Der Student Tobias Krempels aus Baden-Württemberg über Familienerbe, Verbindungen zur Gemeinschaft und den Fortbestand der Siebenbürger Sachsen
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Tobias Krempels traf das Sonntagsblatt auf dem Bundesschwabenball der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn in Gerlingen April diesen Jahres. Der junge Mann siebenbürgisch-sächsischer Herkunft stellte sich bereitwillig den Fragen unserer Zeitschrift.
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SB: Tobias, Du bist Siebenbürger Sachse, der bereits in Deutschland geboren wurde – weihe uns bitte ein wenig in die Familiengeschichte ein! Welche Rolle spielt noch Sächsisch als Sprache im Familienalltag?
TK: Meine Eltern sind mit ihren Familien erst nach der Wende 1990 nach Deutschland gekommen und haben hier geheiratet. Als ich 1999 auf die Welt kam, war ihre Aussiedlung schon fast 10 Jahre her, jedoch haben sie mir und später meiner jüngeren Schwester unseren sächsischen Dialekt beigebracht. Zu Hause und vor allem bei den Großeltern wird neben Deutsch auch viel Sächsisch gesprochen. Sächsisch klingt aber in Siebenbürgen nicht überall gleich. So hat jede Region bzw. jeder Ort seine eigene Aussprache, die zwar immer ähnlich ist, sich jedoch in Feinheiten unterscheidet. Da meine Großeltern aus vier verschiedenen Dörfern Siebenbürgens stammen, ist mein Sächsisch eine bunt gemischte Version davon, die oft nicht auf einen spezifischen Ort zurückzuführen ist.
SB: Wir haben uns auf dem Bundesschwabenball der LDU getroffen und du, Tobias, hast Tracht getragen – wie wichtig ist das siebenbürgisch-sächsische Erbe für junge Leute siebenbürgisch-sächsischer (und landlerischer) Herkunft – gerade für solche, die bereits in Deutschland geboren wurden?
TK: Die meisten meiner siebenbürgischen Freunde und ich wurden größtenteils anhand der Erziehung durch unsere Eltern hinsichtlich des siebenbürgisch-sächsischen Erbes geprägt. Wir sind in einer Gemeinschaft aufgewachsen, die die Traditionen der Vorfahren nach wie vor pflegt, aber auch Raum für zeitgemäße Ideen bietet. Neben den zahlreichen Kulturgruppen wie Jugendtanzgruppen, Blaskapellen, Chören und Theatergruppen ist die Jugendorganisation unseres Verbandes auch bekannt dafür, die jungen Leute untereinander zu vernetzen. Dies geschieht beispielsweise auf dem jährlichen Volkstanzwettbewerb, auf Skifreizeiten und vielen weiteren Angeboten. Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland bezieht die Jugend schon früh mit ein und erntet entsprechend die Früchte, wenn es um den Nachwuchs und den Fortbestand des Brauchtums geht.
Was die Sprache angeht, gehöre ich leider zu einer Minderheit unter den jungen Leuten, die den Dialekt noch sprechen. Verstehen, das klappt bei allen noch gut, aber das Sprechen fällt den meisten schwer. Ähnlich verhält sich das mit dem evangelischen Glauben. Die christlichen Werte werden in den Familien weitergegeben und die meisten Feste, die wir im Verband feiern, beginnen mit einem Gottesdienst, jedoch sehe ich unter den jüngeren Leuten eine eher sinkende Bedeutung des Glaubens im Leben. Für mich persönlich ist der Glaube mein geistiges Fundament, aber die evangelische Kirche in Deutschland ist mir für einen regelmäßigen Gottesdienstbesuch in den letzten Jahren viel zu politisch geworden.
SB: In welcher Form pflegst du dieses Erbe?
TK: Ich tanze in der Siebenbürgischen Jugendtanzgruppe Sachsenheim. Dort haben wir auch eine Jugendblaskapelle, in der ich gerne musiziere. Darüber hinaus bin ich seit dem Ende der Corona-Pandemie auch in der Jugendtanzgruppe Heilbronn aktiv.
SB: Ihr fahrt des Öfteren auf „Heimaturlaub” – welches Bild habt ihr über die siebenbürgische Urheimat gewonnen?
