Ungarndeutsche Studentenschaft ohne Mäzen

Von Patrik Schwarcz-Kiefer

Student zu sein kann oft eine schwierige, herausfordernde Aufgabe sein. Den Wissensdurst zu löschen, die letzten Tage der Jugendzeit auszunutzen und sich auf das Leben vorzubereiten ist nicht leicht. Nach der ruhigen Gymnasialzeit kommt das großgeschriebene Leben und plötzlich wird alles schwieriger.

Ungarndeutscher Student zu sein ist eine noch schwierigere Aufgabe, denn man wird neben den Herausforderungen als Universitätsangehöriger noch mit einer weiteren konfrontiert: nämlich mit der Frage, wie man seine Identität an der Universität bewahren kann?! Man sieht viele Beispiele für Identitätskrisen: „Ich bin jetzt „sváb“ (Schwabe), an der Uni aber ein Student“. Die Frage ist berechtigt: Wie kann so was passieren? Die Antwort ist einfach: Die ungarndeutsche Führung kümmert sich um ihre Studenten nicht (ODER: hat die Studenten vergessen).

Um die jedenfalls nicht, die sich ihre Zukunft nicht im Rahmen des „Nationalitätenschulsystem“ vorstellen. Nehmen wir das Beispiel eines ungarndeutschen Chemie-Studenten namens Andreas. Bis zum Ende der Mittelschule hatte er die Gelegenheit Nationalitätenschulen zu besuchen, dort als Ungarndeutscher zu existieren. Er konnte an den Veranstaltungen der Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher (GJU) teilnehmen, zu Hause jeden Tag sein Ungarndeutschtum erleben. Nach der erfolgreichen Immatrikulation wird er aber in einer großen/größeren Stadt leben und die bisherigen Kontakte brechen weg. Es gibt keine solche Organisationen, keine derartige Gemeinschaften, der man sich anschließen könnte (die Situation in Budapest ist etwas anders, da der Verein Deutscher Hochschüler (VDH) versucht diesen Raum auszufüllen). Was für Möglichkeiten hat Andreas, in seinem studentischen Milieu seine Identität zu leben? Kaum welche. Er kann an den Veranstaltungen der GJU, die immer weniger zu seinem Leben passen, an den Schwabenbällen seines Herkunftsortes teilnehmen. Diese haben aber gar nichts mit der Uni zu tun. Seine potenziellen neuen Freunde an der Universität werden diese Veranstaltungen nicht hoch bewerten, also wenn er neue Kontakte ausbauen will, wird er an den genannten Veranstaltungen immer seltener teilnehmen.

Ohne Zweifel können wir über eine von Assimilation gefährdete Gruppe sprechen. Das ist keine Neuigkeit, das war Bleyer auch klar. Man muss in eine so gefährdete Gruppe mehr Zeit, Energie und Geld investieren, um sie für das Ungarndeutschtum zu erhalten. Das macht aber niemand. So kann es passieren, dass unser Student für sich selbst eine neue Identität schafft, wo das Ungarndeutschtum keinen Platz hat. Es gibt keinen solchen Antrieb, dessen Ziel die Bewahrung der deutschen Identität ist, bis auf den Valeria-Koch-Preis. Hier ist die Erwartung ein ungarndeutsch-orientiertes Thema. Als Chemie-Student ist Andreas dadurch außen vor.

Seien wir optimistisch und stellen uns vor, dass unser Student unabhängig von den oben Erwähnten seine Identität bewahrt, an den Programmen der GJU weiterhin teilnimmt und die gute Beziehung zu seinen Freuden mit deutschem Hintergrund weiter pflegt. Dann kommt eine neue Herausforderung, nämlich die Frage des Geldes. Diejenigen, die sich auf dem Weg zur materiellen Unabhängigkeit befinden, die also die Möglichkeit suchen weniger von den Eltern abzuhängen, oder die Eltern sind in einer solchen ökonomischen Situation, die eine weitere Unterstützung nicht ermöglicht. Wahrscheinlich wird er eine Arbeit suchen, und neben der Arbeit und dem Studium wird er keine Zeit für das Ungarndeutschtum haben. Damit wird er für unsere Minderheit verloren gehen.

Die jüdische Gemeinschaft Ungarns kennt dieses Problem, deswegen hat die Jugendorganisation „Atid” (die Jugendorganisation der Vereinten Ungarischen Israelitischen Glaubensgemeinschaft, Egyesült Magyar Izraelita Hitközség, EMIH) ein Stipendienprogramm für die Studenten jüdischer Abstammung zwischen 18-26 Jahren gestartet. „Wir möchten, dass du neben deinen Alltagssorgen auch Zeit für die Tora hast…“ – ein solcher Satz bei den Ungarndeutschen ist leider unvorstellbar.

„Als ich in diesem Alter war, habe ich für mich alles organisiert und habe nie daran gedacht, dass ich Geld bekomme soll“, solche und ähnliche Äußerungen kann man von älteren Ungarndeutschen hören, wenn es um die Notwendigkeit der Unterstützung ungarndeutscher Studenten geht. Diese Denkweise kann man für alles halten, aber sicher nicht für zukunftsweisend. Das künftige Rückgrat der ungarndeutschen Intelligenz ist die Studentenschaft, deswegen müssen sie von der jeweiligen ungarndeutschen Führung unterstützt werden, sonst wird es keine Intelligenz geben, über die man sprechen kann. Ohne Intelligenz schreitet das Ungarndeutschtum auf dem Weg zum endgültigen Verschwinden weiter voran. Deswegen wäre es wichtig, dass der Mäzen der ungarndeutschen Studentenschaft endlich gefunden wird.

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