Auf den Spuren der Vergangenheit: zurück zum nachhaltigen Leben

Dieses Interview mit Anna Czenthe ist als Kooperation zwischen der Schülerzeitung „Einstein“ des Jenker Lajos-Tolnai-Gymnasiums und dem Sonntagsblatt im Rahmen des Jugendredaktions-Programms „Jugend trifft Sonntagsblatt“ entstanden. Im Jugendredaktions-Programm bietet das Sonntagsblatt Jugendlichen, die an deutschsprachigem Journalismus interessiert sind, die Möglichkeit ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern und einen Einblick in die Arbeit beim Sonntagsblatt zu erhalten.

Anna Czenthe war bis vor kurzem Kulturassistentin beim Lenau-Haus in Fünfkirchen. Die junge Germanistin und Absolventin des Studienfachs „Internationale Beziehungen“ an der Andrássy-Universität Budapest ist vor kurzem nach Deutschland gezogen. Einstein-Journalistin Verena Hille sprach mit Anna über Nachhaltigkeit, ihre Kindheit und ihre Ambitionen.

V.H.: Welche Beziehungen haben Sie zum Ungarndeutschtum?

A.C.: Ich habe zwei Jahre lang im Lenau-Haus in Fünfkirchen gearbeitet, da habe ich diese Gemeinschaft in Ungarn kennen gelernt und als ich da angefangen habe, hat meine Mutter gesagt, dass meine Urgroßmutter eigentlich auch Schwäbin ist. Ich bin ohne diese Tradition aufgewachsen, aber dieses Thema war für mich nicht unbekannt – einerseits, weil mein Vater Historiker war, und andererseits hatte ich an der Uni sehr viele Kommilitoninnen und Kommilitonen, die Ungarndeutsche sind.

V.H.: Ein wichtiges Thema in Ihrem Leben ist Nachhaltigkeit – woher rührt Ihr Engagement in diesem Bereich?

A.C.: Das kommt aus meiner Kindheit, vor allem von meiner Mutter, weil es für sie sehr wichtig war, dass wir wenig Plastikspielzeuge haben und dass wir viel Begegnung mit der Natur haben. Also ich war total ein Stadtkind, aber war auch sehr stolz darauf, dass ich sagen konnte, welcher Baum zur welcher Art gehört. Ich habe meine Großeltern auf dem Dorf immer gerne besucht.

V.H.: Also kann man sagen, dass Ihre Eltern Ihre Vorbilder waren?

A.C.: Ja, meine Eltern waren meine Vorbilder, sie haben den größten Einfluss auf mich gehabt.

V.H.: War dieses Engagement schon seit Ihrer Kindheit da oder ist es erst später gekommen?

A.C.: In der Kindheit habe ich mir nicht so viele Gedanken darüber gemacht, es war einfach so. Zu dem Zeitpunkt war ich 14 oder 15, wo ich mich mehr mit dem Thema beschäftigt habe.

V.H.: Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich?

A.C.: Ich möchte meinen Alltag oder mein Leben so gestalten, dass ich für die Umwelt möglichst wenig Belastung bedeute und der nächsten Generationen auch eine intakte Welt hinterlasse. Es ist mir klar, dass man als Einzelperson nicht die ganze Welt retten kann. Es gibt ja immer diese Frage, wo die individuelle Verantwortung liegt im Vergleich zu der Verantwortung der Industrie oder der großen Umweltschädiger. Ich denke, dass man beide in Betracht ziehen muss und so weit handeln sollte, wie man einen eigenen Wirkungsbereich hat.

V.H.: Haben Sie ein persönliches Lebensziel bezüglich der Nachhaltigkeit?

A.C.: Ich möchte es auf jeden Fall an meine Kinder weitergeben und in meiner Umgebung verbreiten – diese Ansicht. Konkret möchte ich es auf meinen Alltag einwirken lassen, zum Beispiel wie ich von A nach B komme, wie ich mich ernähre, welche Klamotten ich trage, weil man das alles bewusst umweltschonend machen kann.

V.H.: Verreisen Sie oft, wenn ja, was ist Ihnen wichtig beim Reisen?

A.C.: Ich reise gerne und auch viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sofern es möglich ist. Denn das ist die beste Art umweltfreundlich zu reisen. Ich versuche möglichst immer auf Fliegen zu verzichten. Am liebsten reise ich mit dem Zug, mit dem Flixbus oder mit Mitfahrgelegenheiten.

V.H.: Was für Kleidung kaufen Sie?

A.C.: Ich versuche möglichst wenig Kleidung zu kaufen, da ich bemerkt habe, dass man nicht wirklich mehr Kleider braucht, als was in einen Koffer reinpasst. Wenn ich dennoch Kleidung kaufe, gehe ich sehr gerne in Second-Hand-Läden, weil das eine super Möglichkeit ist Klamotten nachhaltig zu verwenden.

