Marthi Zimre-Nagy, Vorsitzende des Deutschen Gemeinnützigen Vereins Kaposvár über kulturelle Beziehungen zu Deutschland
SB: Frau Zimre, wann und wie entstand der Kontakt zum Frauenchor von Rodewisch? Wer waren bzw. sind Träger der Partnerschaft?
MZ: Nach der Vertreibung der Deutschen aus Ungarn in den Jahren 1946-1948 kamen mehrere Familien in den Osten Deutschlands nach Sachsen oder ins Vogtland. Die Vertriebenen ließen sich in den umliegenden Orten Rodewisch, Falkenstein und Auerbach nieder, während ihre ungarischen Verwandten zu Hause blieben. Diese verwandtschaftlichen Bindungen sind natürlich erhalten geblieben. Auch der derzeitige Vorsitzende der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung der Komitatsfreien Stadt Kaposvár, Dr. Ernst Máté, hat dort Verwandte. Aus dieser Verbindung heraus hat sich die freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden Chören entwickelt. In den letzten zehn Jahren hatten wir fünfmal die Gelegenheit, uns zu treffen. Der erste Besuch des ungarndeutschen Chors in Deutschland fand 2014 statt und 2015 wurde der deutsche Chor in Kaposvár empfangen. Danach trafen wir uns alle zwei Jahre: 2017 und 2019. Die regelmäßigen Treffen wurden durch die Covid-Pandemie beendet. Jetzt aber können wir wieder reisen und unser Chor und jetzt auch unsere Kapelle sind nach Rodewisch eingeladen worden. So können wir unsere Beziehung lebendig aufrechterhalten.
SB: Sie waren neulich anlässlich des 100. Stadtjubiläums in diesem Ort im Vogtland – welche Eindrücke haben Sie gesammelt? Wie wurden Sie aufgenommen?
MZ: Es ist kein Zufall, dass dieses letzte Treffen gerade jetzt stattgefunden hat. In diesem Jahr feiert die Stadt Rodewisch das 100-jährige Jubiläum seiner Stadtrechte. Aus diesem Anlass wurden in diesem Sommer mehrere kulturelle Veranstaltungen organisiert, darunter das 1. Rodewischer Chortreffen. Hier hatte unser Chor die Möglichkeit – als einziger aus dem Ausland – sich vorzustellen und aufzutreten. Der Chor wurde von unserer Kapelle begleitet. Es war ein großer Erfolg, und ich denke, dass wir unseren Verein und unsere engere und weitere Heimat – das Komitat Schomodei und Ungarn – würdig vertreten haben.
SB: Sie haben erzählt, dass sich auch ungarndeutsche Vertriebene hier angesiedelt haben – haben Sie direkten Kontakt zu diesem Personenkreis?
MZ: Unter den Zuhörern des Chortreffens befanden sich mehrere Deutsche, die aus Ungarn vertrieben worden waren. Sie gehören jetzt zu der älteren Generation, aber sie kamen zu uns und waren glücklich und stolz darauf, ungarisch sprechen zu können. Einige der alten Damen hatten Tränen in den Augen, als wir den ungarischen Tschardasch sangen, und sie machten mit uns mit. Ein älterer Herr kam aus Kotscholau/Kocsola nach Rodewisch, ein anderer aus Dombowa/Dombóvár. Eines unserer Chormitglieder traf dort, in Rodewisch seinen Cousin, der zum vertriebenen Teil der Familie gehörte.
SB: Wie lebendig ist das Chorleben in Rodewisch? Wenn ich mich nicht täusche, hat auch ihr Verein einen Chor – mit welchen Schwierigkeiten haben Sie zu kämpfen?
MZ: Unser Chor, der Neue Rosenchor, probt wöchentlich. Wir haben Spaß am gemeinsamen Singen und bereiten uns auf unsere aktuellen Auftritte vor. Wir freuen uns, dass wir in letzter Zeit immer beliebter geworden sind. Durch die vielen Auftritte sind wir in der Presse, im Fernsehen und im Radio präsent, und man kann sich im Internet über uns informieren. Infolgedessen hat sich der Chor vergrößert und hat jetzt 25-30 aktive Mitglieder. Aber ich muss sagen, dass eine andere kulturelle Gruppe unseres Vereins, die Herz-Schmerz Kapelle, die 2016 mit nur 5 Akkordeonisten gegründet wurde, jetzt 16 Mitglieder hat. Mit ihnen treten wir oft gemeinsam auf. Der Chor in Rodewisch hatte auch eine schwierige Zeit, als die Mitgliederzahl sehr gering war. Aber als wir dort waren, konnten wir uns überzeugen, dass sie es auch geschafft haben, neue Mitglieder zu gewinnen, so dass der Chor auch dort weiterhin problemlos funktionieren kann.
SB: Welchen Einfluss hat der Kontakt zum Mutterland auf die Identität der Vereinsmitglieder bei Ihnen?
MZ: Das Ziel unseres Vereins ist es, die kulturellen Traditionen und Werte der deutschen Nationalität in Ungarn zu bewahren, zu pflegen und zu erhalten sowie die deutsche Sprache zu pflegen. Wir haben gute Beziehungen zu ähnlichen Kulturgemeinschaften im Lande aufgebaut. Das zweite Jahr in Folge haben wir am Fischfestival in Mohatsch teilgenommen, wo wir dieses Jahr mit unserem Ausstellungszelt in der Schwabenstraße den Preis für den „beliebtesten Stand“ gewonnen haben. Wir stehen in Kontakt mit der deutschen Nationalitätengruppe in Hajosch, den Menschen in Mohatsch, Niklasing/Miklósi, Igal, Punnia/Bonnya und Sulk/Szulok. Wir treffen uns oft mit ihnen und nehmen miteinander an den kulturellen Veranstaltungen teil. Es ist aber auch sehr wichtig, die deutsche Sprache zu pflegen. Deshalb besuchen wir unter anderem deutschsprachige Aufführungen im Deutschen Theater in Sexard und bringen deutschsprachige Aufführungen für Erwachsene und Kinder nach Kaposvár. Wir sind aber auch sehr froh, dass wir Dank des neuen Phänomens der Migration, bei dem sich immer mehr deutsche Bürger in Ungarn ansiedeln, 13 deutschsprachige Mitglieder in unserem Verein haben. Gleichzeitig ist aber auch ein freundschaftliches Verhältnis zum Mutterland von großer Bedeutung. In den zehn Jahren der Partnerschaft hat sich eine enge Freundschaft nicht nur zwischen den beiden Chören, sondern auch zwischen den Chormitgliedern entwickelt. Wir freuen uns immer auf das nächste Treffen, welches im Jahr 2026 hier in Kaposvár stattfinden wird.
SB: Frau Zimre, vielen Dank für das Gespräch!