Zeit.de: Deutschstämmige Winzer und ihr Rotwein in Wieland

Wenn Villány ein Wein wäre, dann müsste man sagen: Er ist noch verschlossen. Man kann hindurchfahren auf der Landstraße, die von Pécs in Südungarn bis hinab nach Kroatien führt, ohne auch nur zu ahnen, was an diesem Städtchen besonders ist. Ein paar alte Häuser am Straßenrand, deren bunte Türen einen Spalt offen stehen. Ein paar Wegweiser mit deutsch klingenden Namen. Aber wer im Herbst kommt, der kann es riechen. Überall hängt dieser süßsaure Gärgeruch in der Luft und mit ihm die, die er angelockt hat. Es ist nicht möglich, ein Glas Wein zu trinken, ohne dass sich Fruchtfliegen darin ertränken. Was immer man sonst über den Geschmack einer Million Fliegen sagen mag: Hier sind sie richtig. Villány ist einer der interessantesten Weinorte der Welt.

„Die Leute schlafen nicht”, sagt Horst Hummel auf der Fahrt zu seinem Gut. Er meint es im übertragenen Sinn, aber wörtlich passt es auch. Wenn die Sonne hinter dem Kirchberg versunken ist, sieht man in den Fenstern kaum Licht. Unglaublich, dass dieses Nest eine halbe Million Touristen im Jahr empfängt. Aber wenige Meter unter den eigenen Füßen wird vielleicht gerade gefeiert. Denn Schönheit und Reichtum Villánys liegen in seinen Kellern. Kein Wunder, dass mancher der 3000 Bürger dort mehr Zeit als in seinem Wohnzimmer verbringt.
Hummel ist Neubürger in der Kellerstadt, jedenfalls ein halber. Seit acht Jahren pendelt er zwischen Berlin und Villány, dort Anwalt, hier Winzer. Wahrscheinlich haben sie ihn belächelt, als er, gerade einmal 38, mit seinen Ersparnissen anrückte. Schon wieder so ein Weinschwärmer, der meint, er könne es auch. Aber sie halfen ihm, den Geschmack, den er im Kopf hatte, in die Flasche zu bekommen. Und er lernte rasend schnell. Seine fleischigen, tiefdunklen Rotweine kommen mit jedem Jahr näher an die besten der Gegend heran.

Horst Hummel bewohnt ein Anwesen, das einst für den Dorfrichter erbaut worden war. Man überließ es ihm zum Spottpreis. Der Zustand war entsprechend. „Es gab als Bad nur ein umgefallenes Plumpsklo, dafür einen Räucherofen, in den ein Ochse gepasst hätte.” Nun richtet er es langsam wieder her. Im Stall gärt es; im Büro liegen die Goldmedaillenaufkleber für den 2004er Blaufränkisch, die Hummel eigenhändig aufklebt. Er entkorkt eine Flasche vom Cabernet Sauvignon aus dem Vorjahr, frisch abgefüllt und vor einer Woche noch ungenießbar. Und jetzt? Er schwenkt und riecht und trinkt und lacht. Ja, der wird gut. „Ich bin sehr glücklich.”

Der Keller des Weinguts gibt einen Begriff davon, was Hummel low-tech high-profile nennt. An einfachen Plastikgärtanks lehnen Holzwerkzeuge, die vom Rühren in der Maische violett sind. Wo beim Einfüllen der Most überlief, klebt ein Fruchtfliegenpelz. Eine Treppe tiefer reift der Jahrgang 2004 in Fässern von fraglicher Herkunft. Das älteste datiert auf 1906, es gehörte wohl mal dem Richter. Horst Hummel grinst. Es macht ihm Spaß, den Schwärmern ein paar Illusionen zu rauben. Ein Winzer muss improvisieren können. „Nach der Wende haben hier alle so angefangen.”

Fast alle. Ede Tiffán ist der wohl einzige gelernte unter den 600 Winzern der Stadt. Er wirkt wie ein Diplomat im Ruhestand, mit all der Ausstrahlung, die ein gepflegter weißer Schnurrbart, eine leise Stimme und perfekte Manieren einem Mann verleihen. Er erinnert an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als man Ungarn zu den großen Weinländern zählte. „Aber zwei Generationenwechsel reichten, um das zu vergessen.” Die Kommunisten stellten auf Massenproduktion um und ließen Privatwinzern nur kleinste Parzellen.

Tiffán leitete damals die Weinsektion der örtlichen LPG in dem Glauben, noch immer an der Weltspitze zu stehen – bis zur ersten Dienstreise nach Frankreich. Nach der Wende wurde er der Doyen des ungarischen Qualitätsweinbaus. Anfangs, sagt er, war es schwer, den jungen Kollegen zu erklären, warum sie so viele Trauben wegwerfen mussten, nur um den Most zu verdichten. Aber heute sind viele von ihnen international konkurrenzfähig, oder besser: Sie wären es, hätten nicht in den Jahrzehnten zuvor Stierblut und Kadarka den Ruf des ungarischen Weins ruiniert. Selbst ein Spitzenwinzer wie Tiffán exportiert wenig. Von der EU-Mitgliedschaft erwartet er für seine Branche vor allem einen Preiskrieg mit den Discountern um den eigenen Markt. Doch persönlich bedeutet sie für ihn viel. Er sagt: „Für mich als Deutschen.”

Denn eigentlich ist Villány eine deutsche Stadt namens Wieland. So sehen es jedenfalls seine deutschstämmigen Bewohner. Sie sind die Nachfahren der Donauschwaben, die im 17. Jahrhundert nach Südungarn kamen, um das vom Türkenkrieg entvölkerte Gebiet zu besiedeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Hälfte von ihnen vertrieben. Die Tiffáns versteckten sich über Jahre in einem Nachbardorf. Als sie zurückkamen, bewohnten andere ihren Hof. „Es war schwer für meine Eltern, mich aufs Gymnasium zu schicken. Sie sind arm gestorben.” Heute gehören ihm 20 Hektar Weingarten und ein brandneues Betriebsgebäude am Westrand der Stadt.

Das Haus nebenan erscheint noch ein wenig brandneuer. Es ist kameraüberwacht und so weitläufig, dass man kaum den Eingang findet. „Zu Herrn Gere?”, fragt der Mann mit der Schubkarre misstrauisch. „Haben Sie einen Termin?” Attila Gere ist der wohl renommierteste ungarische Winzer, ein großer Mann mit schütterem Stirnhaar, das steil absteht. Auch Gere ist Donauschwabe, früher hieß er Gerbel. Vor der Wende noch Förster, schaffte er es, das Weingärtchen seines Schwiegervaters auf 50 Hektar zu vergrößern. Deutsch zu sprechen macht ihm Mühe; er tut es trotzdem. Deutsch sein, das steht hier für Fleiß, Unternehmergeist und Antikommunismus.

Quelle: http://www.zeit.de/2005/48/Ungarn-Wein

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