Dr. Koloman Brenner

Ungarndeutsche Parlamentarier im Portrait (1): Dr. Koloman Brenner

In den nächsten Sonntagsblatt-Heften portraitieren wir ungarndeutsche Parlamentsabgeordnete. Die Vorstellung beginnen wir – gemäß der alphabetischen Reihenfolge – mit dem Abgeordneten der Partei „Jobbik-Konservative”, Dr. Koloman Brenner.

Die Suche nach einer Gaststätte gestaltet sich an diesem heißen Augusttag mehr als schwierig. Es ist Urlaubszeit, die Stadt ist gut besucht an diesem Tag, Leute von nah und fern bevölkern die Gassen und Hauptverkehrswege, aber auch die Gastronomiebetriebe. „Die Stadt hat sich in den letzten Jahren stark verändert, ist gewachsen – nicht zuletzt durch die Binnenmigration, die viele Menschen aus Ostungarn wegen den Arbeitsmöglichkeiten nach Ödenburg geführt hat. Das hat wegen unterschiedlichen Mentalitäten zu gesellschaftlichen Spannungen in der Stadt geführt. Aber auch viele Alteingesessene arbeiten in Österreich und schicken ihre Kinder dort zur Schule. Im Gegenzug kommen Österreicher zu uns. Dies begann als Einkaufstourismus in der Wendezeit. Durch diese Entwicklung sind viele binationale österreichisch-ungarische Ehen entstanden, wodurch eine Zweisprachigkeit entsteht, was aber mit der alteingesessenen deutschen Minderheit nichts mehr zu tun hat”, erzählt Dr. Koloman Brenner in einem Lokal auf dem Ödenburger Hauptplatz.

Die kleine heanzische Welt an der Grenze

Es begann alles ganz anders: „Ich hatte eigentlich eine behütete Kindheit. Im Elternhaus habe ich nur Deutsch gehört, da zwei Tanten bei uns wohnten, die kaum Ungarisch konnten. Mein Vater war evangelisch und stammte aus dem Ödenburger Ponzichterviertel, meine Mutter hingegen aus Wandorf/Sopronbánfalva bzw. Agendorf/Ágfalva, eine geborene Trimmel, zudem war sie streng katholisch. Ich war lange Zeit Chefministrant in der Kirche des Wandorfer Karmelitenklosters, das die Regierung heute gerne als Ort für Klausurtagungen nutzt”, schmunzelt der Politiker. Auf dem Marktplatz, aber auch in den Buslinien 3 und 10, die Brennberg und Wandorf ansteuerten, habe man damals noch viel Heanzisch gehört, die deutsche Mundart des Ödenburger Landes. Damals lebten in Wandorf nach Angaben Brenners etwa 60 deutsche Familien, in Agendorf stellten sie 30 % der Bevölkerung.

Dr. Koloman Brenner

„Ich habe in der Vorschule erst Ungarisch gelernt. Meine Grundschule in Wandorf war bereits eine Nationalitätengrundschule, wo Deutsch in fünf Wochenstunden unterrichtet wurde. Meine Grundschullehrerin sprach sogar Mundart. Was für die Sprachkenntnisse wichtig war, war der Umstand, dass man bei uns nur ORF (Österreichischer Rundfunk) empfangen konnte”, erinnert sich der 56-Jährige an die späten 70er, frühen 80er Jahre. Nach dem Abitur am renommierten István-Széchenyi-Gymnasium und dem Wehrdienst führte der Weg an die Uni Segedin, wo Brenner Geschichte und Germanistik auf Lehramt studierte. Die Examensarbeit über die Brennberger Mundart wurde als Doktorarbeit anerkannt.

