Damit wir von der Jugend gehört werden

Interview mit Renata Ulbert, Erste Gemeinderätin und Vorsitzende der Deutschen Selbstverwaltung Surgetin/Szederkény

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SB: Frau Ulbert, Sie sind Vorsitzende der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung (DNSVW) Surgetin – erzählen Sie bitte ein wenig über sich selbst und darüber, was Sie dazu bewogen hat, dieses Amt anzunehmen.

R.U.: Ich lebe von meiner Geburt an in Surgetin – mit Ausnahme einiger Studienjahre, die ich in Budapest verbracht habe. Ungarndeutsche zu sein war für mich Selbstverständlichkeit, nach meinem Rückkehr nach Surgetin habe ich im Leben der Minderheit aktiv teilgenommen. 2006 hat mich unser damaliger Bürgermeister gebeten, den Posten der Vorsitzenden zu übernehmen. Das war eine große Ehre, so habe ich gerne Ja gesagt.

SB: Sie sprechen ausgezeichnet die Sprache der Ahnen, was leider keine Selbstverständlichkeit ist – woher kommt es?

RU: Das ist eigentlich interessant, denn bei uns in der Familie wurde – trotz deutscher Abstammung – leider nicht deutsch gesprochen. Zum Glück hatte ich eine Art „Tagesmutter”, Tante Ida Mayer, die selbst keine Kinder hatte, und tagsüber auf mich geschaut hat. Meine Mutter musste zurück in die Arbeit und ich wurde bei der Familie Mayer betreut. Dort sprach man ausschließlich die deutsche Muttersprache. Die Sprache, die Bräuche, das Essen – alles war dort zu 100% donauschwäbisch… Daher war es dann keine Frage, dass ich am Nationalitäten-Klassenzug des Klara-Leőwey-Gymnasiums weiterlerne. Von dort ging es dann an die Wirtschaftshochschule in Budapest, Fach Außenhandel und Internationale Kommunikation in Deutsch und Englisch.

Nach meinem Abschluss arbeitete ich 20 Jahre lang ausschließich für österreichische und deutsche Firmen als Regionalleiterin in Ungarn. Heute – ausgestiegen aus der Tretmühle des multinationalen Geschäftslebens – lebe ich meinen Traum und führe meine Pension im Heimatort Surgetin, wo ich hauptsächlich deutsche und österreichische Gäste habe. So ist der alltägliche Gebrauch der deutschen Sprache gewährleistet, aber ich nutze auch jede Möglichkeit, mit den wenigen Menschen, die noch richtig „Schwäbisch” können, die alte Muttersprache zu benutzen.

Als Erste Gemeinderätin der Gemeinde bin ich für die ausländischen Kontakte der Gemeinde zuständig, so pflege ich unsere Kontakte zu den deutschen und österreichischen Partnergemeiden. Da bleibt man leicht in Übung.

SB: Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit als Vorsitzende?

RU: So hart und traurig es auch klingt, ist die ungarndeutsche Mundart meines Erachtens leider nicht mehr zu retten, obwohl das lange mein Traum oder eher Ziel war, diese Mundart für die Gegenwart und Zukunft zu bewahren. Die Generation, die noch die Sprache der Ahnen alltäglich gebraucht hat, ist leider am Aussterben. So bleibt uns nichts anderes, als wenigstens die hochdeutsche Sprache für unsere Volksgruppe als verbindendes Element zu forcieren. Deswegen unterstützen wir den Sprachunterricht im Kindergarten und in der Grundschule mit allen möglichen Mitteln. Wir organisieren Schüleraustausche mit unserer Partnerschule in Österreich, und auch ein Projekt, wo österreischische Lehrerinnen zeitweise bei uns in der Schule unterrichten.

Wir legen auch großen Wert auf die Jugend, auf die Stärkung ihres Nationalitätenbewusstseins. Wir sprechen sie an mit Festen, an den sie gerne teilnehmen, organisieren Programme für sie, wo sie sich wohlfühlen. Der Kontakt mit Jugendlichen aus dem deutschsprachigen Ausland ist da von unglaublich großer Wichtigkeit.