TK: Gerade liegt das zweite große Sachsentreffen in Hermannstadt hinter uns, das Anfang August 2024 in der „alten Heimat“ stattfand und wohl bei jedem Teilnehmer einzigartige Erinnerungen hinterlassen hat. Ein Höhepunkt war für mich die mehrtägige Wanderung, die wir vor dem großen Treffen mit der Tanzgruppe durch die Karpaten gemacht haben. Die weitläufig unberührte Natur ist auf jeden Fall ein großer Schatz, den das sonst vergleichsweise arme Land aufzuweisen hat. Darüber hinaus merkt man im Laufe der Jahre die Einflüsse der Mitgliedschaft Rumäniens in der Europäischen Union. Es gibt viele geförderte Projekte, die durch die europäische Zusammenarbeit erst möglich geworden sind und das Land sichtbar voranbringen. Zu nennende Beispiele wären hier zum einen der Ausbau der Autobahn und die Restaurierung der alten Kirchenburgen der ehemals deutschen Dörfer. Leider kann nicht alles gerettet werden und es ist schade mit anzusehen, wie einige Kirchen und Gebäude ringsum verfallen.
SB: Habt ihr noch enge Kontakte nach Siebenbürgen/Rumänien?
TK: Mein letzter Verwandter, der Bruder meiner Großmutter, der noch dauerhaft in Siebenbürgen gelebt hat, starb im August 2023 in Nussbach bei Kronstadt. Ansonsten habe ich noch eine Großtante, die allerdings nur den Sommer in Siebenbürgen auf dem Hof verbringt. Auf diesem Hof werden wir regelmäßig als Gäste untergebracht, zum Beispiel wenn wir unser Heimatortstreffen dort feiern, wo man alte Bekannte trifft und sogar neue Freunde findet.
SB: Nun bist du in Deutschland geboren und aufgewachsen – wie würdest du dich definieren?
TK: Ich würde mich als alles davon bezeichnen. Durch unsere Vorfahren und die Kultur sind wir ganz klar Deutsche, die Siebenbürgen geprägt haben und von Siebenbürgen gleichermaßen als Sachsen geprägt worden sind. Heute passt der Begriff „Europäer” im Sinne von Brückenbauern zwischen zwei Ländern wohl am besten.
SB: Wenn man sich im Saal des Bundesschwabenballs umgeschaut hat, überwogen im Publikum Vertreter der älteren Generationen (Erlebnisgeneration oder Kinder der Erlebnisgeneration) – wie sieht es bei euch aus? Lassen sich in größerer Zahl Jüngere für landsmannschaftliche Aktivitäten gewinnen?
TK: Bei uns ist die Jugend fester Bestandteil des Verbandes und damit auch Teil jeder größeren Veranstaltung. Wenn auch der prozentuale Anteil der jüngeren Generation dennoch gering ausfällt, tritt sie aber durch ihr engagiertes Mitwirken umso stärker in Erscheinung.
SB: Die Siebenbürger Sachsen gehören zu den bestintegrierten Migrantengruppen in der Bundesrepublik – auch aufgrund der exzellenten Sprachkenntnisse und der Verbundenheit mit dem Deutschtum – das kann über kurz oder lang zur Aufgabe siebenbürgisch-sächsischer Eigenheiten führen – wie hoch bewertest du diese Gefahr?
TK: Der Fortbestand des siebenbürgischen Erbes ist eines der gesetzten Ziele unseres Verbandes und wird aktuell (aus meiner Sicht) erfolgreich gelebt. Was braucht man dafür? In erster Linie eine Gemeinschaft, die ihren Kindern in identitätsstiftender Weise ihre Herkunft und Traditionen vorlebt und weiterreicht! Solange es Familien gibt, die ihren Kindern genau das vermitteln, wird es eine Jugend geben, die sich zusammenfindet, um zusammen das Brauchtum zu pflegen, aber auch um enge Freundschaften zu knüpfen, zusammen zu feiern und zusammen zu leben. In unserer Kreisgruppe in Sachsenheim funktioniert das ganz gut: Dieses Jahr haben wir zum Beispiel eines der ältesten überlieferten siebenbürgischen Feste – das Kronenfest – zum ersten Mal in Sachsenheim ausgerichtet, was nur durch tatkräftiges Mitwirken aller Mitglieder von jung bis alt gelingen kann. Ich bin daher guter Dinge, dass wir trotz erfolgreicher Integration unsere siebenbürgisch-sächsische Identität nicht aufgeben werden.
SB: Tobias, herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Richard Guth.