Von „Kisalföld” zur deutschen Gemeinschaft

Nach einer einjährigen Tätigkeit als Journalist bei der regionalen Tageszeitung „Kisalföld” engagierte sich Koloman Brenner im Deutschen Verband und wurde einer der ersten sechs Regionalbüroleiter, wo er sich unter anderem um das Thema Kriegsgeschädigtenrente gekümmert habe. „Da die Büroleitung eine halbe Stelle war -damals aus BMI-Mitteln finanziert – ging ich nach Steinamanger an den Deutschen Lehrstuhl, wo ich auch bei der Umschulung der Russischlehrer mitwirkte. Daneben hatte ich einige Stunden an der Hochschule für Kindergartenpädagogik in Ödenburg und habe das Agendorfer Modell „Eine Person – eine Sprache“ mitentwickelt”, berichtet Brenner. Bei der Aufstellung zweisprachiger Ortsschilder habe man auch „mit gutem Beispiel vorangehen” wollen – im Sinne der ungarischen Volksgruppe im Burgenland, die dann auch ihre Ortsschilder bekommen habe.

Dr. Koloman Brenner war Gründungsmitglied der LdU und über zwanzig Jahre lang bis 2017 Mitglied der Vollversammlung. Unter Lorenz Kerner, den er bis heute als Managertyp bezeichnet, wurde Brenner Auslandsbeauftragter der LdU, wodurch er gute Kontakte habe knüpfen können, unter anderem zur Minderheitenorganisation FUEN bzw. zur Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM). Hier habe er ein gemeinsames Portal für die deutschen Minderheiten aufgebaut, das bis heute funktioniere. 2006 wurde Brenner sogar von der damaligen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) empfangen.

Die Hoffnungen vieler, durch die Nationalitätenselbstverwaltungen und eigene Institutionen die Sprache zu erhalten, haben sich nicht erfüllt: „Dass wir ein stabiles Netz an Kindergärten und Schulen haben, halte ich für eine große Errungenschaft. Dennoch sehe ich keine Entwicklung in Richtung Zwei- und Einsprachigkeit. Das Sprachliche wurde – wird – einfach vernachlässigt. Sprachbenutzung ist ja eine bewusste Entscheidung”, zieht der Politiker Bilanz. „Das Ziel soll ja sein, das Ungarndeutschtum ins 21. Jahrhundert zu führen. Aber da stellt sich die Frage, was gelebte Tradition ist?! Um ein Beispiel zu nennen: Viele sind der Meinung, dass nur die Originalvolkstracht authentisch sei. Ich meine hingegen, dass es immer Veränderungen gibt, wodurch sich das Authentische auch relativiert. Warum sollte man nicht die Lederhose akzeptieren?”, fragt er sich.

Von der Lehrtätigkeit ins Dekanat

Zweifelsohne erlangte Koloman Brenner als Germanist und durch seine zahlreichen Hochschulämter Bekanntheit. Die Zeit in Steinamanger endete 1998, als er von Professor Csaba Földes nach Wesprim geholt wurde. Sein Einsatz währte auch hier nicht lange, denn zum 1. 1. 2000 rief ihn der Leiter des Instituts für Germanistik, Prof. Dr. Karl Manherz, den er noch aus Verbandszeiten kannte, als Oberassistent an die Loránd-Eötvös-Universität Budapest (ELTE). Hier wurde er zum Projektleiter des Ungarndeutschen Sprachatlasses bestimmt – diese Arbeit erledigte Brenner mit der Germanistin Dr. Maria Erb. 2006 wurde er Beauftragter des Dekans der Philosophischen Fakultät und blieb bis 2015 Mitglied im Dekanat. Anfangs war er für die Master-Akkreditierungen zuständig, ab 2011 bekleidete er das Amt des Prodekans für strategische Fragen. In diese Zeit fiel auch seine Habilitierung. 2015 bedeutete für ihn einen Wendepunkt im Leben. Er bewarb sich als Dekan und verlor: „Es war eine durchpolitisierte Geschichte. Ich hatte schon früher über die Tätigkeit an der Uni Kontakte zu Jobbik-Politikern, aber es gab keine Zusammenarbeit. Die erste fachliche Zusammenarbeit fand 2014 statt, als ich das minderheitenpolitische Programm der Partei mitgestaltet habe”, erzählt Brenner.