Ein neues Projekt ist für uns ab dieses Jahr – zusammen mit der Gemeinde – die Renovierung des Landhauses, und darin die Errichtung eines neuen, dem Zeitgeist entsprechenden Museums, wo wir unsere Traditionen und die Lebensweise unserer Ahnen den Nachfahren zeigen können. Da planen wir es auch, unbedingt die Jugend mit einzubeziehen, damit sie es hautnah erleben, wie ihre Ahnen gelebt haben, damit sie es vielleicht mehr zu schätzen lernen.

SB: Welche Erfahrungen haben Sie als DNSVW-Vorsitzende in all den Jahren gesammelt?

RU: Wir haben zum Glück ein sehr unterstützendes Umfeld, die Zusammenarbeit mit der Gemeinde ist musterhaft, so liegt unserer Arbeit echt nichts im Wege.

Seit den letzten Wahlen vor einem Jahr hat sich die Zusammensetzung des Gemeinderates ziemlich verändert, die neue Führung ist aber genauso entgegenkommend wie die vorherige war, wenn nicht noch etwas mehr. Hinzukommt, dass ich selbst Erste Gemeinderätin geworden bin, also wurde die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und DNSVW noch effektiver.

SB: Sie sind in Surgetin aufgewachsen – inwiefern hat sich die Gemeinde in den letzten Jahrzehnten verändert?

RU: Wie ich bereits oben erwähnt habe, und was mir am meisten Leid tut, ist, dass der alltägliche deutsche Sprachgebrauch und damit die Mundart am Verschwinden ist. Der Globalisierung und der wirtschaftlichen Situation zufolge haben viele Jugendliche das Dorf verlassen und sind nach Deutschland oder Österreich ausgewandert. Meistens war das nur provisorisch gemeint, aber ob sie jemals wiederkommen…? Diese Art von Auswanderung betrifft unser Dorf – und im Allgemeinen die ungarndeutschen Dörfer – noch viel mehr als andere, da hier die meisten doch zu einem gewissen Grad die Sprache beherrschen und so im deutschsprachigen Ausland besser zurechtkommen.

Unser Dorf ist aber trotz allem noch in einer ganz guten Situation: Wir haben – dank einer großen deutschen Firma, die bei uns ansässig ist und um die 400 Leute beschäftigt – gute Arbeitsmöglichkeiten und keine Arbeitslosen, und nicht zuletzt gute Gewerbesteuereinnahmen. Ein jeder, der Deutsch kann und fleißig ist, kann bei dieser Firma gut vorankommen. So erleben die Leute hier hautnah, wie wichtig die deutsche Sprache für sie ist.

Infrastrukturmäßig können wir auch nicht klagen, Surgetin hat alles, was ein Dorf braucht: Kindergarten, Grundschule, Ärzte, Apotheke, die Nähe einer Großstadt mit hervorragender Busverbindung, die Autobahn, aber auch das für Dörfer so typische Zusammenhalten und freundschaftliche Verhältnis unter den Bewohnern ist noch aufzufinden.

SB: Wenn wir die Gesamtheit der Ungarndeutschen betrachten – wo drückt der Schuh, d. h. was sind die größten Herausforderungen für die Gemeinschaft?

RU: Als größte Herausforderung sehe ich die Frage, wie man unsere Jugend ansprechen kann. Heutzutage werden nicht nur wir Minderheiten, sondern fast alle Teile der Gesellschaft damit konfrontiert. Lehrer, Eltern, Jugendbetreuer. Es gab schon immer Spannungen zwischen den Genarationen, jedoch heutzutage, der extremen Verbreitung der digitalen Technologie zufolge hat sich diese Lage verschärft: Wir müssen uns anpassen und die Jugend auf neuen, digitalen Wegen ansprechen, sonst laufen wir Gefahr, dass wir gar nicht gehört werden.

