Mit Fleiß für eine bessere Welt

Im Gespräch mit dem Valeria-Koch-Preisträger Bence Kiss

___________________________________________________________

SB: Bence, Du hast den Valeria-Koch-Preis erhalten, womit man Personen für vielseitige nationalitätenspezifische Aktivitäten auszeichnet – was waren diese Aktivitäten bei dir?

BK: Diese Aktivitäten sind vor allem kulturelle und wissenschaftliche Aktivitäten, die ich im Verlauf der Jahre leistete. Seit meiner Kindheit war ich Mitglied der ungarndeutschen Tanzgruppe “Grüne Wiese” in Jink/Gyönk und danach der Tanzgruppe „Hoffnung” in Warschad/Varsád. Während der Tanzgruppenmitgliedschaft machte ich ständig bei den Weinlesefesten und Weinlesefestumzügen aktiv mit. Zwischen 2016 und 2020 war ich ständiger Kleinrichter der Weinlesefeste und aktives Mitglied der Tanzgruppe „Hoffnung” in Warschad, mit der ich mehrere Ungarndeutsche Tage, Deutsche Nationalitätentage und Auftritte gestaltet und mitgemacht habe. Als aktives Tanzgruppenmitglied trug ich zur Weitergabe und Aufrechterhaltung der Tolnauer ungarndeutschen Bräuche bei – um ein paar Beispiele zu nennen: Faschingsfeste, Maibaumaufstellung, Maibaumaustanzen, Weinlesefest, Sankt Martinstag, Dorfweihnachtsfest, Gedenkfeier (100 Jahre Trianon, Verschleppung und Vertreibung, Gedenktafeleinweihung zum Gedenken der Verschleppten).

Als einer der wichtigsten Meilensteine in meiner ungarndeutschen Tätigkeit sehe ich den ersten Deutschen Nationalitätentag in Warschad, der am 28. Mai 2016 stattfand. Seitdem wird jedes Jahr der Deutsche Nationalitätentag organisiert, wo die Mädchen immer die alte Warschader Tracht – Originalstücke – anziehen und ein vielfältiges Tanzrepertoire zusammengestellt wird. Dabei trug ich oft Gedichte oder Geschichten in deutscher Sprache vor.

Im Mai 2017 organisierte das Dorf ein wichtiges Fest, bei dem die aus Warschad Stammenden zusammenkamen. Es sind mehrere hunderte Leute gekommen, die Warschader Abstammung sind. Als Tanzgruppenmitglied machte ich als Organisator, Helfer und Tänzer den ganzen Tag mit.

Im kulturellen Bereich bin ich seit 2018 aktiv. Seitdem bin ich Mitglied des örtlichen Archivausschusses, wo ich für die Dokumentation des örtlichen architektonischen Erbes verantwortlich bin. Es war auch kein Zufall, dass ich diese Aufgabe annahm, da meine gesammelten Fotos und Aufzeichnungen über die deutschen Gebäude in Warschad teils schon vorhanden waren und ich an der Universität auch zu dieser Zeit mit meiner wissenschaftlichen Arbeit anfing – im Bereich der lokalen, ungarndeutschen Architektur.

Danach kandidierte ich mit Unterstützung des Verbandes der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen des Komitats Tolnau bei den Kommunalwahlen 2020 als Abgeordneter der Deutschen Nationalität in Warschad und bin seit dem 13. Oktober 2020 Mitglied der örtlichen Nationalitätenselbstverwaltung.

Im Jahr 2019 begann ich mich intensiv mit meiner Forschungsarbeit zu beschäftigen und parallel dazu erweiterte ich meine Materialsammlung um weitere Fotos, Aufzeichnungen, Skizzen und Zeichnungen aus dem Dorf. Der Dokumentationsprozess umfasst bereits mehrere Jahre, so steht eine bedeutende Sammlung für ein zukünftiges Doktoratsstudium zur Verfügung. Auf Empfehlung und Ermutigung von Herrn Dr. habil Zsolt Vitári und Dr. Beate Márkus PhD hin bemühe ich mich um ein Doktorat.

SB: Du bist in der Tolnau aufgewachsen – erzähle ein wenig über deine Familie und deinen Lebensweg.

BK: Geboren bin ich am 28.11.1995 in Tapolca im Komitat Wesprim. Aber aufgewachsen bin ich in der Tolnau, in Jink und Warschad. Den Kindergarten beendete ich auch schon in Jink, wo ich zum ersten Mal mit der ungarndeutschen Erziehung wie mit Kinderliedern, der deutschen Sprache und mit Volkstanz in Berührung kam. Ich habe von väterlicher Seite ungarndeutsche Vorfahren, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Wemend/Véménd wohnten. Zu Hause in der Familie sprachen meine Eltern und Großeltern leider nicht mehr Deutsch, deshalb konnte ich die deutsche Sprache nur in der Schule erlernen.

Sowohl die Grundschule als auch das Gymnasium absolvierte ich in Jink und nahm am Nationalitätenunterricht teil. Eine wichtige Rolle spielten bei mir die alten Menschen, mit denen ich über meinen Schwiegervater in Kontakt kam, da die meisten von ihnen ungarndeutscher Abstammung waren. So habe ich schon ganz früh Deutsch bei ihnen gehört und auch mit ihnen gesprochen. Noch wichtiger waren aber die von ihnen erzählten Geschichten über die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, wo das Dorf noch in seinem alten Glanz erstrahlte.

Mit Fleiß für eine bessere Welt

SB: Welche Rolle spielte das Deutschtum – d. h. Identität, Sprache und Traditionen – in deiner Kindheit und Jugend und welche Bedeutung hat es für dich heute?

