SB – Interview mit der Präsidentin der GJU, Blanka Jordan
Von Brigitta Sziklai und Armin Stein
_____________________________________________________
SB: Wie sah dein Weg zur ungarndeutschen Identität aus? Welche Sprache verwendet ihr zu Hause?
Blanka: Ich stamme aus einem ungarndeutschen Dorf, aus Südungarn es heißt Boschok/Palotabozsok. Meine Großeltern väterlicherseits sind auch Ungarndeutsche. Das ist ein wichtiger Teil meiner Identität; mein Heimatdorf und meine Großeltern. Leider spreche ich die Mundart nicht, ich habe Hochdeutsch in der Schule gelernt, ich habe eine deutsche Nationalitätengrundschule besucht. Und ja, es war grundsätzlich so, dass wir dort über das Ungarndeutschtum auch gelernt haben. Meine Großeltern haben viel über das Leben von früher erzählt und in unserem Dorf war Traditionspflege sehr wichtig, weshalb ich versuchte an solchen kulturellen Programmen teilzunehmen, aber leider finden diese nicht mehr so oft statt wie früher.
SB: Also du hast eine interessante Mischung in deiner Identität, ein bisschen was von Zuhause, ein bisschen aus dem Schulsystem mitgenommen. Also eine komplexe Geschichte…
Blanka: Wir können das so sagen, ja.
SB: Deutsch zu lernen hast du dann in der ersten Klasse angefangen oder erst später?
Blanka: Ja, in der ersten Klasse.
SB: Zu Hause, privat verwendest du dann meistens Ungarisch? Wie sieht das in deinen Freundeskreisen aus? Ist Ungarisch die einzige Sprache, die du verwendest oder gibt es da auch Räume für Deutsch?
Blanka: Nein, Ungarisch ist eigentlich gängig bei mir. Meine Großeltern sprechen die Mundart, aber sie haben mit mir nicht diese Sprache gesprochen, deshalb kenne ich die Mundart nicht mehr. In unserem Dorf gibt es zwar noch alte Menschen, die diese Sprache verwenden, aber ich kann diese leider nicht sprechen. Und ja, ich benutze Ungarisch unter Freunden und mit meiner Familie.
SB: Der eigentliche Grund für dieses Interview ist deine Wiederwahl als Präsidentin der GJU. Wie kam es zu deiner Karriere in der GJU? Was hat dich zum Mitmachen motiviert? Wie waren die ersten Schritte innerhalb der Organisation?
Blanka: Ich habe über die GJU in meinem Dorf gehört, weil es da ein Creacamp gab, also ein Kreativitätslager, und ich war damals in etwa 12 oder 13 Jahre alt, ich und meine Freunde aus dem Dorf haben daran teilgenommen und dort habe ich die GJU kennen gelernt. Für uns gab es schon diesen Freiwilligendienst, wir mussten 50 Stunden leisten, um das Abitur zu bekommen. Dies ist der eigentliche Beginn der Geschichte. Meine Mutter hat den Vizepräsidenten der GJU gefragt, ob ich den Freiwilligendienst bei ihnen machen kann, und er hat zugestimmt. Dann habe ich begonnen, bei der GJU mitzuarbeiten, das war 2014. Später bin ich zum Multiplikator geworden. Ich habe bei der Organisation und bei der Durchführung von GJU-Programmen viel geholfen. Währenddessen habe ich die anderen besser kennen gelernt und später, 2017, wurde ich zum ersten Mal zur Präsidentin gewählt.
SB: Wie wird man Präsidentin der GJU? Gab es einen Wahlkampf, wie sah er aus?
Blanka: Leider nicht, weil es nämlich sehr schwer ist, solche Menschen zu finden, für die die GJU eine Herzensangelegenheit ist. Für mich ist die GJU dies, aber es ist auch eine freiwillige Arbeit, dafür braucht man sehr viel Ausdauer und muss sehr viel Zeit investieren. Da ich in dieser Gemeinschaft beliebt war, wollte ich Präsidentin sein. Ich habe schon früher begonnen, diese Rolle anzunehmen, ich habe an den Vorstandstreffen teilgenommen. Der vorherige Vorstand hat mir beigebracht, wie man eine Präsidentin sein soll.
SB: Was sind die Aufgaben der Präsidentin der GJU? Was sind deine tagtäglichen Verantwortungen und was sind denn so die größeren Projekte, die in den letzten Jahren realisiert wurden? Und welche Projekte planst du für die Zukunft?