SB: Sie gehören der jüngeren Generation an, der man oft fehlendes oder mangelndes Interesse an der Gemeinschaft unterstellt – deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

RU: Ganz im Gegenteil, ich kann in Surgetin über ganz positive Tendenzen berichten. Auch die Deutsche Selbstverwaltung wurde bei den letzten Wahlen neu definiert, wir haben ein Durchschnittsalter von nur 38 Jahren, unser jüngstes Mitglied ist gerade erst 21 Jahre jung. Damit wollen wir die Jugend auch ansprechen und zeigen, dass das Ungarndeutschtum nicht etwa ein Anliegen der Groß- und Urgroßeltern ist.

SB: Welche Rolle spielt nach Ihren Erfahrungen die deutsche Sprache im Leben der Gemeinschaft? Gibt es neben der deutlichen Tendenz des Verschwindens des Mundartgebrauchs, so des Stifoldischen, auch positive Entwicklungen?

RU: Das Verschwinden der Mundart ist meines Erachtens leider nicht mehr aufzuhalten, das müssen wir leider hinnehmen, wenn es noch so weh tut.

So ist die globale Welt nun mal…

Aber die Globalisierung, die auch hierzu beigetragen hat, hat auch positive Auswirkungen, und zwar durch die Bedeutung der hochdeutschen Sprache als verbindendes Element.

Erlauben Sie mir bitte, dazu ein Erlebnis von mir zu teilen, das mein Herz erwärmt hat. Vor sieben oder acht Jahren kamen wir in Surgetin auf die Idee, etwas Besonderes für die ungarndeutsche Jugend zu bieten: ein Musikfest, wie man es in Österreich kennt, mit einer österreichischen Kapelle, mal etwas Größeres, etwas Besonderes…

Die österreischischen Musiker (die „Jungen Paldauer”), die zwar im östlichen Grenzbereich, in Paldau in der Steiermark, wohnten, und trotzdem nicht viel Ahnung von Ungarndeutschen hatten, haben auf ihrer Reise hieher den ganzen Weg lang diskutiert: Was spielen wir da überhaupt? Wie werden uns die Leute dort verstehen, wir können doch kein Wort Ungarisch…

Mit diesen Gedanken traten sie auf die Bühne bei uns. Was nachher kam, hat alle Erwartungen übertroffen. Die Jugend hat mitgesungen, getanzt, kannte alle Lieder, und hat sie in den Pausen überstürmt. Man hat alles verstanden, alle haben deutsch gesprochen und haben die Musiker so freundlich aufgenommen, wie sie nie erwartet hätten.

Seitdem spielen sie jedes Jahr und immer sehr gerne bei uns und es ist jedes Mal ein Festakt und ein besonderes Ereignis der ungarndeutschen Jugend. Ungarndeutsche Identität, Zusammengehörigkeit, deutsche Sprache als verbindendes Element – das alles ist da hautnah zu erleben – und Musik verbindet.

SB: Wie sehen Sie insgesamt die Zukunft der deutschen Gemeinschaft?

RU: Im Grunde bin ich optimistisch, nicht nur, weil das einfach meine Art ist, sondern weil ich viele positive Beispiele sehe um mich herum.

Gewisse Dinge werden leider einfach verschwinden, das ist mit dem Aussterben der älteren Generation nicht aufzuhalten. In 30 Jahren wird bestimmt keine Hausfrau mehr – wenn es gar noch sowas wie „Hausfrau” geben wird – Schupfnudeln oder Hefeknedl zu Essen kochen. Auch die Mundart wird nur mehr auf Bänder oder Aufnahmen im Internet existieren.

So hart es auch klingt…

Wenn wir aber in den Kindergärten und Schulen unsere Kinder bewusst erziehen, wenn wir bei Festen zusammenkommen, wo wir uns wohlfühlen, und das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu spüren bekommen, wird sich unsere Volksgruppe bestimmt noch eine gute Weile aufrechtbleiben. Ich möchte es wenigstens glauben, und werde mich bestimmt auch in der Zukunft dafür engagieren.

SB: Frau Ulbert, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Richard Guth.

Foto: Facebook-Seite von Renata Ulbert

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