Anerkennung muss verdient werden – Johann’s Kapelle aus Waschludt im Gespräch

Von Richard Guth

Es begann wieder mit einem geteilten Inhalt – eine Einladung zu einer Veranstaltung des „német kórus” und der „német önkormányzat”, akkurat einsprachig ungarisch gehalten. Ich wechselte daraufhin auf die Seite der Person, die diesen Inhalt der „német önkormányzat” geteilt hat. Beim Stöbern bin ich auf einen anderen geteilten Inhalt aufmerksam geworden: den der Johann’s Kapelle aus Waschludt/Városlőd im Komitat Wesprim. Die Einladung galt einem Schwabenball in der Umgebung, beworben zweisprachig, was kein einmaliges Ereignis zu sein scheint, denn Veranstaltungen werden auf der Facebook-Seite der Gruppe generell zweisprachig beworben und besonderen Anlässen wie Weihnachten, Neujahr und Ostern zweisprachig gedacht. In der letzten Nummer des Sonntagsblattes haben wir eine Kapelle mit jungen Mitgliedern vorgestellt, die Johann’s Kapelle hingegen gehört zu den ältesten ungarndeutschen Musikgruppen des Landes und wurde vor fast 30 Jahren, 1991, gegründet. Unser Interview haben wir in deutscher Sprache geführt.

SB: Fangen wir mit der Bezeichnung der Kapelle an: Wer ist eigentlich Johann?

JK: Johann ist unser Akkordeonspieler, der übrigens ein Gründer unserer Kapelle ist. Nach ihm wurde die Band benannt und seit der Gründung der Kapelle leitet er das Ensemble.

SB: Die Kapelle kommt aus Waschludt und feiert nächstes Jahr ihren 30. Geburtstag. Was ist geblieben und was hat sich verändert in den letzten 29 Jahren im Leben, in der musikalischen Ausrichtung und in der personellen Besetzung der Kapelle?

JK: Drei Jahrzehnte sind ein langer Zeitraum und während dieser Zeit hat sich sowohl natürlich die musikalische Ausrichtung erweitert als auch die Besetzung der Kapelle verändert. Im Gründungsjahr waren wir zu viert und diese erste Formation hat 5 Jahre lang zusammen gespielt. Erst dann wurde die Johann’s Kapelle um zwei weitere Mitglieder erweitert, mit denen wir ebenfalls 5 Jahre lang in unveränderter Formation musiziert haben. Derzeit sind wir zu siebt und in den letzten 20 Jahren fanden einige Änderungen bezüglich der Besetzung bereits statt. Die Fluktuation innerhalb der Band war aber unbeträchtlich, mit einigen ehemaligen Kollegen haben wir sogar 20 Jahre zusammen gespielt. Übrigens wird sich die Besetzung nach vielen Jahren heuer wieder verändern.

Seit dem Bestehen der Kapelle wurde unser Repertoire natürlich immer weiterentwickelt und auch an den Bedarf des Publikums kontinuierlich angepasst. Als ungarndeutsche Kapelle halten wir es aber immer für wichtig, auch traditionelle donauschwäbische Lieder auf unserem Programm zu halten. Am Anfang haben wir auch lokale ungarndeutsche Volkslieder gesammelt und bearbeitet. Einige dieser Lieder sind Ende der 90er Jahre auf einer CD-Sammlung (2. Tanzhaustreffen in Fünfkirchen, 1999) erschienen.

Heutzutage ist die musikalische Vielfalt eine Erwartung unseres Publikums, aber der Anteil der deutschsprachigen Musik innerhalb des Repertoires beträgt noch immer 70-80%. Wir haben uns seit der Gründung der Johann’s Kapelle für die (ungarn)deutsche musikalische Tradition engagiert und wir bleiben nach wie vor auf diesem Weg. Für diese Tätigkeit wurde die Johann’s Kapelle vor zwei Jahren (2018) mit der höchsten Auszeichnung, dem Ehrenpreis der Ungarndeutschen im Komitat Wesprim, geehrt. Auf dieses Ehrenzeichen sind wir natürlich sehr stolz.