V.H.: Worauf achten Sie, wenn Sie Lebensmittel kaufen?

A.C.: Ich persönlich liebe es auf dem Markt einzukaufen. Die Produkte, die dort angeboten werden, sind oftmals viel frischer und haben vor allem nicht so lange Reisewege hinter sich, da es überwiegend regionale Produkte sind.

V.H.: Sehen Sie bezüglich Corona nicht nur negative, sondern auch positive Auswirkungen auf die Umwelt, wenn man bedenkt, dass viel Herumreisen nicht mehr geht bzw. nicht mehr so erlaubt ist?

A.C.: Ich habe dabei gemischte Eindrücke. Man hört Nachrichten von positiven wie negativen Auswirkungen, z. B. gibt es viel mehr Müll wegen den ganzen Masken und wegen allem, was verpackt ist, was dazu führt, dass man plötzlich nicht mehr so darauf achtet, weniger Müll zu produzieren. Andererseits, wie du schon sagst, es gibt schon einige positive Auswirkungen, zum Beispiel, dass man weniger reist, oder in der Arbeitswelt hat man gemerkt, dass man vieles auch online erarbeiten kann, und man muss nicht zwingend immer vor Ort sein.

V.H.: In Deutschland, wo Sie wieder leben, wird dieses Thema sehr großgeschrieben – wird das Thema Sie weiterhin beschäftigen?

A.C.: Ich möchte erstmal Fuß fassen in Deutschland, da ich erst seit September hier lebe. Also ursprünglich habe ich Internationale Beziehungen studiert und ich möchte sehr gern in diesem Bereich arbeiten und gleichzeitig zu einer besseren Welt beitragen, aber mal schauen, in welchem Bereich ich landen werde.

V.H.: Sie haben den Comicaufruf „Meine plastikfreie Oma“ gestartet. Wie kam es dazu, was wollten Sie damit erreichen?

A.C.: Die Idee kam bereits, als ich beim Lenau-Haus angefangen habe. Ich wollte ein bisschen schauen, was Jugendliche interessiert und wie man das auch mit Gesellschaftlichem, Kultur und Traditionen ein bisschen verbinden kann. Denn wenn man die eigenen Großeltern fragt, wie habt ihr früher/damals gelebt, kann man vieles erfahren, z.B.: „Oh, da gab es kein Auto, aber es hat doch funktioniert“ oder „da gab es keine Plastikbeutel, und meine Großeltern sind auch ohne klargekommen“. Sie hatten vielleicht nicht so viele Klamotten oder sie hatten nicht so viel Fleisch gegessen, vielleicht nur einmal pro Woche. Man kann auch ein bisschen zurückblicken und von den älteren Generationen lernen. Dies sollte nicht der ausschließliche Blickwinkel sein, denn wir leben im 21. Jahrhundert und heute gibt es andere Umstände. Jedoch sollte man es nicht vergessen, wie es früher war. Denn es gibt bereits viele gute Lösungen. Die neue Generation muss nicht alles neu erfinden, manchmal reicht es, wenn man mal die Älteren fragt, wie sie es gemacht haben.

V.H.: Wie kam es dazu, dass Sie nicht mehr im Lenau-Haus arbeiten?

A.C.: Es war eine befristete Stelle und ich wollte nach Deutschland zurück. Leider war es nicht möglich die Arbeit im Homeoffice fortzusetzen. Jedoch war es sehr schade, denn es war eine sehr schöne Zeit für mich im Lenau-Haus. Ich bewerbe mich gerade um eine neue Stelle vor allem im Bereich Politische Bildung und Kultur/ Jugend/ Soziale Bildungsarbeit.

V.H.: Warum genau in diesem Bereich?

A.C.: Zum einen aus persönlichem Interesse, aber vor allem durch meine Arbeit im Lenau-Haus! Da habe ich gemerkt, dass ich sehr gern mit Jugendlichen arbeite. Es war immer sehr schön die Offenheit zu erfahren und ich vermittle Wissen sehr gern. Außerdem bin ich mit 28 altersmäßig auch nicht so weit von ihnen entfernt.

V.H.: Wo haben Sie Ihre Kindheit eigentlich verbracht?

A.C.: Ich bin in Budapest großgeworden.

V.H.: Wie kam es dazu, dass Sie drei Sprachen fließend sprechen?

A.C.: In der 3. Klasse konnte man sich entscheiden, ob man mit Deutsch oder Englisch anfangen will, und meine Eltern haben mir geraten mit Deutsch anzufangen, weil es leichter sei später mit Englisch weiterzumachen. Außerdem spricht meine ganze Familie Deutsch, auch meine Großeltern. Ich glaube, unsere Familie ist ein Modell für die deutsch-ungarische Beziehungen, die sich auf möglichst viele Ebenen, also Freundschaften, Verwandtschaft und berufliche Beziehungen erstreckt. Deshalb war es für mich und meine Geschwister ganz natürlich, dass wir Deutsch lernen. Ich bin auch in Deutschland geboren und bin erst als Baby mit anderthalb Jahren nach Budapest gezogen. Mein Vater hat nämlich nach der Wende mit einem DAAD-Stipendium an seiner Promotion in Tübingen gearbeitet.

