. Heutzutage sprechen wir auch noch unsere Mundart, beim Schwätzen mit Freunden, in der Familie oder mit meinem Sohn. Aber in der Schule im Volkskundeunterricht mache ich auch oft Witze mit den Kindern in der Mundart, oder sie lernen Wörter, Sprüche oder bereiten sich sogar mit einigen Texten auf einen Wettbewerb in der Mundart vor. Das gehört einfach zu mir.
SB: Sie sind Lehrerin an der Bohler Grundschule – mit welchen Herausforderungen hat Ihre Schule zu kämpfen (Identität, Sprachgebrauch)?
AM: Herausforderungen sind deswegen da, dass man sie bewältigen kann, und das machen wir auch. Durch Erlebnispädagogik und Zusammenhalt von verschiedenen Organisationen können wir die Identität unserer Kinder stärken und es ihnen lehren, auf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit stolz zu sein. Es ist alles vorhanden, man muss nur in die Schule hineinkommen und man wird ein bisschen verzaubert… Wenn man auf der Flur spaziert, kann man überall typisch ungarndeutsche Elemente finden, oder man kann auf dem Hof einen Walzer oder Ländler von den Schülern der Musikschule hören, oder man sieht die Kinder unter dem Baum gerade eine Polka tanzen. Wir beschäftigen uns nicht damit, was unsere Kinder nicht mehr so wie früher beherrschen, sondern motivieren wir sie und finden neue Wege zur Identitätsstärkung.
SB: Was wird seitens des Lehrerkollegiums unternommen um diesen Herausforderungen zu begegnen?
AM: Ich könnte zahlreiche Programme, Aktivitäten meiner Kollegen erwähnen, aber ich würde jetzt doch unser Programm vorstellen: „Durch Zusammenhalt geben unsere Wurzel echte Flügel”. Das ist ein Konzept, wo bei einem Musikstück unsere Tänzer, unser Chor und unsere Schulkapelle gemeinsam auf der Bühne stehen. Manchmal mehr als 100 Kinder. Manche singen, manche tanzen, aber es gibt auch solche, die musizieren. Jeder macht das, was er möchte, selbstverständlich in der Tracht, und manchmal in der Mundart… Herzergreifend.
SB: Welche Erfahrungen sammeln Sie bei der Leitung Ihrer Kulturgruppe in der Bohler Grundschule?
AM: Das ist mein Leben. Ich liebe es mit Kindern zu arbeiten. Wir haben zurzeit 34 Mädchentrachten, die wir bei den Auftritten anziehen, denn viele haben keine eigenen Trachten mehr, aber immer mehr Kinder möchten mittanzen, so reichen sie nicht mehr aus. Die Eltern und die Großeltern schauen ihnen mit Stolz und manchmal auch mit Tränen in den Augen zu. Egal ob es ein Tanzauftitt ist, oder eine Wallfahrt oder irgendein anderes Programm. Ich ziehe auch immer mit ihnen meine Tracht an, die mir so viel bedeutet, und das spüren die Kinder auch.
SB: Keiner kann in die Zukunft schauen – trotzdem die Frage: Wo wird sie deutsche Gemeinschaft in 20, 30 Jahren stehen?
AM: „Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.” Unsere Ahnen haben auch nie aufgegeben und an etwas Schlechtes gedacht, so dürfen wir uns auch nicht immer beschweren, deswegen was alles früher war. Es wird schon sein, wir müssen nur neue Wege finden. Ich tue für dieses Ziel mein Bestes mit den Kindern, und denke nie an das, was wird, wenn… Ich schaue ihnen nur zu, wie froh sie alles mitmachen und die Kultur und Bräuche immer wieder neu beleben.
SB: Frau Müller, vielen Dank für das Interview!
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Das Gespräch führte Richard Guth.
Beitragsbild: FB-Seite von Anita Müller