Blanka: Die Aufgabe des Vorstandes ist es, die Richtlinien und die zukünftigen Pläne auszuarbeiten und das Team zu koordinieren, zusammenzuhalten. Auch wichtig ist das Vertreten der Organisation, das Halten von Reden, das Geben von Interviews, wie jetzt, und ich bin auch offen für Treffen mit Partnerorganisationen oder zukünftigen Partnern. Also ich, und auch wir als Vorstand versuchen immer an GJU-Programmen teilzunehmen und dort die engagierten Jugendlichen kennen zu lernen und die GJU bekannter zu machen. Wir vertreten die Organisation auch im Online-Raum, wir sind für die Facebook-Seite und Instagram-Seite der Organisation verantwortlich. Wir sammeln Ideen und wir versuchen neue Programme zu erfinden und zu verwirklichen.
SB: Was waren die Erfolge bei der GJU in deiner vorherigen Amtszeit, auf die du stolz bist?
Blanka: Da gibt es zwei wichtige Momente. 2019 war die GJU 30 Jahre alt und deshalb haben wir eine Kampagne gemacht. Wir haben eine Jubiläumsfahne gemacht und diese Fahne haben wir zu den Freundeskreisen gebracht, wir haben dort einen Tag verbracht und ein Foto mit dieser Fahne und mit den Jugendlichen aus diesem Freundeskreis gemacht. Wir haben mehr als 10 Fotos mit dieser Fahne und wir haben an Programmen von Freundeskreisen teilgenommen. Wir können immer ein oder zwei, drei, vier Freundeskreise in einem Jahr besuchen, aber 2019 konnten wir es schaffen ziemlich alle Freundeskreise aufzusuchen und ein bisschen Kontakt zu halten, und ein Foto zusammen machen.
SB: Du hast jetzt schon öfters die Freundeskreise erwähnt, ihre Zahl ist im letzten Jahrzehnt auf das Doppelte angewachsen. Wie kam es dazu? Was hat zur Popularität der GJU geführt oder wie kannst du diesen Zuwachs erklären?
Blanka: Ich denke, es ist wegen den persönlichen Treffen und weil wir die dort lebenden Menschen über die GJU informieren – wenn sie nichts über uns wissen, dann werden sie nicht gern mitmachen. Wir versuchen, unsere Programme immer über die Freundeskreise zu organisieren, aber es gibt auch Programme, die in einer solchen Ortschaft stattfinden, wo wir noch oder wieder keinen Freundeskreis haben. Und das ist eine gute Motivation für uns, mit den Menschen aus der Region oder aus dem Dorf zu versuchen, zusammen ein Programm zu organisieren und uns gegenseitig kennen zu lernen. Ich denke, die persönlichen Treffen sind ein guter Indikator in dieser Sache. Ich bin der Meinung, dass das der Erfolg unseres Vize-Vorsitzenden, Martin Surman-Majeczki, ist, da er sehr gut mit den Freundeskreisen umgeht, er ist gut beim „GJU-Marketing“.
SB: Was würdest du an der Organisation verändern, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Wo siehst du die größten Probleme der GJU?
Blanka: Bei den Auswirkungen der Pandemie, da für uns die persönlichen Treffen sehr wichtig sind. Deshalb war diese letzte Zeit ein bisschen hoffnungslos und hat alle ein bisschen unmotiviert gemacht, aber wir versuchen ein bisschen auch online aktiv zu sein und online Meetings zuhalten. Es ist auch ein großes Problem, dass es sehr schwer ist, die Jugendlichen zu motivieren. Ich bin der Meinung, dass die engagierten Jugendlichen oftmals zu beschäftigt und überfordert sind, weil, und dies ist meine persönliche Erfahrung, in mehreren Organisationen tätig sind, zum Beispiel bei Selbstverwaltungen oder Tanzgruppen, deshalb ist es schwer, Nachwuchs und neue Mitglieder zu finden. Es ist eine echte Herausforderung.
SB: Wenn ich mich richtig erinnere, hat Johann Schuth die GJU um 1990 gegründet. Habt ihr noch Kontakt zu den „alten Hasen“?
Blanka: Es hängt davon ab, zum Beispiel Johann ist der Chefredakteur der Neuen Zeitung und es gibt auch eine GJU-Seite in der Neuen Zeitung, weshalb wir wöchentlich in Kontakt mit ihm sind. Es gibt auch solche Gründungsmitglieder, die ihre Kinder zu der GJU schicken, z. B. Josef Emmert war auch ein Gründungsmitglied und die beiden Mädchen von ihm waren auch GJU-Mitglieder; Elisa ist Multiplikatorin und Bettina war Vizevorsitzende. So sieht es aus, aber es war schon vor mehr als 30 Jahren und es ist sehr schwer, mit ihnen zu kommunizieren. Aber wenn wir sie einladen möchten, dann kann uns Johann bei den Kontaktdaten helfen.
SB: Es ist recht zeitaufwändig, Studentin zu sein und ich bin auch überzeugt, dass es zeitaufwändig ist, Vorsitzende der GJU zu sein. Wie lässt sich das vereinbaren?