In dem deutschsprachigen oder deutschgeprägten Raum Europas sind viele musikalische Stilrichtungen zu finden wie z.B. böhmische Blasmusik, österreichische volkstümliche Musik, Oberkrainer Musik, deutsche Schlager usw. , welche wir mit den neuen Trends auch bei der Gestaltung unseres Programms berücksichtigen müssen. Diese Vielfalt spiegelt sich natürlich auch auf unserer letzten CD (Unterwegs nach…, 2016), die vor vier Jahren erschien, wider.

SB: Die Mitglieder der Kapelle üben verschiedene Berufe aus: Neben Betriebswirten findet man auch Werkzeugmacher und Gastronomen – ist also Musik für Sie Hobby oder Beruf(ung)?

JK: Als wir die Johann’s Kapelle gegründet haben, waren wir praktisch noch Jugendliche. Aber wir wussten schon damals, dass wir aus dieser traditionellen Musik profimäßig nicht leben können. Jeder hat einen bürgerlichen Beruf gelernt und die Musik blieb für uns eine wichtige Freizeitbeschäftigung. Aber dieses Hobby ist so eine ausschlaggebende Tätigkeit in unserem Leben, dass die Musik für viele von uns immer als eine Berufung gilt.

SB: Ich bin durch einen zweisprachigen Facebook-Post auf Sie aufmerksam geworden – welche Rolle spielt für Sie die deutsche Sprache bzw. die Zweisprachigkeit?

JK: Die meisten Mitglieder der Johann’s Kapelle verfügen über ungarndeutsche Wurzeln. Das Ungarndeutschtum haben wir von zu Hause mitgebracht und die Pflege der donauschwäbischen Tradition hat unsere Kindheit schon früh geprägt. Einige Großeltern und Eltern von uns haben in dem örtlichen ungarndeutschen Gesangverein mitgesungen oder in der Tanzgruppe getanzt.

Die Generation unserer Großeltern hat zu Hause sowie in dem Dorf noch „schwäbisch” geplaudert. Diese Grundlagen haben auf unsere Einstellung zu der deutschen Sprache gewirkt und dementsprechend spielt die Zweisprachigkeit eine bestimmende Rolle in unserem Leben. Eben deshalb finden wir es wichtig, die Nachrichten auf unserer Facebook-Seite (https://www.facebook.com/JohannsKapelle) auch zweisprachig zu posten. Übrigens halte ich die Zweisprachigkeit für ein Geschenk von dem Schicksal.

SB: Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten drei Jahrzehnten bezüglich der Stellung, Bedeutung und des Gebrauchs der deutschen Sprache bei den Ungarndeutschen gesammelt?

JK: Die Gründungszeit der Johann’s Kapelle fiel mit den ersten freien deutschen Minderheitenwahlen in Ungarn zusammen. Wir konnten hautnah erleben, wie schnell sich nach langen Jahrzehnten die Ungarndeutschen wieder gefangen haben. Reihenweise wurden sowohl deutsche Minderheitenselbstverwaltungen in Ungarn als auch neue ungarndeutsche Kulturgruppen gegründet. In vielen Dörfern durften die Kinder in den Grundschulen wieder deutsch lernen, d.h. ab den 1990er Jahren gab es einen Aufschwung beim Lernen der deutschen Sprache.

Es muss aber auch erwähnt sein, dass nach der Vertreibung der Ungarndeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg leider eine große Lücke bei der Überlieferung der deutschen Sprache im Komitat Wesprim und vielleicht auch landesweit in Ungarn blieb. Wegen des Sprachverbots konnten die hiergebliebenen Ungarndeutschen ihre Sprache nur teilweise bewahren. Wir haben vor ca. 30 Jahren auch feststellen können, dass der Gebrauch der deutschen Sprache in vielen Orten sogar bereits bei zwei Generationen fehlt. Die Generation unserer Großeltern hat damals ihre deutschen Dialekte noch problemlos beherrscht, aber bei ihren Kindern ist die Sprache verloren gegangen. In den letzten drei Jahrzehnten ist die deutsche Sprache bei den Ungarndeutschen meines Erachtens wieder wichtig geworden, aber die verschiedenen Dialekte, die wir vorher über 300 Jahre lang bewahrt haben, haben wir leider verloren.

