Entschlossen und gewissermaßen streng, scharf geurteilt zu schreiben, ist ein stilistisches Mittel. Man glüht auf in der Hitze, die man in sich entfacht, man steigert sich in Themen hinein, weil die Betrachtung aus der Sicht der Realität nichts hergibt. Was soll man machen? Sich aus der gegebenen Realität seiner Zeit wegzudenken, ist maßlos unproduktiv. Es bringt nichts.
Das, was zu tun ist, soll man stets in der Zeit wissen, in der man zu leben hat. Alles andere ist die pure Träumerei. Nun, deshalb, wenn es mir danach ist, zu schimpfen, sollte dieser Akt von mir sicher nicht hier, auf den Sparten vom Sonntagsblatt vorgenommen werden und geschehen, wo eh die Gesinnungsgenossen sich hineinlesen.
Also diejenigen, über die es zu schimpfen gäbe! Aber auch das ist es nicht, denn man möchte sie ja in ihrer Gesinnung und ihrer Einstellung für jene Ideale anspornen, die man seine eigenen nennt, die einem als brennend wichtig erscheinen. Sagen wir, die Identität! Steckenpferd von mir! Sie ist der Beginn von einer Selbstkenntnis. Das Wissen über jene Kontinuität, als deren Gliedmaße man sich hier und jetzt verankert. Man soll wissen, woher man kommt, dann kann man auch erahnen, wie es weitergeht. Also diese Leute, die es diesbezüglich anzusprechen gäbe, die wären nicht hier zu erreichen.
Unsere Volksgruppe ist zur Minderheit geworden. Es gibt dort die aus der Sicht von Kreisen der offiziellen Vertretung von halbaußen (oder ganz) aufgeführte Nörgelei.Sie kann als Klugtuerei vorkommen, als eine Aufführung, ein Aufplustern oder als unerbetene Meinungsäußerung. Doch stören will man nicht, wenn man auch weiß, dass man kaum helfen kann.
Im Klartext denke ich: Was man versäumt hat, ist eigentlich das, wovon man sich selbstauflöserisch irgendwann zu distanzieren begann. Das ist unsere Basis gewesen. Geschult betrachtet ist man die zur Ballast gewordene Last der bäuerlichen Vorfahren losgeworden. Sie erduldeten es auch brav, ihre Weisheit, ihre Instinkte selber aufzugeben. Die gescheit gewordenen Nachkommen haben mitsamt der Volkstracht dem Dialekt und dem Umgang mit den einfachen Verhältnissen ein Bye-Bye zugewunken. Man wollte sich in einer urban gewordenen Welt nicht schämen müssen, von Dörflern abzustammen oder ihnen gar anzugehören. Der Mode der modernen Zeit hat man die Tür weit aufgeworfen – ohne Gewinn und Verlust auf die Waage gelegt zu haben.
Ob man es dadurch geschafft hat, sich zu veredeln, daran zweifle ich nicht wenig: Während der vergangenen zwanzig Jahre ist die Basis unserer Volksgruppe ins ewige Jenseits gewandert und was bis heute noch übrig ist, ist eine hohle Blase von wohl guten Absichten, die sich etwa „Projekt“ nennen. Sie reichen aber alleine dazu noch nicht aus, den qualitativen Rückgang unserer Minderheit zu verhindern oder auch nur zu bremsen.
Identität ist kein Schulfach. Selbst in unseren besten Schulen kommt es außer leider sehr raren Einzelfällen kaum dazu, dass man auch in den Pausen untereinander sich auf Deutsch unterhielte. Volkskunde kann man unterrichten, aber das Schweineschlachten von einst ist auch zu jener Zeit, wo es winterlicher Alltag war, nicht das, was die Volksgruppe zusammenhielt.
Welchen Kleister gab es dann? Den, dass man in seiner gegebenen Zeit wusste, dass man eine Einheit bildet! Solange dieses Bewusstsein noch als natürlichstes Erbe gepflegt und weitergegeben wurde, konnten wir als Volksgruppe in Erscheinung treten. Wenn es heute heißen kann: „Meine Großeltern sind noch Schwaben gewesen“ – so klingt dieser Satz nach einem Symptom oder einer Krankheit, von derzu genesen, nach Generationen gelungen ist.
Ich fahre durch die Dörfer unseres Einst, wo mir meine Erinnerung aus einer noch nicht allzu langen Vergangenheit nachruft – und suche nach meinem verlorenen Volk. Nach jenen Basen und Vettern, die mit mir ein „Kriß-Eich-Koutt!“ getauscht haben: Wir wussten aus diesem puren Gruß alleine schon über unsere Zusammengehörigkeit Bescheid.
Weg sind sie. Heute gibt es ehrlichste Anstrengungen, die Zeit auszubremsen, wobei dies gar nicht möglich ist. Eine Tradition zu behalten, besteht nicht aus kunstreichen Choreographien, die Kulturgruppen einstudieren oder in Schulen als Fach unterrichtet werden, sondern aus dem Anspruch, der sich nicht in der Bühnenreife zeigt:Es handelt sich vielmehr um einen inneren, intimen Anspruch, der sich von solchen Produktionen gar fernhält. Identität ist nicht jene Gaudi, die man zwar zur Entspannung braucht, aber nicht als zentrales Element eines Daseinszeugnisses.
Wir haben uns auf die Ebene von einzelnen Familien zurückgekämpft. Dieser Daseinszustand entbehrt bereits jegliche Basis. Wir sind aufgebrochen. In unserem Innersten wurde das magnetische Feld füreinander schwach. Die Gemeinschaft ist sich vielleicht darin alleine noch einig, das Geheimnis zu hüten, quasi verschwunden zu sein.
Die Bildung, die Schule, die Kulturgruppen sind an und für sich nur Versuche – oft mit einem gar lobenswerten Einsatz – einen Anschein zu erwecken. Dabei muss es jene Identität sein, die uns erhält, die alleine in den Familien ihren Ausgang findet, wodurch sie ungekünstelt und natürlich ist.
Dies ist dann jene Kohäsion, die unseren Magneten füreinander aufs Neue entfachen kann, damit es uns als Substanz in unserer Gemeinschaft wieder gibt. Die Gemeinschaft existiert in jenem Dasein, das nicht auf einem Beschreibungs-, sondern auf dem Seins-Zustand der Volksgruppe beruht. Sie trachtetnicht nach einem romantischen Nachsinnen einer sonst verkannten Vergangenheit, sondern wendetsich unserem Jetzt, unserer gegenwärtigen Realität zu. So lohnt sich auch jede Mühe, jeder Einsatz.
Beitragsbild: Feuerwehrmann löscht einen Waldbrand” von Marco Verch, 👨🍳 www.ccnull.de, CC-BY 2.0