Koblenzmythos gegen das Vergessen: Deutsche in Südsala

Von Zsófia Hohl

Wenn wir an das traditionelle Siedlungsgebiet der Donauschwaben denken, Komitat Sala, und die nördlich von Großkirchen (Nagykanizsa) liegenden Kleindörfer fallen uns zuerst sicherlich nicht ein-jedoch mehrere, aus verschiedenen Aspekten besondere, mit einmaliger Siedlungsgeschichte brüstende Gemeinden blieben in dieser weltfernen Ecke Ungarns vor dem breiten Publikum und den mit dem Ungarndeutschtum beschäftigenden Forschern  unbekannt.

Vor 417 Jahren, am 22. Oktober 1600 wurde die Burg Kanizsa von den Türken eingenommen, und damit übte die osmanische Herrschaft ihre Macht über die hiesige Bevölkerung grausam aus, infolgedessen wurde die Landschaft mit seinen Siedlungen völlig entvölkert. Nur erst nach der Zurückeroberung Kanizsas 1690 konnte das Leben hier wieder beginnen, auch der Verkehr der Besitze sprang wesentlich an. Bereits 1700 bemühte der Burgherr von Großkirchen, Baron Farkas Kristóf von Schenkendorf sich, seine um Großkirchen liegenden Güter mit Ausländern zu bevölkern, aber diese Bestrebungen wurden noch infolge des Rákóczi-Aufstandes verhindert. Endlich, fielen die Schenkendorf-Felder 1717 in die Hand vom kaiserlichen Oberst Baron Ferenc  von Esch, der die Besiedlung der Donauschwaben initiierte und durchsetzte. Über die Umstände der Besiedlung und das weitere Schicksal der Dörfer dienen nur die Forschungen von Lőrinc Balla und Zsófia Hohl mit Informationen, daneben machen die  bisher bekannten wenigen Daten die noch ausführlichere Bearbeitung unmöglich.

Es scheint sicher, dass die Kolonisten, die die heutigen Dörfer Freiwies (Fűzvölgy), Langwies (Hosszúvölgy), Homokkomárom, Korpowar (Korpavár), St. Niklau (Magyarszentmiklós) und Obernak (Obornak) besiedelten, kamen aus der rheinländischen Stadt Koblenz und deren Umgebung (damals gehörte Koblenz zum sogenannten „Kurrheinischen Reichskreis”) nach Komitat Sala. Von Lőrinc Balla erfahren wir, dass am Anfang des 18. Jahrhunderts kalte Sommer mit ständigem Regen und Hagel das Wetter in der Umgebung von Koblenz dominierte, weswegen die Ernte unvorstellbar war, nochdazu überflutete die zwei großen Flüsse, die Mosel und der Rhein die benachbarten Ackerböden. Die ungünstige Klima und die unsichere historische Situation brachten immer größere Unzufriedenheit, wodurch lange Züge  die Richtung nach Ungarn unerwarteterweise nahmen, Österreich war auch gezwungen, seine Grenzen abzusperren. Der damals in Koblenz herrschender Kurfürst verbot die Umsiedlung ausgesprochen- nach unseren Kenntnissen kam ein illegales Rekrutierungsbüro im Metternich-Gehöft zustande denen, die nach Ungarn aussiedeln wollten. Das Büro wurde wahrscheinlich vom Großvater des Kanzlers Clemens Lothar Metternich betrieben, der gute Kontakte mit dem ebenfalls aus Koblenz stammenden Baron von Esch pflegte. So durch das Treffen der historischen Bezüge und der persönlichen Interessen verwirklichte die Einsiedlung der Koblenzer Deutschen sich im Komitat Sala, wessen wahrscheinlichtster Zeitpunkt das Jahr 1722 war. Da die Rekrutierung und die Fahrt der Kolonisten geheim geschahen, konnte kein Namensverzeichnis von den Einsiedlern geschrieben werden- während seiner Forschungsarbeit fand Lőrinc Balla doch einen in Stuttgart 1940 verfassten Brief, der über solche Familien berichtet, die direkt aus Koblenz stammten: Nith, Hohl, Runkel, Kuhlich, Noll, Kling, Weier, Lang, Krimel, Schmidt, Mauer und Müller-Familien.

