Gespräch mit Frank-Thomas Ziegler, leitender Mitarbeiter der evangelischen Honterus-Gemeinde Kronstadt und Mitorganisator des Evangelischen Kirchentages 2017, anlässlich des Reformationsjubiläums
SB: Sie haben als Gemeinde anlässlich des 500. Jubiläums der Reformation einen evangelischen Kirchentag mit Bibelarbeiten, Gottesdiensten, Ausstellungen, Stadtrallyes und Gesprächsrunden veranstaltet. Welches Fazit ziehen Sie nach dem Großereignis?
FTZ: Für die vielen, die aufgrund der Familientradition Mitglieder der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien sind, war das Kirchentagsthema sicher mit einem Aha-Erlebnis verbunden: Dass man sich durchaus die Frage stellen könne, was es überhaupt bedeutet, evangelisch zu sein. Wir wollten keinen Kirchentag, an dem wir uns wieder einmal mit pathetischen Worten unsere eigenen historischen Leistungen und die der alten Reformatoren vor Augen halten, um uns selbst Mut zu machen oder Recht zu geben. Einen Kirchentag, an dem wir erneut über die drängendsten Zeitfragen unserer Kirche predigend hinwegbügeln, mochten wir nicht leiden. Wir wollten dem Reformationsjubiläum mit einer kritischen Selbstbefragung Ehre erweisen: Was ist das Aktuelle an dieser Konfession? Was ist das Eigentümliche an ihr und wie stehe ich ihrem offiziellen Bekenntnis als Gläubiger des 21. Jahrhunderts mit meiner individualistischen Gottesvorstellung gegenüber? Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich unsere Gemeinschaft gewandelt; sie ist viel stärker ethnisch durchmischt – was hat sich dann auf der Ebene des Glaubens getan? Was ist gleich geblieben, was hat sich gewandelt? Wir hatten nicht die Hoffnung, im Rahmen einer kurzen Jubiläumsfeier ad hoc zu weitreichenden Einsichten (etwa auch über die intimen Beziehungen zwischen katholischem und evangelischem Glauben) zu gelangen; wir hofften vielmehr, einen ersten Impuls zum Nachdenken über das Konfessionsspezifische zu geben, und das scheint uns hier und da gelungen zu sein. Es wäre darüber hinaus für uns erfreulich, wenn wir mit unserem Kirchentag auch Menschen, die anderen Kirchen angehören, dazu bewegt haben sollten, sich ihnen vertieft zuzuwenden.
Für einige Verwirrung hat unser Thema „Evangelisch in Rumänien” natürlich dennoch gesorgt. In einer schwindenen Diasporakirche, in der sich die Verzweiflung, überleben zu wollen, und das Bedürfnis nach konfessioneller Selbstachtung täglich in die Waagschale geworfen finden, wird vor allem bei größeren Ereignissen eine der ökumenischen Eintracht zuarbeitende Wortwahl und Diskursführung gern gehört. Ökumenisch zuträglich formulierte Themenstellungen sind in manchen Kreisen populär und kirchenpolitisch plakativ verwertbar. Es bedarf selbst in einer Kirche, die das Augsburger Bekenntnis im Namen trägt, schon einigen Mutes und besonderer Beharrlichkeit, die Frage nach dem Konfessionsspezifischen zum Thema eines Kirchentags zu erheben.
SB: Bemerkenswert fand ich die Dreisprachigkeit der Broschüre, die Sie anlässlich des Kirchentages herausgegeben haben. Welchen Anteil hatten die rumänisch- und ungarischsprachigen Evangelischen beziehungsweise Kronstädter am Zustandekommen des Kirchentages?
FTZ: Die Initiative zu diesem Kirchentag erfolgte aus den Reihen der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Auf Wunsch der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt, die auch erbeten hatte, das Thema bestimmen zu dürfen, erging an die Glaubensbrüder der ungarischsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien die Einladung, den gesamten Kirchentag gemeinsam zu gestalten. Wenn die beiden evangelischen Kirchen das Reformationsjubiläum getrennt gefeiert hätten, wäre dies uns Kronstädtern ja auch recht absurd vorgekommen. Während wir den Kirchentag dann vorbereiteten, mussten wir Deutsche überrascht feststellen, dass wir inzwischen bereits Hunderte von Mitgliedern haben, die entweder selbst rumänischsprachig sind oder rumänischsprachige Familienmitglieder haben. Mit den Organisatoren des Kirchentags traten demnach zwei Kirchen zusammen, in denen sich die drei Sprachgruppen zusammenfinden. Insofern hatten alle entscheidenden Anteil an dem Kirchentag. Dass sich diese schöne Situation in einer dreisprachigen Broschüre und nicht etwa in drei nach Sprachen getrennten Heftvarianten niederschlagen musste, war uns von Beginn an ein besonderes Anliegen.
SB: Kann man behaupten, dass Dreisprachigkeit (immer noch) gelebte Realität in Kronstadt ist?