Englisch ist dann im Gymnasium dazugekommen. Das war ein Muss, denn ohne Englisch kommt man heute nicht sehr weit, vor allem in der Berufswelt.

V.H.: Sie haben von 2012-2016 an der Gáspár-Károli-Universität studiert. Warum an dieser Universität und warum Germanistik?

A.C.: Also, ich habe an zwei Universitäten parallel studiert. Einmal Internationale Beziehungen an der Corvinus! Es hat mich einfach sehr interessiert, weil ich die deutsche Sprache und auch die Kultur mag. Ich habe mich damals auch für Übersetzungen interessiert. In meinem Studium der Internationalen Beziehungen habe ich mich auch auf Deutschland konzentriert. Es war schon von Anfang an mein Traum irgendetwas in deutscher Sprache zu studieren.

V.H.: Von 2016-2019 haben Sie wiederum an zwei Universitäten gleichzeitig studiert, einmal an der Universität in Leipzig und einmal in Budapest. Wie sah Ihre Studienzeit aus, waren die Seminare anders aufgebaut als bei Ihrem Germanistikstudium in Ungarn? Konkret meine ich das Studieren an zwei Universitäten.

A.C.: Es war ein Doppel-Master-Programm. In dem Jahr, als ich das Studium angefangen habe, wurde diese Kooperation ganz neu zwischen der Universität Leipzig und der Andrássy-Universität in Budapest gestartet. Das war ein schöner Zufall, da ich mich nicht ganz entscheiden konnte, ob ich in Ungarn oder in Deutschland meinen Master studieren sollte. Durch dieses Programm musste ich mich nicht entscheiden. Praktisch sah es so aus, dass wir drei Semester in Ungarn und ein Semester in Deutschland verbracht haben. Wir hatten in den drei Semestern in Ungarn auch gemeinsame Seminare, wo die Studierenden aus Leipzig nach Budapest kamen, da konnten wir uns schon kennen lernen.

V.H.: Was war konkret das Schönste an der Unizeit?

A.C.: Auf jeden Fall die vielen Freundschaften, die ich geschlossen habe, denn ich habe sehr viele Leute dadurch kennen gelernt und war sehr viel in Deutschland! Dadurch baut man ein sehr schönes und großes Netzwerk auf.

V.H.: Sie durften im Laufe Ihres Lebens schon einige Berufserfahrungen sammeln. Was war das prägendste Erlebnis?

A.C.: Ich war 2016 mit einem Stipendium – mit einem internationalen Parlaments-Stipendium (IPS) – im Bundestag, und da habe ich für ein halbes Jahr im Büro eines Bundestagsabgeordneten gearbeitet. Das Praktikum, das ich zwischen dem Bachelor und dem Master gemacht habe, war sehr prägend für mich.

V.H.: Auf der IfA-Seite steht, dass Sie sich sehr für Bildung/ Kultur und sozialpolitische Themen mit besonderem Bezug zu den Roma interessieren. Warum genau die Roma?

A.C.: Ich denke, wenn man in Ungarn lebt, kann man sehr viel Ungerechtigkeit erfahren. Aber wenn man selber nicht Rom ist, muss man dafür offen sein. Auf jeden Fall hatte ich an der Károli-Uni einen Vortrag über die Kultur der Roma in Ungarn gehört und ich habe da dann gemerkt: Ich habe eigentlich gar keine Ahnung von der Kultur und der Geschichte dieser Nationalität und ich kenne auch niemanden so richtig persönlich, der Rom ist.

Ich habe mir dann die Frage gestellt, wie es sein kann, dass ich keinen Bezug zu Roma habe, obwohl sie – bzw. die verschiedenen Roma-Gruppen insgesamt – ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Also dieser Vortrag hat mein Interesse geweckt und ich habe mich dann in diesem Bereich immer mehr engagiert. Es gibt eine Zivilorganisation, wie Indahouse Hungary, sie organisiert Nachhilfeunterricht und frühkindliche Entwicklung für Kinder in Nordostungarn. Da bin ich schon seit vier Jahren ehrenamtlich aktiv. Ich sehe, dass die Kinder sehr viel Aufmerksamkeit und Ermutigung brauchen. Deshalb möchte ich, soweit es mir möglich ist, die gesellschaftlichen Ungleichheiten etwas ausgleichen. Mir ist es sehr wichtig, auch meine Umgebung auf dieses Thema aufmerksam zu machen.

V.H.: Frau Czenthe, vielen Dank für das Interview!

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