SB: Wenn wir zum eigenen Selbstbild zurückkehren: Wie würden Sie sich definieren? Schwaben, Ungarndeutsche, Ungarn/Madjaren?

JK: Identität und Zugehörigkeitsgefühl sind derzeit sehr aktuelle Themen, die bei vielen Minderheiten und ethnischen Gruppen weltweit wieder eine große Bedeutung haben. Auch wir dürfen natürlich nicht vergessen, woher unsere Vorfahren ursprünglich gekommen sind. Aber wir leben in Ungarn, wir verfügen über die ungarische Staatsangehörigkeit, wir beherrschen die ungarische Sprache, daher sind wir einerseits Ungarn. Anderseits haben wir daneben deutsche Wurzeln, Gewohnheiten und Denkweise. Eben deshalb würde ich uns selbst als Ungarndeutsche definieren.

SB: Wie bewerten Sie die gegenwärtige Lage der Ungarndeutschen, insbesondere auch in Ihrem eigenen Umfeld in Waschludt und Umgebung?

JK: Die Anzahl der Ungarndeutschen in Waschludt und in den umliegenden Dörfern ist der Vertreibung zufolge nach dem Zweiten Weltkrieg stark zurückgegangen. Trotzdem befand sich Waschludt immer in einer außergewöhnlichen Situation, da die hier existierenden ungarndeutschen Kulturgruppen während der Zeit vor der politischen Wende durch das politische Regime geduldet worden waren. Glücklicherweise hat Waschludt auch derzeit eine führende Rolle auf dem Gebiet der ungarndeutschen Kulturerhaltung im Komitat Wesprim.

Die Kinder lernen schon im Kindergarten deutsch, des Weiteren dürfen wir unsere Kultur frei pflegen, unsere Sitten an die nächste Generation weitergeben sowie unsere ungarndeutsche Selbstverwaltung wählen.

Aber nicht nur in unserer kleinen Umwelt können wir mit unserer Rechtslage zufrieden sein, wir sind auch landesweit gut aufgestellt. Wir dürfen einen ungarndeutschen Abgeordneten ins ungarische Parlament delegieren und Ungarn hat als erstes und bislang einziges Vertreiberland in Mittel- und Osteuropa einen nationalen Gedenktag zur Erinnerung an die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzlich verankert. All diese Faktoren beweisen, dass derzeit die Ungarndeutschen sowohl gesellschaftlich als auch politisch eine hochgeschätzte Minderheit in Ungarn sind.

SB: Zum Schluss eine etwas provokative Frage, die ich schon vielen Kapellenmitgliedern gestellt habe: Hat das Ungarndeutschtum eine Zukunft?

JK: Mehr als 300 Jahre leben die Ungarndeutschen hier in diesem Land und diese Minderheit hat während dieser Zeit bereits zahlreiche und „wilde” historische Ereignisse überlebt. Trotz der vielen Drangsale blieb diese Minderheit stark und konnte ihre Sprache und Identität sowie ihren Stolz bewahren. Heute sind die Ungarndeutschen in der Gesellschaft in Ungarn gut positioniert und es ist „schick” ungarndeutsch zu sein.

Wir stellen mit großer Freude fest, dass in den letzten Jahren an unseren Auftritten immer mehr Jugendliche teilnehmen und die Nachfrage vom Publikum nach niveauvoller Livemusik hoch ist. Jedes Jahr treten wir bei voll ausgebuchten Veranstaltungen wie Schwabenbällen auf, sowohl in Waschludt und landesweit als auch im Ausland – wie z.B. auf dem Bundesschwabenball der LDU in Gerlingen (2019). Ich glaube, es beweist auch, dass es ein großes Interesse für die (ungarn)deutsche Kultur gibt und das Ungarndeutschtum auf jeden Fall eine Zukunft hat. Aber alle, die sich als Ungarndeutsche fühlen, müssen in der Zukunft weiter daran arbeiten, dass diese Anerkennung so bleibt.

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