Anton-Rieder-Jugendpreisträgerin Barbara Geiling aus Sammet/Szomód über die Frage, was ihr Ungarndeutschtum ausmacht
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„Mein Ungarndeutschtum”. Der Titel meines Artikels liegt auf meinem Tisch und ich denke lange Zeit darüber nach, was mein Ungarndeutschtum für mich bedeutet. Ich habe mich heutzutage viel mit diesem Thema beschäftigt, es waren viele Ereignisse, die mich zum Nachdenken bewegt haben. Vor einem Monat (Herbst 2021, Red.) habe ich den Anton-Rieder-Jugendpreis bekommen, der ein herzliches Geschenk und eine gewaltige Ehre für mich war und was ich bestimmt nie vergessen werde.
Es gibt manche Situationen im Leben eines Menschen, die entscheidend und wichtig sind und erhebliche Auswirkungen auf den Lebensweg dieses Menschen haben können. Eine von diesen Situationen war die Begegnung mit der deutschen Kultur und Sprache. Von meiner Familie habe ich gelernt, dass mein Nachname „Geiling” schwäbische Wurzeln hat und dass meine Urgroßeltern noch Deutsch sprechen konnten. Mit meinem Urgroßvater haben seine Eltern bis zu seinem dritten Lebensjahr nur Deutsch gesprochen. Meine Großeltern haben viele Geschichten über diese Zeit, die ethnische Kultur und die Traditionen erzählt und ich habe ihnen als Kind immer gern zugehört. Aber es kam eine Madjarisierungswelle in Sammet, weshalb die deutsche und schwäbische Sprache fast völlig entwurzelt wurden. Deswegen habe ich als Kind kein schwäbisches Wort oder Lied mehr gelernt, meine Großmutter hat mit mir nie deutsch gesprochen – das ist nicht meine ungarndeutsche Geschichte. Meine Geschichte begann mit der Wiederbelebung der Traditionen. Ich musste wissentlich den Weg meiner Vorfahren wieder beschreiten. Mein Mittel für diese Reise war die deutsche Sprache. Ich ging in die erste Klasse der Sammeter Grundschule, als ich mit dem Deutschlernen begonnen habe. Das wurde fortan Teil meines Lebens.
Der nächste Meilenstein meines Ungarndeutschtums war im Jahr 2006, als ich Mitglied der Deutschen Volkstanzgruppe in der Grundschule Sammet geworden bin. Nach zwei Jahren bin ich der deutschen Kindertanzgruppe von Niklo/Dunaszentmiklós beigetreten. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Auftritt: Ich trug einen schönen roten Rock mit einer weißen Schürze und einer weißen Bluse. Ich hatte auch zwei geflochtene Zöpfe. Ich habe mit meiner Schwester und meiner Freundin getanzt und es hat uns viel Spaß gemacht. Die Zeit verging schnell und im Jahr 2012 wurde ich Mitglied der Erwachsenentanzgruppe Niklo. Ich kann sagen, dass der Tanz und die schwäbische Kultur meine Identität geprägt und meine Lebensziele beeinflusst haben. Diese haben mir geholfen, eine solche Jugendliche zu sein, die ihre Wurzeln und ihr Erbe sehr gut kennt und darauf achtet.
Glücklicherweise konnte ich meine Deutschkenntnisse am Gymnasium weiter ausbauen. Es gab viele Möglichkeiten, zum Beispiel Studienreisen, Wettbewerbe und Kulturprogramme, wo ich viel über die Sprache und das Deutschtum gelernt habe. Ich werde meinen Lehrerinnen und Lehrern und dem József-Eötvös-Gymnasium in Totis/Tata immer dankbar sein. Ich hatte auch die Möglichkeit, das Deutsche Sprachdiplom II auf dem Niveau C1 dort abzulegen.
Neben der Schule stellen die lokalen Kulturgruppen und Vereine in Sammet das zweite Betätigungsfeld dar. Bei der Gemeinschaftsarbeit helfe ich immer gern. Ich bin eines der Gründungsmitglieder vom Deutschen Verein „Edelweiss“ zur Erhaltung der Traditionen, der im Jahr 2017 gegründet wurde. Wenn ich die Möglichkeit habe, helfe ich bei der Organisation und der Durchführung der Veranstaltungen des Vereins mit. Das ist heute Teil meines Lebens geworden. Am Anfang dieser Veranstaltungen, wenn die Volkshymne der Deutschen in Ungarn erklingt, bin ich immer gerührt. Ich denke, dass man mit Musik und Gesang seinen Vorfahren näherkommen und auch diese Erbschaften weiterbringen kann. Sei es eine Hymne, ein Christkindlspiel an Weihnachten oder ein Lied für die Heimat – sie sind voll mit Gefühlen für mich. Deswegen mag ich auch solche Lieder und Gesangsstücke selbst singen und spielen.
Ich hatte auch einen prägsamen Sommer im Jahr 2019, als ich im Deutschen Nationalitätenmuseum in Totis gearbeitet habe. Meine Aufgabe war es, in Sammet und in Niklo Interviews über Traditionen und Erinnerungen zu führen, damit das Museum seine Foto- und Tonsammlung erweitern kann. Ich besuchte alte Bewohner, die über schwäbische Traditionen noch etwas hören und wissen konnten und ich verbrachte lange Zeit mit der Geschichte von Sammet. Diese Erlebnisse gaben mir auch sehr viel: nicht nur für meine ungarndeutsche Identität, sondern auch für meine Berufung in der Zukunft. Zurzeit studiere ich Psychologie auf Master an der Péter-Pázmány-Katholischen-Universität in Budapest. Ich mag mich mit Menschen zu beschäftigen und ihre Geschichten anzuhören. Meiner Meinung nach bieten folgende Dinge eine Lösung, um die Unterschiede zwischen den alten und jungen Generationen zu überwinden: Empathie und Aufmerksamkeit. Diese zwei Sachen sind sehr wichtig, um einander zu verstehen und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.
Obwohl es wichtig ist, unsere Traditionen zu pflegen, soll man dennoch mit der Zeit gehen und neue Dinge ausprobieren. In meinem Ungarndeutschtum ist es die Tanzgruppe Fliegende Zöpfe. Ich bin einer der Gründer und bin sehr begeistert, traditionelle und moderne Tanzfiguren zu verschmelzen.
In meinem Leben achte ich sehr darauf, ein Gleichgewicht zwischen der Pflege des Brauchtums einerseits und der Anpassung an die veränderte Welt und die neuen Gewohnheiten andererseits zu wahren.
Bild: Facebook-Seite von Barbara Geiling