Im Gespräch mit dem neuen LdU-Beirat für Muttersprache und Identität Josef Manz
SB: Herr Manz, die neue Amtsperiode brachte für Sie eine neue Funktion in der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU): Beirat für den Gebrauch der Muttersprache und die Identitätssicherung – was sollen wir uns darunter genau vorstellen, welche Aktivitäten, welche Projekte sind geplant?
JM: Die LdU hat ihre Ziele in der Strategie „Steh‘ dazu!“ formuliert und festgelegt. Die Strategie wurde für die geschrieben, die Interesse dafür haben, dass unsere Volksgruppe eine Zukunft hat. Was muss man dafür tun, dass man Deutscher ist und auch bleiben kann? Die Strategie umfasst fünf Bereiche: Politik, Bildung, Kultur, Jugend und Kommunikation. Die wichtigsten Ziele mit Indikatoren sind festgelegt. Hinter jedem Bereich arbeitet eine Gruppe, die konkrete Projekte, Ideen und Vorschläge ausarbeitet. Sie werden auch öffentlich gemacht.
Die große Aufgabe wird die Vorbereitung zu den Parlamentswahlen im nächsten Jahr sein. Das Allerwichtigste wird sein, die Registration voranzutreiben. Ein Handbuch für die Selbstverwaltungen wurde zusammengestellt. Vorträge über unsere Geschichte werden regional organisiert. Im Bildungsbereich werden regionale Fortbildungen für Kindergartenpädagogen durchgeführt. Die Stipendienprogramme für Lehramtsstudierende werden fortgesetzt. Die theoretischen Grundlagen für Sprachvermittlungsmodelle sind ausgearbeitet: 1) einsprachiges Modell und 2) Eine- Person-eine-Sprache-Modell. Diese Modelle werden den Kindergärten und ihren Trägern zugänglich gemacht.
Eine neue Initiative in der Sprachförderung ist der Anstecker „Ich spreche gern deutsch“. Wer einen solchen Anstecker trägt, signalisiert damit, dass er gerne deutsch sprechen würde und offen für die Gespräche in der Sprache seiner Ahnen ist. Auch weitere neue Lehrpfade werden errichtet.
Im Kulturbereich müssen wir darauf bestehen, dass wir unsere eigene Kultur ohne Einflüsse von außen pflegen. Eine „Roll-Up-Ausstellung“ ist in Bewegung – eine Wanderausstellung für Schulen und Institute.
Im Jugendbereich laufen die Projekte „Jugendkonferenz jedes Jahr“, Jugendtreffen der ungarländischen Nationalitäten, „Jugend, steh‘ dazu!“, „Koch mit, mach mit!“; „Tragbare Tracht“, „Schwung“ und „Ungarndeutsche Musik“. Dann ist da noch das „Was ist los.hu“-Projekt.
Im Bereich Kommunikation gibt es neue Episoden der Online-Vortragsreihe zur Geschichte und Volkskultur der Ungarndeutschen. Die LdU-Presse meldet sich mit wöchentlichen Rundbriefen. Das allerneueste Projekt startete man als Podcasts.
Das sind nur einige der schon laufenden und geplanten Projekte der LdU. Über die Strategie können sich alle Interessenten auf der Internetseite der LdU informieren (https://ldu.hu/).
SB: Was wird bei all den Aktivitäten Ihre Funktion sein?
JM: Was diesbezüglich meine Aufgabe als Beirat wäre? Weil dieser Posten nagelneu ist, wird sich meine Tätigkeit mit der Zeit langsam noch formieren. Ich soll und muss die strategischen Ziele der LdU begleiten, beraten und die Leute bei deren Umsetzung ermutigen. Bei unseren Landsleuten ist das Interesse zu wecken, ihren Glauben zu stärken und ihnen Mut zu machen, sie aufzuklären und zu beraten. „Wollende Herzen“ begeistern, motivieren und zusammenführen. Noch nie in unserer Geschichte konnten wir uns so frei und offen zu unserer Kultur und Sprache bekennen wie heutzutage. Das sollte man sehen und diesbezüglich handeln und etwas tun – jeder nach seinen Fähigkeiten. Das ist meiner Ansicht nach unsere gemeinsame Aufgabe. Helmut Schmidt sagte: „Ohne Kenntnis unserer Geschichte bleibt die Gegenwart unbegreifbar.“
SB: Wenn ich richtig informiert bin, spielte die deutsche Sprache/Mundart bei der Erziehung Ihrer Kinder eine wichtige Rolle – wie gestaltet sich die Pflege der deutschen Sprache in Ihrer Familie, insbesondere in der Enkelgeneration?