BK: Ich würde dabei die sog. “schwäbischen Werte” wie Sparsamkeit, Tüchtigkeit und Fleiß erwähnen. Ich bin auch in dem Sinne dieser Werte erzogen worden, so dass sie mit der Zeit einfach Teil von mir wurden. Außerdem würde ich die Sprache erwähnen. Aus einer schon assimilierten ungarndeutschen Familie stammend, konnte ich leider nur im Kindergarten und später in der Schule die Sprache erlernen. Aber trotz der fehlenden Funktion der deutschen Sprache als Muttersprache ist sie mit der Zeit, genauer gesagt in den vergangenen 23 Jahren, zu meiner zweiten Muttersprache geworden. So fehlt mir aber leider der Bezug zu einem ungarndeutschen, örtlichen Dialekt, was ich sehr traurig finde.

Wegen der Assimilation bin ich aber nicht in einem klassischen ungarndeutschen Umfeld aufgewachsen, deshalb ist es sehr schwer diese Frage zu beantworten. Eines bin ich mir sicher: Beim Tanzen von ungarndeutschen Tänzen fühle ich mich viel mehr wohl als beim ungarischen Volkstanz.

SB: Du hast das Jinker Tolnai-Gymnasium besucht – welche Rolle spielte die Schulzeit für deinen Werdegang als Lehrer?

BK: Wenn ich heute darüber nachdenke, kann ich sagen, dass es eine sehr wichtige Rolle spielte. Ich habe die zweisprachige Ausbildungsform absolviert, wo ich Geschichte, Geografie und Physik in deutscher Sprache lernte. Außerdem hat mich die ganze Atmosphäre des deutschen Klassenzuges sehr stark beeinflusst. An dieser Stelle möchte ich einige von meinen Lehrerinnen namentlich erwähnen, die sowohl fachlich als auch sozial und menschlich wichtige Werte vermittelt haben. An erster Stelle bedanke ich mich bei Frau Rosa Fork, die meine Klassenlehrerin sowie Deutsch- und Geschichtslehrerin war. Sie motivierte mich ständig und hat meine Liebe zur deutschen Sprache und Geschichte noch mehr vertieft. Daneben beeinflussten mich auch sehr positiv Frau Katalin Kiss, Frau Zsuzsa Szegletes, Frau Mónika Zsiga und Frau Emőke Beke. Ihr Verhalten, ihre Mentalität und ihre Wertvorstellungen spielten eindeutig bei meinem Werdegang als Lehrer mit eine Rolle.

SB: Du unterrichtest seit kurzem als Gymnasiallehrer in Fünfkirchen – welche Erfahrungen hast du bereits gesammelt?

BK: In den vergangenen anderthalb Schuljahren erlebte ich schon vieles. Bereits in meinem Praktikumsjahr machte ich bei Vorbereitungsstunden für Achtklässler mit, bei Aufnahmeprüfungen, beim Klassenausflug und bei vielem mehr. Ich würde Humanität, Toleranz, Kooperation, Gleichberechtigungssinn, Konsequenz und Strenge als wichtige Werte eines Lehrers hervorheben. Eindeutige, feste Rahmen und Grenzen müssen gesetzt werden und danach kann die gemeinsame Arbeit viel einfacher funktionieren. Mir ist aufgefallen, dass in unserer heutigen, sich verändernden Welt für die Kinder Stabilität und Konsequenz immer mehr fehlen. Deswegen würde ich diese beiden als meinen Leitfaden nennen.

SB: Die Probleme und Herausforderungen im ungarischen Bildungssystem sind seit einiger Zeit in aller Munde – wie schätzt du die Situation ein?

BK: Die Situation schätze ich absolut tragisch und weitgehend betrüblich ein. Ich bin sehr traurig und verbittert, weil die ungarische Gesellschaft mit dem Problem nicht erreicht wird und noch immer nicht versteht, welche tiefgreifenden und andauernden Schäden es in unserer Gesellschaft verursacht. Aus bestimmten Gründen möchte ich aber dazu meine Meinung nicht ausführlicher äußern.

SB: Inwiefern kannst du deine Erfahrungen und Kenntnisse bezüglich der deutschen Nationalität in deiner Arbeit einsetzen?

BK: In meiner Arbeit kann ich vor allem die Arbeitsmoral und den Fleiß umsetzen, da ich auch persönlich organisiert, pünktlich und fleißig bin. So kann ich meine Arbeit immer im Sinne der “Tüchtigkeit” verrichten. Daneben kann ich sowohl im Geschichts- als auch im Volkskundenunterricht den gelernten Inhalt, die zusätzlichen Geschichten und meine Erfahrungen einbauen, wodurch der Lerninhalt auch bunter und interessanter wirkt. Dadurch können die alten Geschichten in einer anderen Form, aber dennoch weiterleben.

SB: Wie schätzt du die Lage der deutschen Nationalität ein?

BK: Meines Erachtens verändert sich die Lage der deutschen Nationalität ständig, so wie auch die Menschheit und die Zeiten. Deshalb ist es sehr wichtig, die alten Grundwerte beibehaltend und auf die Veränderungen reflektierend immer wieder die neueren Generationen zu überzeugen, dass wir unsere Identität bewahren, schützen, erneuern und weitergeben müssen, damit wir unseren Ahnen treu bleiben können und damit wir auch in 100 Jahren uns als Ungarndeutsche bezeichnen können.

SB: Bence, danke für das Gespräch!

_________________________________

Mit Bence Kiss sprach Richard Guth.

Beitragsbild: Fb-Seite von Bence Kiss / Bild im Beitrag: Fotograf Peter Máy

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!