Der Herkunft bewusst werden

Erstes Treffen der Stifolder in Nimmesch – Aniko Mezei-Kramm erzählt über die Hintergründe der ersten Zusammenkunft

Von Richard Guth

„Der Grundgedanke, den Nachkommen der Stift Fuldaer Auswanderer ihre Herkunft bewusst zu machen, kommt von Herrn Wendelin Priller aus Rasdorf, Mitglied des Stiffulder Freundeskreises im Landkreis Fulda. Die Idee des Treffens der Stiffoller Dörfer aus der östlichen Branau kam von mir. Vertreten waren mit einem Stand die Stiffoller Dörfer Bawaz/Babarc, Feked, Boschok/Palotabozsok, Sawer/Székelyszabar und drei Dörfer aus der Tolnau Mutsching/Mucsi, Sawed/Závod, Ungarischweke/Kisvejke. Nicht zu verwechseln ist dieses Treffen mit dem Stifolder Fest in Feked, das ein Gastro-Festival ist, wo es hauptsächlich um die Stifulder Paprikawurst geht“, erläutert Aniko Mezei-Kramm, Vorsitzende der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung Nimmesch/Himesháza, der Hauptorganisatorin des Treffens, das vom Gábor-Bethlen-Fondsverwalter unterstützt wurde. „Darüber hinaus kam Unterstützung von der Gemeinde Nimmesch, die beim Aufbau des Festzelts und der Bühne half und das Kulturhaus zur Verfügung stellte. Hilfe bei den organisatorischen Aufgaben haben wir von den Mitgliedern des Vereins Völkerfreundschaft Nimmesch, ung. Népek Barátsága Egyesület Himesháza, bekommen. Der Elternrat unseres Nationalitäten-Kindergartens hat das Kuchenbuffet gemacht. Freunde und Familienmitglieder haben uns das ganze Wochenende über voll unterstützt“, berichtet Mezei-Kramm sichtlich stolz.

Im Kulturprogramm haben nach Angaben der Amtsträgerin die Jugendblaskapelle aus Bawaz, die Jugendtanzgruppe aus Bawaz, Lotti Tajti mit einer Bawazer Mundartgeschichte, der Gemischtchor aus Feked, Peter Wesz mit einer Fekeder Mundartgeschichte, die Tanzgruppe aus Wemend, der Männerchor aus Wemend, der Intermelody Chor aus Surgetin/Szederkény, die Schomberger Dorfmusikanten (Schomberg/Somberek ist zwar kein Stifolder Dorf, pflege aber gute Kontakte zu Nimmesch) und zum Schluss Nina und Lisa Mezei mit einem lustigen Dialog in der Nimmescher Mundart sowie die frisch gegründete Jugendtanzgruppe aus Nimmesch mitgewirkt. Auch Honoratioren waren zugegen, wie, LdU-Vorsitzende Ibolya Englender-Hock, Zoltán Schmidt, Vizevorsitzender des Verbandes der Branauer Deutschen Selbstverwaltungen, Honorarkonsulin Dr. Susanne Gerner und Dr. János Hargitai, Parlamentsabgeordneter des Wahlkreises Mohatsch. Auch Mitglieder des Arbeitskreises für ungarndeutsche Familienforscher e.V. nahmen am Treffen statt, die am Vormittag ihr jährliches Treffen organisiert haben, und auch „unsere Freunde aus der Partnergemeinde Rasdorf an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze sowie eine Besuchergruppe des Stiffulder Freundeskreises aus dem Landkreis Fulda mit ungefähr 40 Personen. Es gab ca. 130 Auftretende und weitere 300-350 Zuschauer. Durch das Programm führte Kristina Szeiberling, durchgehend auf Deutsch und Ungarisch“, gewährt Mezei-Kramm einen Einblick. Dabei hob sie im Gespräch die Bedeutung der deutschen Sprache beziehungsweise der fränkischen Mundart hervor, die „ein wichtiges Bindeglied zwischen unseren ungarndeutschen Dörfern, genauso wie zwischen uns und unseren Gästen aus dem Landkreis Fulda“ darstellten.

