Im Gespräch mit Kunsthandwerkerin Maria Trautman aus Jink/Gyönk
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Von Balázs Szabó
Sticken ist ein Handwerk mit Tradition und erfordert Sinn für Qualität und Gestaltung. Die Aussichten sind aber leider düster, was die Zukunft der Stickerei angeht. Wir haben mit der Sonntagsblatt-Leserin Maria Trautman gesprochen, einer Frau mit Leidenschaft für diese wunderbare Tradition.
Kalotscha-Stickerei und Wandmalerei mit bunten Blumen sind weithin bekannt und werden oft als ungarische Volkskunst angesehen. Für die Matyó-Stickerei, die als Volkskunst in und um die im Nordosten Ungarns gelegenen Städte Mezőkövesd, Szentistván entstand, sind vorwiegend florale Motive wie Rosen, Margeriten, Tulpen, Kornblumen oder Maiglöckchen charakteristisch. Obwohl viele Menschen diese Feinheiten, die von den Laien nur als Nuancen wahrgenommenen werden, kaum voneinander trennen können, haben alle Landschaften ihre eigene Charakteristik.
Frau Trautman lebt in Jink, wo sich die schwäbische Jink-Stickerei etablierte. Im Komitat Tolnau siedelten sich Menschen aus Hessen in den Jahren 1723-1724 an, als viele Familien ihre Heimat verließen, um sich eine neue Existenz zu schaffen. Sie haben sich vor allem in den Gemeinden Jink, Warschad/Varsád, Gallaß/Kalaznó, Mutschwa/Mucsfa, Obernana/Felsőnána und Bellitsch/Belecska angesiedelt. Selbstverständlich brachten sie ihre eigene Kultur, Gewohnheiten und Traditionen mit. „Selbst gesponnen, selbst gemacht, ist die schönste Bauerntracht”– so lautete ihre Auffassung.
Für die Stickerei aus Jink sind die so genannten Hohlsaum-Muster, ung. subrika, charakteristisch. Diese findet man auch bei Handwerksprodukten von anderen ungarischen Landschaften, aber in Jink etablierte sich dieses Muster als Hauptmotiv. Bei den Hohlsaum-Schemen werden die ausgezogenen Fäden nach Mustern gestopft. Diese Muster werden mit unterschiedlichen Motiven umsäumt. Als „Meisterlein“ oder Zickzack werden die Motive bezeichnet, mit denen man die Hohlsaum-Muster eingrenzt.
Sie fertigten Hemden, Schurze und Zierhandtücher aus Hanf-Leinen selbst an und diese machten sie mit Hilfe der Stickerei individuell. Sie achteten auch darauf, dass sie nicht zwei identische Hemden mit den gleichen Mustern anfertigten.
Als wir mit Frau Trautman sprachen, konnte man ihre Begeisterung und Leidenschaft gleich merken. Sie stammt aus einer Familie, in der das Handwerk immer eine wichtige Rolle spielte. Sie nahm an einem Kurs teil, bei dem man Teppichstickerei lernen konnte. Sie lernte aber die Stickerei meistens autodidaktisch.
Heute verbringt sie viel Zeit mit der Stickerei. Sie lebt alleine, ihr Sohn und ihre Tochter wohnen weit weg von ihr und sie sieht die Stickerei als eine Aktivität an, die sie glücklich macht. „Stickerei ist für mich wie eine Beruhigungspille”, so definiert Frau Trautman die Bedeutung der Stickerei. Da sie sich um ihre alte Mutter kümmern muss, widmet sie eher ihre späten Abende der Stickerei. Manchmal läuft der Fernseher im Hintergrund, manchmal herrscht totale Stille – sie kann sich stundenlang auf die Stickerei konzentrieren. Wie die früheren Generationen arbeitet sie meistens simultan an mehreren Arbeiten – ein gerade anzufertigendes Hemd schließt nicht aus, dass sie gleichzeitig anfängt, an einer Bluse zu arbeiten.
Traditionelles, Jahrhunderte altes Handwerk und Kreativität treffen sich auch bei Frau Trautman. Als die Coronavirus-Pandemie die ganze Welt überrollte und auf einen Schlag die Normalität auf den Kopf stellte, musste man sich unterschiedliche Schutzmechanismen ausdenken. Ein solcher Mechanismus waren die Schutzmasken. Frau Trautman reagierte auf den unerwarteten Ausbruch der Pandemie so, dass sie Masken mit der Jink-Stickerei schmückte.
Sie lässt aber ihrer Kreativität auch im Alltag freien Lauf. Man würde denken, dass sich ihre Arbeit auf Blusen und Hemden beschränkt, das stimmt aber nicht. Sie schmückt auch Brillenbehälter oder Lesezeichen mit ihren bemerkenswerten Hohlsaum-Mustern.
Was aber die Zukunft der Handstickerei angeht, sammeln sich dunkle Wolken. Sticken ist ein altes Handwerk, das arg vom Aussterben bedroht ist. In den letzten Jahren gingen viele Stichvarianten unwiederbringlich verloren. Bis heute trotzen allerdings Stickerinnen dem steten Niedergang ihres Handwerks und versuchen diese Tradition weiterleben zu lassen.
Auch Frau Trautman denkt, dass die Zukunft düster aussieht: Nachwuchs zu finden und das Sticken in die nächste Generation zu retten – das sei kein einfaches Unterfangen, so meint sie. In Wien gibt es allerdings auch Versuche, die Stickerei nicht aussterben zu lassen. Schüler einer Modeschule und Designer verwenden Stickereien um Logos anzufertigen und Kleidungsstücke einzigartig aussehen zu lassen. Das zeigt, dass es alleine an uns liegt, dieses alte, aber wunderbare Handwerk zu bewahren.