Dr. Koloman Brenner

Der Parteipolitiker

2015 war Koloman Brenner bereits als Experte für Jobbik tätig und beriet den damaligen Vorsitzenden Gábor Vona. Nach einem Parteitreffen in Tapolca wurde die Zusammenarbeit mit Vona immer enger: „Ich fand diese Aufgabe intellektuell herausfordernd, sie gefiel mir”, gesteht er. Jahrelang war Brenner Sekretär einer Kommission der Ungarischen Rektorenkonferenz. Die Ignoranz der Politik, wie er sagt, gegenüber den Vorschlägen der Univertreter, war eine weitere Motivation für den Wissenschaftler: „Ich wollte mehr bewegen.”

2017 war ein weiterer Wendepunkt im Leben des 56-Jährigen: Er wurde für die Parlamentswahlen nominiert. Dies bedeutete den Verzicht auf seine Mitgliedschaft in der bzw. Kandidatur für die Vollversammlung der LdU. Er war nach eigenen Angaben an der Erstellung des Wahlprogramms von Jobbik beteiligt, was einem Regierungsprogramm gleichgekommen sei: „Es enthielt sogar schon die geplanten ministerialen Strukturen”. Es kam aber anders, obwohl Jobbik mit 1,3 Millionen Wählern für ihre Kandidaten oder 20 % Stimmenanteil ihr bislang bestes Wahlergebnis holte. Brenner rechnete mit 15 Direktmandaten, diese Hoffnungen wurden aber nicht erfüllt. Bei den Vorbereitungen auf die Parlamentswahlen 2022 sei er ein „Fan von zwei Listen” gewesen, aber als stellvertretender Fraktionschef ohne Parteiämter habe er die Entscheidungen nicht beeinflussen können. Auch gegenüber dem Spitzenkandidaten der Vereinten Opposition – dem konservativen Bürgermeister von Hódmezővásárhely Péter Márki-Zay – zeigte er sich nach eigenen Angaben kritisch. Nach Wahlniederlage, Parteispaltung und der Jakab- und Gyöngyösi-Zeit plant Brenner als Vizeparteichef ab September einen Neuanfang: „Wir haben eine neue Programmatik und wollen alte Mitglieder zurückgewinnen. Unser Ziel ist es, nach der Wahl von 2026 wieder eine Fraktion im Parlament bilden zu können”, erklärt der Politiker.

Neue Heimat Budapest

Für viele kam die Kandidatur von Brenner für das Amt des Oberbürgermeisters im Herbst 2023 überraschend: „Es war keine einfache Entscheidung, dennoch wollten wir von Jobbik eine Alternative aufzeigen und die Partei bei der gleichzeitig stattfindenden Europawahl durch die öffentliche Präsenz der gegenwärtig bekanntesten Persönlichkeit der Partei unterstützen”, gewährt der Jobbik-Mann einen Einblick in den Prozess der Entscheidungsfindung. Brenner habe danach viele positive Rückmeldungen erhalten. Warum er dann zugunsten des von der grünen LMP-Partei unterstützen ehemaligen Chefs der Budapester Verkehrsbehörde (BKK) und Staatssekretärs der Orbán-Regierung Dávid Vitézy zurücktrat? „Wir haben viele Gemeinsamkeiten in Vitézys Programm entdecken können, was ihn für uns als wählbar erscheinen ließ”, so Brenner. Perspektivisch will er für Budapest arbeiten, was auch sein Posten als Wahlkreisleiter für Schorokschar-Tschepele (Wahlkreis Budapest 17) zeigt. Hier habe er viele „gute Ungarndeutsche” für eine Zusammenarbeit gewinnen können.

Die wenig beachtete Leidenschaft des Koloman Brenner

Es ist womöglich nicht jedem bekannt, dass der Germanist und Politiker seit Jahrzehnten eine weitere Leidenschaft hat: die Lyrik. „Seit den Studienjahren schreibe ich Gedichte Damals haben mich Lektoren aus der DDR mit wertvollen Tipps unterstützt. Ich war eine Zeit lang bei den VudAK-Werkstattgesprächen aktiv und brachte 2007 einen Band namens „Sehnlichst” mit den Abbildungen von Robert König heraus”, erzählt Brenner stolz. Nach einer künstlerischen Pause in den 2010er Jahren schreibt er nach eigenen Angaben wieder regelmäßig als Ausgleich zum politischen Alltagsgeschäft.

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!