Vom weiteren Schicksal, Wechsel der Identität und Sprache der Donauschwaben sind unsere Kenntnisse lückenhaft. Laut der ersten Volkszählung 1757 lebten zirka 140 Familien , mehr als 700 Menschen in diesen 6 Siedlungen. In der Beschreibung von Pál Körmendy aus dem Jahre 1896 ist es zu lesen, dass die „Schwaben die sandigen Böden durch fleißige Arbeit fruchtbar machten und anerkannte Schulen gründeten”. Die Assimilation lief hingegen schnell: bei der Volkszählung 1880 bekannte nur 0,5% der 1500-köpfigen Bevölkerung der 6 Dörfer sich in der Frage der Muttersprache deutschsprachig, und in diese Tendenz blieb auch bis zu den 2000-er Jahren unverändert. Warum können wir trotz alledem von Salaer Schwaben reden? Was hält den Mythos dieser kleinen Gemeinde lebendig?

Aus den in Homokkomárom, Freiwies, Langwies und St. Niklau verrichteten Fragebogen-Forschungen Zsófia Hohls ergibt es sich, dass die Ortschaften auch heute als „genetisch konzentriert” gelten, zumindest die Hälfte der jetzigen Bevölkerung kann die Nachkommen der ersten Kolonisten sein. Die Bewohner kennen die Geschichte der Dörfer, und sind sehr stolz darauf, dass eine Art des schwäbischen Selbstbewusstseins in ihnen lebt, wonach sie sich von den anderen Nachbargemeinden unterscheiden, aber niemand spricht schon die Sprache mehr- laut den Erzählungen der Älteren gab es  eine Generation in der Zeit der Jahrhundertwende, die die deutsche Sprache, oder die Mundart kannte, jedoch sie verwendete bei der alltäglichen Kommunikation selten. Nach der Wende 1989 war die Möglichkeit offen, Nationalitätenselbstverwaltungen zu gründen, womit auch die Südsalaer lebten. Noch vor der Gründungswelle im jahre 1995 nahmen die Vorsteher der Ortschaften Freiwies, Langwies und St.Niklau den Kontakt mit der Stadt Koblenz auf. In den Dörfern ist diese Verbindung als Identitätselement noch heute bemerkbar, trotzdem, dass bisher nur wenige Koblenz besuchten, und darüber hinaus, dass die Rheinstadt kein Interesse an Zusammenarbeit zeigt. Die Kontaktaufnahme beitrug hingegen zur Wiederentdeckung der Identität der Einheimischen heilsam: In Freiwies 1998, daneben St. Niklau 2002 wurden zwei Nationalitätenselbstverwaltung ins Leben gerufen (Langwies hat solches Organ nur seit 2010, genau in diesem Jahr gründete die Gemeinde Homokkomárom ihre eigene N.Selbstverwaltung, welche 2014 aufgelöst wurde). Die Bindung zum Schwabentum erschien auch in den Statistiken der Volkszählungen 2001 und 2011.

Was könne denn die Zukunft für diese kleinen Südsalaer Gemeinden bringen? Die Betreibung der Nationalitätenselbstverwaltungen , die Programme (Advent-Veranstaltungen, gemeinsame Reisen, Chortreffen), diese alle sind  der Tätigkeit mancher begeisterten Menschen zu verdanken, also für die Zukunft ist es wichtig, dass sie im Dienst der Gemeinden verbleiben. Der limitierte Haushalt der Kleindörfer ermöglicht die Verwirklichung grandioser Pläne leider nicht, dennoch hängen die Identitätspflege, deren weitere Entdeckung nicht unbedingt von den Finanziellen ab. Es wäre ja die Stärkung der Beziehungen zwischen den Gemeinden nötig, früher gab es mehrere Initiativen dafür (beispielsweise die in den 4 Ortschaften gemeinsam organisierten Berge-Tälertage). Für die Weitergabe des schwäbischen Selbstbewusstseins sollten die Jugendlichen eine sehr wichtige Rolle bei der Organisierung bekommen. Es besteht die Möglichkeit, Kulturvereine zu gründen, oder eine Ausstellung über die lokale Volkskunde zu organisieren, aber wegen des Sprachverlustes und der Erblassung der dörflichen Bräuche fehlt das lokale Wissen dazu: diese Arbeit würde äußere Hilfe benötigen, auch vielleicht von den von hier Stammenden- jedoch , die Ortschaften eintreffend, ihre wildromantischen Straßen durchschweifend kann jeder auch in der Gegenwart die Spuren der Schwaben entdecken, und von den freundlichen Bewohnern Geschichte aus der Vergangenheit hören, worin sie manchmal verdächtig deutsche Lehnworte schmuggeln.

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