JM: Meine Frau und ich sind in wohlbehüteten Südbatschkaer schwäbischen Familien geboren und aufgewachsen. Deutsch und auch Mundart waren selbstverständlich in der Familie. Dieses Milieu sicherten wir auch unseren Kindern. Gerlinde, Herbert und Günter haben in der Mundart geträumt. Sie leben und arbeiten zurzeit in Österreich. Die deutsche Sprache und unser Dialekt in Wort und Schrift sind in unserem und auch in ihrem Alltag weiterhin selbstverständlich.
SB: Baaja, die Stadt Ihres Wirkens, beherbergt eines der bedeutendsten deutschen Schulzentren des Landes – wie würden Sie die Rolle des UBZ für den Erhalt der Sprache und Identität der Batschkaer Schwaben (und noch darüber hinaus) beschreiben?
JM: Das UBZ (früher das Frankel-Gymnasium) spielte einst und auch heute und wird auch in der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um das Erwerben der deutschen Sprache und das Erwecken sowie die Pflege der ungarndeutschen Identität geht. Von den Familien als Basis kommt fast nichts mehr, so sind solche Institute eigentlich die Rettung für uns Schwaben. Wenn wir es auch wollen!
SB: Mit nur 24 Jahren haben Sie mit Ihrer Frau Adelheid 1980 den Lenau-Club in Baaja begründet – welche Rolle spielte bei diesem frühen Engagement das Elternhaus, stammte Ihr Vater doch aus dem serbischen Teil der Batschka (aus Hodschag), dessen deutsche Bevölkerung vor dem Genozid an den Donauschwaben nach 1945 als sehr deutschbewusst galt!?
JM: Meine Eltern und alle meine Ahnen bis zur Einwanderung stammen aus Hodschag. Die Familie meiner Frau stammt auch aus der Südbatschka, aus Stanischitsch. Für uns beide war es schon damals klar, dass wir uns auch außerhalb der Familie organisieren müssen. Adelheid hat als Mitarbeiterin die Bevölkerung im Jahre 1980 an der Volkszählung zusammengeschrieben. Während dieser Arbeit entdeckte sie viele Schwaben, die in Baaja lebten. Alle waren Zugezogene aus den umliegenden Dörfern. Viele wollten zueinander finden, gemeinsam etwas tun. So entstand der Lenau-Club, der eine Initiative von unten war. Aus dem Club wuchs dann der Batschkaer Deutsche Kulturverein und später die Deutsche Selbstverwaltung heraus. Der Club initiierte auch die regelmäßigen deutschsprachigen Messen in Baaja. Der Kathrein-Ball, den wir 1980 zum ersten Mal veranstaltet haben, wird seitdem jedes Jahr organisiert.
SB: Sie sind somit seit fast 50 Jahren im Dienste des Ungarndeutschtums tätig – welche Veränderungen haben Sie im Laufe der Zeit bezüglich der deutschen Minderheit regional und überregional beobachtet und wie lautet Ihre Bilanz?
JM: Es war bemerkbar, dass ab den 1980er Jahren im Nationaltäten-Bereich viel-viel mehr möglich war. Das hat sich nach der Wende noch positiver verändert. Man konnte frei Vereine gründen. Das Nationalitätengesetz vom Jahre 1993, die Gründung der Selbstverwaltungen, die Übernahme von Institutionen und die staatliche Finanzierung wurde viel großzügiger, um nur einige wichtige Geschehnisse zu erwähnen. Das heißt aber nicht, dass alles happy ist. Es liegt vor allem an uns, ob wir damit etwas anfangen oder nicht. Die LdU, deren Gründungsmitglied ich war, hat bisher immer versucht und wird auch in der Zukunft alles tun, dass die Ungarndeutschen, die es wollen – ich betone noch einmal – die es wollen, die Möglichkeit haben, ihre Sprachkenntnisse zu entwickeln, ihre Identität zu pflegen und sie zu bewahren. In den letzten 35 Jahren wurden viele Träume der Ungarndeutschen wahr. Ob das zum Fortbestand der Volksgruppe reicht, ist für mich noch immer ein Fragezeichen. Von der Basis muss mehr kommen! Ich sehe heutzutage eher „hausgemachte“ Probleme. „Eine zufriedene Minderheit hat sich aufgegeben“ sind mahnende Worte von Otto Mayer, einstiger Leiter der dänischen Minderheit in Deutschland.