FTZ: Aber sicher! In der Großstadt Kronstadt und in deren Einzugsgebiet leben Tausende von Ungarn. Unsere deutschsprachige Kronstädter Gemeinde zählt auf Papier noch 950 Mitglieder. Die Gemeinschaft der Germanophilen ist aber sehr viel größer: In den Kronstädter Schulen mit deutscher Unterrichtssprache unterrichten heute zahlreiche rumänische Lehrer auf Deutsch rumänische Kinder. Grund für diese bemerkenswerte Situation ist vor allem das hohe Ansehen, das die deutsche Kultur dank der deutschen Minderheit in Rumänien genießt. Zu diesem Faktor ist in den letzten Jahren ein weiterer getreten: Die deutschen Unternehmen, die heute in Kronstadt ansässig geworden sind, haben einen erheblichen Bedarf an Fachkräften mit Deutschkenntnissen. Das Beherrschen der deutschen Sprache stellt für Arbeitsplatzbewerber einen signifikanten Wettbewerbsvorteil dar.
SB: Eine der Veranstaltungen hatte das Thema, evangelisch in Siebenbürgen beziehungsweise Rumänien zu sein. Wie würden Sie Evangelischssein im heutigen Rumänien definieren, gerade im Vergleich zu den „Volkskirch”-Zeiten vor 1989?
FTZ: Evangelisch-Sein in Rumänien bezeichnet eine spezifische Lebenssituation. Sie unterscheidet sich inzwischen auch deutlich von der Situation jener ehemaligen Mitglieder der deutschen Minderheit Rumäniens, die vor oder nach dem politischen Umbruch von 1989 nach Deutschland ausgewandert sind. Die Perspektive dieser Ausgewanderten ist mehrheitlich retrospektiv. Sie suchen das Siebenbürgen oder Rumänien der Vergangenheit und werten die Gegenwart dagegen meist impulsiv ab. Die in Rumänien verbliebenen Mitglieder wirken hingegen bei der Gestaltung des eigenen und des öffentlichen Lebens in Rumänien tagtäglich kreativ. Beinahe alle von diesen Letzteren leben gegenwärtig in ethnisch und konfessionell gemischten Familienverhältnissen. „Evangelisch-Sein in Rumänien heute” bedeutet demnach mit einiger Sicherheit in den meisten Fällen, Respekt und Offenheit gegenüber Zugehörigen anderer Konfessionen bei Beibehaltung des eigenen Bekenntnisses an den Tag zu legen. Evangelisch-Sein in Rumänien bedeutet deshalb aber auch gleichzeitig: Die Herausforderung, dass Elternpaare, die unterschiedlichen Konfessionen angehören, Kompromisse bei der geistlichen Erziehung finden werden müssen, stellt den Normalfall dar.
SB: Es sind fast 30 Jahre seit dem großen Exodus der Siebenbürger Sachsen vergangen. Welchen Wandel haben die Evangelische Kirche A. B. und die Honterusgemeinde seitdem durchgemacht?
FTZ: Zu dem eben Gesagten wäre noch Folgendes hinzuzufügen: Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien ist seit dem politischen Umbruch von 1989 viel kleiner geworden. Gemeinden sind erloschen, Gemeindeverbünde gebildet worden. Von einer Stabilisierung der Gemeinden kann aus meiner Sicht nicht gesprochen werden: Der Rückgang hält an. Da die Gemeinden selbst und damit die Kompetenzen in den Gemeindegremien, also in den Presbyterien und Gemeindevertretungen, schwinden, haben die leistungsfähigen Pfarrämter begonnen, die Gemeindeaktivitäten immer weitergehender und selbständiger zu bestimmen.
SB: Wo steht die Evangelische Kirche/Honterusgemeinde heute?
FTZ: Die Verbindlichkeit des Augsburger Bekenntnisses und anderer bedeutender Lehrhaltungen mag gegenwärtig zwar nicht offiziell, aber unausgesprochen, als implizite Folge des sozialen Wandels, auf dem Prüfstand stehen. Der Kirchentag hat versucht, ein Streiflicht auf diese Situation zu werfen – manche werden es bemerkt haben. Wenn sich die Pfarrer und Gemeindeglieder innerlich von einem gemeinsamen Standpunkt entfernen, so wird es womöglich ein beschleunigtes Auseinanderdriften auf theologischer Ebene geben. Wir mögen dann in absehbarer Zeit eine Situation vorfinden, in der es nur noch wenige einzelne Gemeinden gibt, die allmählich ein divergierend modifiziertes konfessionelles Gepräge annehmen.
SB: Auf dem Kirchentag haben Sie großen Wert auf Programmangebote für Jugendliche gelegt. Darf dies als fester Zukunftsglaube verstanden werden?
FTZ: Vielleicht eher als Ausdruck des bleibenden Verantwortungsgefühls. Selbst wenn draußen auf der Heide eine ungewisse Witterung herrscht, blühen im Obstgarten unseres Ländchens noch einige evangelische Apfelbäume.
SB: Herr Ziegler, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Richard Guth.