Raus aus der Defensive

Raus aus der Defensive!

Als warnendes Beispiel wurde es genannt in den Medien oder eben ein Wendepunkt. Oder einfach der Verlust vom Gewohnten, wieder mal die Aufgabe von Terrain und Wachposten, wollte man sich der militärischen Terminologie bedienen.

Im vorliegenden (und noch nicht abgeschlossenen) Fall (siehe https://sonntagsblatt.hu/2025/06/04/kampf-ums-religiose-erbe/) geht es um eine deutschsprachige Messe, die nicht mehr stattfinden soll. Die Argumente des Entscheidungsträgers (de jure seine Kompetenz) scheinen auf den ersten Blick plausibel zu sein: Rückgang der Zahl der Gottesdienstbesucher gerade bei dieser Frühmesse (stimmt nach Angaben anderer so nicht) und eine wachsende Zahl von Nichtdeutschsprachigen, die sich im Ort eine Heilige Messe in ungarischer Sprache wünschen.

Dass wir einen Rückgang bei der Ausübung religiöser Praxis beobachten, zeigen nicht nur die Zahlen, sondern die Erfahrungen, die wir im Übrigen in ganz Europa machen. Dabei galt die Corona-Pandemie als Brandbeschleuniger und nicht als Ursache. Es handelt sich um einen Prozess, der seit Jahrzehnten andauert: der Rückgang durch das Wegsterben der älteren Generationen mit ihrem Volksglauben, die Austritte bzw. Entfremdung weiter Teile des Kirchenvolkes, befeuert durch Missbrauchsskandale, Verweltlichung, Verbreitung alternativer Glaubenspraxis und durch fehlenden Nachwuchs. Dies betrifft auch große, aktive Gemeinden, aber trifft umso härter Gemeinden in Gegenden, die unter Abwanderung leiden – so in weiten Teilen des ländlichen Ungarns, wo ein einziger Pfarrer bis zu 10, 12 Gemeinden betreuen muss.

Vor dem Hintergrund dessen erscheint der vorliegende Fall als ein Luxusproblem. Es gibt doch in den Nachbargemeinden deutsche Messen, hieß es! Und tatsächlich bieten die Pfarren rundum (noch) regelmäßig deutsche Messen an. Lösung also gefunden? Wohl nicht! Denn – so moniert einer der Landsleute, der sich in den sozialen Medien zu Wort meldete – die Klangwelt des Kirchenliedschatzes in dieser Gemeinde sei eine völlig andere als in dem Ort, wo der Landsmann wohnt und die deutsche Messe besucht. Die deutschsprachige Seelsorge mit Messe, Kirchenliedgut und Gebetsanlässen sei ein Teil des kulturell-religiösen Erbes und Ausdruck der Identität – so lautet es aus dem Munde einer anderen Landsfrau. Die Messe könne doch nicht nackten Zahlen zum Opfer fallen, zumal diese wesentlich höher seien, als vom Pfarrer zur Begründung angegeben.

Durch einschneidende und vielfältige demografische Veränderungen (Verschleppung, Vertreibung, Landflucht, Assimilation, Zuzug von Nichtdeutschen, immer höhere Zahl an Mischehen) sind wir vielerorts in die Defensive geraten. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem ungarndeutschen Kirchengemeinderatsvorsitzenden vor einigen Jahren in einer Gemeinde, in der es keine Vertreibung gab, der darauf hinwies, dass man nur einen Blick auf die Namen der Neugeborenen in der Stadtzeitung werfen solle, um sich den Verlust von Terrain vor Augen zu führen. An der Stelle nach mehr zu verlangen, beispielsweise das Fronleichnamsfest zweisprachig zu feiern, sei daher obsolet. 

Eine fatale Einstellung! Bei all dem Spezifikum des vorliegenden Falles mit der deutschen Messe – mit all den persönlichen Friktionen und Vorurteilen, aber auch der blitzschnellen Reaktion in Form einer konstruktiven und gleichzeitig selbstbewussten Lösungssuche durch einige Gemeindemitglieder – hat der bereits zitierte Landsmann Recht: Wenn wir nicht lauthals wollen und Flagge zeigen, wird man uns Rechte verwehren, die woanders auch in einer ähnlichen Diasporasituation eine Selbstverständlichkeit sind. Die Mehrsprachigkeit im Bistum Temeswar ist trotz des nahezu vollständigen Verschwindens der banaterschwäbischen Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit. Genauso ist es, dass selbst bei einer einzigen Anmeldung (!) Schulklassen für kroatienmadjarische Kinder gestartet werden.

Der Hinweis auf den Sprachverlust, der beispielsweise vielfach einen Verzicht auf die deutschsprachige Predigt begründet – vom Kirchenvolk angeregt – zeigt noch einmal deutlich, wo der Hund begraben ist: Wir müssen aktiv gegen negative Tendenzen vorgehen, anstelle Zustände als gottgegeben hinzunehmen. Dies beinhaltet nicht nur die Sprachpflege (horribile dictu den Erwerb der Sprache im Erwachsenenalter), sondern auch das Gewinnen der Jugend für die deutschsprachige Religionspraxis. Positive Beispiele sind vorhanden, denken wir nur an die deutschsprachige Erstkommunion in Fünfkirchen. Auch im religiösen Bereich gilt es: Steh dazu und raus aus der Defensive!

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