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Mädchen aus Bawaz

Aniko Mezei-Kramm, die mütterlichseits aus einer Nimmescher schwäbischen, väterlicherseits aus einer seklerischen Familie aus Sawer stammt, blickte auch auf die jahrzehntelange Geschichte partnerschaftlicher Kontakte zum Fuldaer Herkunftsgebiet zurück: „Unsere Kontakte zum Fuldaer Herkunftsgebiet sind noch sehr lebendig. Zwischen Nimmesch und Rasdorf, Landkreis Fulda, besteht seit 1989 eine Partnerschaft, die heute noch durch regelmäßige Besuche gepflegt wird. Wegen Corona mussten wir zwei Jahre aussetzen, aber dieses Jahr war bereits Ende März eine kleine Delegation bei uns, und dann kamen vom 1. bis zum 4. September ca. 50 Personen zu Besuch. Unsere Gemeinde hat auch schon eine Einladung zum 100-jährigen Bestehen des Männergesangvereins „Cäcilia“ Rasdorf für Ende Juli 2023 bekommen. Auch zum Stiffulder Freundeskreis pflegen wir gute Kontakte.“

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Kulturgruppe aus Wemend

So rege Kontakte provozieren geradezu die Frage, ob es so etwas wie eine Stiffolder Identität gibt: „Ob es eine Stiffoller Identität gibt, kann ich schwer beantworten. Der älteren Generation ist es noch bewusst, dass uns die gleiche Sprache und gleichen Bräuche wegen unserer gleichen Herkunft verbinden, aber ob es den Jugendlichen klar ist, dass wir die gleichen Wurzeln haben und keine Schwaben sind, da bin ich mir nicht sicher. Deswegen sind solche Treffen auch sehr wichtig, damit dieses Gemeinschaftsgefühl bewusst gemacht und gestärkt wird. Wo kommen wir her, was haben wir gemeinsam, welches gemeinsame Erbe sollten wir aufbewahren?“, stellt die in der Volkstumsarbeit seit Jahrzehnten engagierte Frau die Frage. Zumal es noch weitere Dörfer mit überwiegendem oder hohem fuldischen Anteil gäbe wie z.B. Gereschlak/Geresdlak, Lantschuk/Lánycsók, Kschnarad/Kisnyárád, Mais/Majs, Großnarad/Nagynyárád, Ratzpeter/Újpetre, Wokan/Vókány, Altglashütte/Óbánya und Ketschinge/Görcsönydoboka gibt, die man mit einbinden könnte. Sie sieht auch gewisse Zugehörigkeitsmerkmale, die man oft nur unbewusst wahrnehme: „In den meisten dieser Ortschaften gibt es noch eine Deutsche Selbstverwaltung, einen deutschen Verein oder eine Kulturgruppe wie Blaskapelle, Tanzgruppe, Chor, die sich mit Traditionspflege beschäftigen. Meiner Meinung nach fühlen sich gerade die Jugendlichen in erster Linie diesen Gemeinschaften sprich Gruppen zugehörig und nicht dem Stiffoller Erbe verpflichtet. Es gibt noch Feste und Bräuche, an denen viele eher unbewusst festhalten, so z.B. Hutzelsonntag, Kirmes, Schweineschlachten/Schlachtfest, Hefeknödel oder Stifulder-Wurst. Nicht weil sie wissen, woher das stammt, sondern weil das teilweise noch von zu Hause kommt und sich vertraut anfühlt.“

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Aniko Mezei-Kramm nimmt das kulturelle Leben in den Dörfern als „noch ziemlich lebhaft“ wahr, „dank den Kulturgruppen und Vereinen, die vor 30-40-50 oder mehr Jahren gegründet wurden und von den Großeltern und Eltern dieser Jugendlichen am Leben gehalten wurden. Viele Jugendliche bringen die Verbundenheit von zu Hause mit und empfinden es als „selbstverständlich”, weil sie das in der Familie so erlebt haben.“ Auch negative Veränderungen vernimmt die DNSVW-Vorsitzende: „Veränderungen gibt es schon, da z.B. viele junge Paare ins Ausland ziehen oder in Großstädte, wegen dem Mangel an Arbeitsplätzen. Wir werden immer weniger in den Dörfern. Diejenigen, die noch da sind und gerne bereit sind aktiv mitzuhelfen, sind immer und überall dabei, was auf lange Sicht sehr belastend wird und dazu führt, dass den Leuten es Leid wird. Corona hat große Schäden angerichtet, immer mehr ältere Leute bleiben den Veranstaltungen und Zusammenkünften fern, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie lieber eine neue Fernsehserie verfolgen. Volkstanz und Volksmusik können in der alten Form mit Zumba, Hip Hop und Techno-Musik nicht Schritt halten. Wir müssten uns etwas einfallen lassen, um Tradition und Moderne zu verbinden. Das sind wahrscheinlich keine Einzelerscheinungen, sondern allgemein bekannte Entwicklungen. In unserer Gegend haben die Kinder die Möglichkeit, dass sie beim Kindergarten angefangen über die Grundschule bis zum Gymnasium und der Uni gut Deutsch lernen können und so mit einem großen Vorteil in deutschsprachigen Ländern starten können. Immer mehr Schüler planen gar nicht mehr sich an einer ungarischen Hochschule zu bewerben, sondern beginnen das Studium gleich im Ausland.“

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Frau Gommermann aus Mutsching mit Enkelin

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