„Als wäre ich heimgekehrt”

Köchin, Konditorin und Gastrobloggerin Judit Neubauer aus Banda erobert mit ungarndeutschem Kochbuch den bundesdeutschen Markt

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Von Richard Guth

Ich muss gestehen, dass sich meine Liebe zur Kochkunst in Grenzen hält. Sehr in Grenzen! Jedenfalls als aktiver Zutuer – der Genuss fertiger Speisen steht natürlich auf einem anderen Blatt. Dafür betreibt meine Frau die Kunst des Kochens umso leidenschaftlicher und so begann eigentlich die Geschichte dieses Beitrags. Ihr ist eines Abends beim Lesen in den Weiten des Internets etwas Kurioses aufgefallen: eine ungarische Staatsbürgerin mit deutschem Familiennamen, die ein Kochbuch mit Rezepten der donauschwäbischen Oma(s) in deutscher Sprache in Deutschland herausgebracht hat. Es geht um Judit Neubauer aus Banda/Bánd in der Nähe der Komitatshauptstadt Wesprim, die sich als Gastrobloggerin bereits vor diesem ungewöhnlichen und anregenden Kochbuchprojekt einen Namen gemacht hat.

Die Idee, das gastronomische Erbe insbesondere der deutschen Ahnen zu erhalten, kam ihr 2015, als ihre Hornung-Großmutter ins Krankenhaus kam. Zu dieser Zeit arbeitete Judit Neubauer, wie sie erzählte, als Konditorin in Spanien. Sie eilte auf Bitten des Vaters nach Hause und schrieb einige Rezepte von Oma Maria auf. Die Idee war geboren, das gastronomische Erbe der Ahnen aufzuzeichnen, solange noch die „alten Omas” leben, die diese oft nicht zu Papier gebrachten Rezepte im Kopf haben. Dennoch war dieses Erbe für sie alles andere als unbekannt: „Wir sind ja mit diesen Geschmäckern und Speisen aufgewachsen”, berichtet die 41-Jährige. Ergebnis war ein Blog namens „Emlékek íze” (Geschmack der Erinnerungen), mit dem sie Januar 2016 gestartet ist. Die Beiträge erscheinen bis heute auf Ungarisch und Englisch, um „die Inhalte auch denen zugänglich zu machen, die der ungarischen Sprache nicht mächtig sind”.

Aber auch mit der deutschen Sprache ist Judit Neubauer vertraut, sie betrachtet diese bis heute „als zweite Muttersprache”, auch wenn während ihrer Auslandsjahre das Englische immer mehr an Bedeutung gewonnen habe. Eine ganz besondere Bedeutung scheint für Judit Neubauer dabei die bereits zitierte Oma Maria besessenen zu haben, die Mitte der 1940er Jahre nur durch energische Lobbyarbeit der Vertreibung entkommen sei, während Teile der Familie aus Waschludt/Városlőd in die Sowjetisch Besetzte Zone (ab 1949 DDR) vertrieben wurden. „Oma, die noch Muttersprachlerin war, sprach nie über die Vertreibung. Obwohl Oma mit mir ungarisch sprach, war die Sprache bei Verwandtschaftstreffen deutsch”, erzählt die Gastrobloggerin, deren alle vier Großeltern Deutsche waren – mit den Familiennamen Neubauer, Hornung, Knollmayer und Müll(n)er (eigentlich Müller – das N ließ ein Urahn eintragen, um nicht mit Namensvettern mit schlechtem Ruf im Dorf in Verbindung gebracht zu werden, so die Autorin). Judit Neubauer wuchs in Wesprim auf, wo auch ihre Oma lebte. Dennoch blieb der Heimatort der Oma für sie „ein besonderer Ort”, so dass Judit Neubauer mit ihrem ungarndeutschen Mann, dessen Familie in der Zeit der Vertreibung ausgesiedelt worden war, ins renovierte Haus des Schwagers und der Schwester der Oma zog. Sie erlernte die deutsche Sprache neben dem Schulunterricht dank eines Austauschjahres in Celle, das zur Folge gehabt habe, dass sie nach der Rückkehr deutsch geträumt habe. Die Versuche der Oma, ihr den deutschen Dialekt von Banda beizubringen, hätten hingegen leider nicht gefruchtet.

Mit diesem Sprachschatz in der Tasche erklärte sich Judit Neubauer bereit, das Kochbuch „Taste of Memories, Rezepte und Geschichten” auf Deutsch zu verfassen. Das Werk enthält 56 Rezepte und dazugehörige Geschichten – so gut wie alle mit einer persönlichen Note – und basiert auf dem Material, das Judit Neubauer in den Jahren zuvor im Blog veröffentlicht hatte. Dennoch habe sie all die Texte neu verfasst und darüber hinaus auch alte Fotos und handgeschriebene Seiten beigefügt. Nach den vier Jahreszeiten ist das Kochbuch in vier Kapitel unterteilt und jedes Kapitel beginnt mit einer längeren Geschichte, damit man „eine einzigartige Reise in die Vergangenheit” unternehmen kann, wie in der Buchempfehlung auf Judit Neubauers Blog „emlekekize.hu” zu lesen ist. In diesen Geschichten spielt vornehmlich die andere Großmutter von Judit Neubauer, Anna Müllner, die Hauptrolle.

Herausgekommen ist ein sehr ansprechendes, bunt bebildertes Kochbuch mit vielen uns  bekannten Speisen und deren Rezepten. Es zeigt sich dabei, dass viele Speisen, die als urmadjarisch gelten wie Lángos, Pörkölt (Rindsgulasch) oder Bejgli, ihren festen Platz im Gedächtniskochbuch der Großmütter von Judit Neubauer hatten – quasi als Ausdruck von Austausch zwischen den Volksgruppen. Die Entscheidung die Speisen den Jahreszeiten zuzuordnen, kann als traditionstreu gesehen werden, denn früher bestimmten die saisonal verfügbaren Zutaten, was auf den Tisch kam.

Entstanden ist die konkrete Idee des Kochbuchs nach Neubauers Erinnerungen 2019 auf dem Foodfoto-Festival im dänischen Velje. Dort war der bekannte Kochbuchautor Stefan Paul als Moderator unterwegs und wurde auf die Ungarndeutsche aufmerksam, die dort ihren Blog vorstellte. Denn auch Speisen zu fotografieren sei Judit Neubauer nicht unbekannt gewesen: Im laufenden Buchprojekt fertigte sie die Fotos selber an, um glaubwürdiger „ein Lebensgefühl zu vermitteln”. „Stefan Paul kam auf mich zu und stellte mich seinem Verlag vor. Im März 2021 hat die Arbeit begonnen, ich wurde von der 83-jährigen Muttersprachlerin und pensionierten Deutschlehrerin Therese Mádl-Krein aus Banda sowie von Julia Bauer, die auch ungarische Wurzeln hat, beim Lektorat unterstützt”, berichtet Neubauer.

Das Kochbuch ist im September 2022 in 4000 Exemplaren erschienen und soll nach dem Willen des Hölker-Verlages in Münster auch in anderen Sprachen erscheinen. Der Erfolg des deutschsprachigen Kochbuches soll aber schon jetzt wahrnehmbar sein: So äußerte sich eine der Leserinnen gegenüber Judit Neubauer, dass sie das Gefühl habe, heimgekehrt zu sein.

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Judit Neubauer: Taste of Memories. Rezepte und Geschichten. Mit kostbaren Geschichten und Erinnerungen von damals.- Hölker-Verlag, Münster 2022, 26 Euro

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