SB: Auch wenn sich im Vergleich zu den 1950er, 60er Jahren die Möglichkeiten des schulischen Spracherwerbs deutlich verbessert haben, meinen doch viele, dass der große Durchbruch in Richtung Zwei- und Einsprachigkeit an den Nationalitätenschulen (noch) nicht gelungen sei, trotz der Übernahme der Trägerschaft zahlreicher Kindergärten und Schulen – sollte dies der Fall sein, worauf führen Sie dies zurück?
JM: An den früheren Zeiten gemessen hat sich der Spracherwerb tatsächlich verbessert. Die Übernahme von Institutionen ist etwas ganz Neues. Die Effektivität der Institutionen könnte besser sein, das sehen wir ja auch. Das braucht aber Zeit. Die LdU arbeitet emsig und tatkräftig daran: organisiert Weiterbildungen für Pädagogen, es werden Empfehlungskataloge zusammengestellt und Spracherwerbsmodelle ausgearbeitet.
Die größten Probleme sieht meine Frau in der Grundausbildung der Pädagogen für die Nationalitätenkindergärten und -grundschulen, denn sie ist nicht einsprachig deutsch. Bis auf die höchstens sechs Deutschstunden pro Woche sprechen Studierende in den weiteren Ausbildungsfächern den ganzen Tag ungarisch. Um die einsprachigen Modelle für die Kleinkinder in den Instituten umsetzen zu können, sollten die Studierenden aber in der Ausbildung an der Hochschule oder Universität diesbezügliche Erfahrungen sammeln können.
SB: Die Schule kann allenthalben für gute Deutsch-Sprachkenntnisse sorgen, eine Muttersprache wird Deutsch dadurch in den seltensten Fällen – welche Verantwortung tragen ungarndeutsche Eltern und wie könnte man ihnen die Angst vor dem Schritt nehmen, mit ihren Kindern Deutsch oder Mundart zu sprechen?
JM: Die Verantwortung der ungarndeutschen Eltern, die Deutsch und eventuell noch eine Mundart sprechen, ist natürlich sehr groß. Man muss sehen und erkennen, dass zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Kinder kommunikativer, offener, einfach vielseitiger und kreativer werden. Die Identität ist im Wandel, ändert sich stets. Die Jugend heute kann die Sprache in den Schulen erlernen, sie gehört aber nicht mehr zur Erlebnisgeneration, sondern zur sogenannten Bekenntnisgeneration und damit entsteht eine neue Identität.
SB: Sie haben sich der Aufgabe angenommen, etwas zu bewirken auf dem Gebiet des Sprachgebrauchs und der Identitätssicherung – wo soll/wird die deutsche Gemeinschaft in einigen Jahrzehnten stehen?
JM: In einigen Jahrzehnten wird es immer noch Menschen geben, die noch eine deutsche Mundart sprechen. Wenn ich aber in die ferne Zukunft schaue, muss ich leider sagen, die Mundarten werden verschwinden. Das, was bleibt, sind die Hochsprache und die Bekenntnisidentität und natürlich das Singen, Tanzen und Musizieren, weil wir das schon immer gut konnten. Aber nur für die, die es sehr-sehr wollen! Ich schließe meine Gedanken mit dem Zitat vom englischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Eliot Stearns: „Tradition kann nicht vererbt werden. Wer sie haben möchte, muss sie mühevoll selbst erwerben.“
SB: Herr Manz, vielen Dank für das Gespräch!
Mit Josef Manz sprach Richard Guth