Blanka: Ja, ich bin Studentin, aber jetzt war mein letztes Semester und ich habe jetzt begonnen zu arbeiten. Es ist schwer, die GJU mit meinem Leben zu vereinbaren. Aber die anderen machen es auch so, also die Vizepräsidenten arbeiten und studieren auch. Deshalb können wir und aneinander anpassen, die Vorstandstreffen am Abend halten. Die Programme sind meistens am Wochenende und deshalb können wir uns dort treffen und dabei sein. Es ist schwer, wenn man jedoch Lust und den Willen hat, dann glaube ich, dass beides miteinander vereinbar sind.
SB: In den letzten Wochen haben wir widersprüchliche Informationen erhalten, wonach die Website der GJU nur noch auf Ungarisch erreichbar ist. Kannst du das irgendwie für uns kommentieren? Wir waren in der Redaktion auch ein wenig verblüfft darüber.
Blanka: Die Webseite der GJU ist immer ein bisschen problematisch, weil dafür braucht man Zeit und auch Geld und wir versuchten diese Webseite zu erneuern und deshalb ist es jetzt nur noch auf Ungarisch, weil wir noch in der Erneuerungsphase sind. Es ist auch eine Herausforderung, weil wir keinen Verantwortlichen dafür haben. Es ist einfacher für uns Vorstandsmitglieder, auf der Facebook-Seite zu posten. Und für die Webseite bräuchten wir einen Profi und bisher konnten wir das nicht machen.
SB: Ich möchte dich ein wenig über die Ungarndeutschen fragen. Mich interresiert, was deine Meinung über die aktuelle Lage ist? Wo du die Erfolge unserer Volksgruppe in den letzten 20-30 Jahren siehst. Gibt es eine ungarndeutsche Zukunft, und wenn ja, wie sieht diese aus?
Blanka: Ich bin der Meinung oder meine Erfahrung ist, dass wir als GJU gut gefördert werden, also wir haben keine finanziellen Probleme. Und ich denke, dass die Lage und die Interessen der Ungarndeutschen gut vertreten werden, weil wir die Landesselbstverwaltung haben, weil wir einen Abgeordneten haben und es gibt auch lokale Selbstverwaltungen. Ich denke, als Minderheit in Ungarn haben wir viele Rechte und wir haben auch viele Möglichkeiten.
SB: Siehst du die Gefahr des Kultur-, Identitäts- oder Sprachverlustes nicht als potenzielles Schicksal für die Ungarndeutschen?
Blanka: Doch, dieser Prozess kann beobachtet werden, weil früher, in unserem Dorf zum Beispiel, gab es viel mehr Menschen, die die Mundart gesprochen haben. Jetzt spricht niemand mehr die Mundart, also nur die alten Menschen, glaube ich. Es gibt einen Verlust, glaube ich, aber ich denke, das ist auch normal. Also auch die Ungarndeutschen sollen sich erneuern und sich dem 21. Jahrhundert anpassen.
SB: Wie sieht der Ungarndeutsche des 21. Jahrhunderts aus? Wie stellst du dir das vor?
Blanka: Ich denke, dass die Jugendlichen unterstützt werden sollen, weil sie die Zukunft sind. Aber trotzdem brauchen wir die Erfahrung der älteren Menschen und der älteren Generation. Ich bin der Meinung, dass es sehr schwer ist, herauszufinden, was die Jugendlichen mögen. Ich bin 22 Jahre alt, aber ich weiß nicht, was die Fünfzehnjährigen heutzutage machen. Es ist sehr schwer dem Trend zu folgen. Ich denke, dass vielleicht auch die GJU und vielleicht andere Organisationen ein bisschen mehr im Online-Raum dabei sein sollten. Das verlangt jedoch viel Zeit und Motivation. Also eine große Herausforderung ist es, wie bei uns, bei der GJU engagierte Menschen zu finden, weil sie beschäftigt sind und oftmals sind diese Rollen lediglich für Freiwillige. Ich denke, es ist auch oftmals freiwillig und ja, es ist sehr schwer sich mit dem Ungarndeutschtum nach der Arbeit zu beschäftigen.
SB: Möchtest du noch etwas unseren Lesern mitteilen?
Blanka: Folgt uns auf Social Media! Als Schlussgedanke möchte ich vielleicht sagen, dass diese letzte Zeit, die Zeit der Pandemie, eine große Herausforderung war, es war schwer für mich, aber auch die GJU. Meine Herzensangelegenheit ist die GJU und deshalb will ich immer mein Bestes geben. Wir erwarten engagierte Jugendliche aus dem ganzen Land bei uns. Schließt euch uns an und macht mit, wenn ihr Lust und den Willen dazu habt.
SB: Vielen Dank für das Interview!
Bild: zentrum.hu