Ein Leben für Sprache und Identität in der Schule

Im Gespräch mit der Katharina-Kreisz-Preisträgerin Monika German-Götz aus Sende/Szendehely

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SB: Sie haben letztes Jahr den Katharina-Kreisz-Preis erhalten? Wie fühlten Sie sich, als Sie davon erfahren haben?

MGG: Natürlich hat es mich sehr berührt, dass mein Vorgesetzter mich für den Preis nominiert und auch dadurch meine jahrzehntelange Arbeit anerkannt hat. Ich habe die Namensgeberin des Preises gleich zu Beginn meiner Laufbahn kennen gelernt, sie hat als Fachinspektorin meine Klasse einmal besucht und mir nützliche Ratschläge gegeben. Sie war eine bestimmende Persönlichkeit des ungarndeutschen Bildungswesens und widmete ihr ganzes Leben der Schule und dem Nationalitätenunterricht. Deshalb war es für mich eine große Ehre, am Ende meiner Lehrerlaufbahn den nach ihr benannten Preis zu erhalten.

SB: Wenn Sie auf die 40 Jahre Ihres Berufslebens zurückblicken: Worauf sind Sie am meisten stolz?

MGG: Als Lehrerin bin ich stolz darauf, dass es mir gelungen ist, viele meiner Schüler für die deutsche Sprache zu begeistern und ihre Identität zu entwickeln und zu stärken. Viele von ihnen orientierten sich bei ihrer weiteren Studien- und Berufswahl an ihren Sprachkenntnissen. Während des Unterrichts habe ich viel Energie darauf verwendet, die Kinder zu motivieren, ihr Interesse zu wecken und aufrechtzuerhalten, was sich, wenn auch nicht in allen Fällen, oft lohnte.

Als Schulleiterin konnte ich mich 2015 an dem Prozess beteiligen, als die örtliche deutsche Nationalitätenselbstverwaltung – als eine der ersten – die Trägerschaft der Grundschule übernahm. Die durch den Wechsel eingeleiteten positiven Prozesse wirkten sich günstig auf die Arbeitsbedingungen und Leistungen der Schüler und Mitarbeiter aus. Unsere Schule konnte den sich ändernden Anforderungen und Herausforderungen der letzten Jahre gerecht werden und die Deutsche Nationalitätengrundschule Sende wurde zu einer beliebten und angesehenen Einrichtung.

In wenigen Jahren ist die Zahl der Schüler deutlich gestiegen und es ist uns auch gelungen, trotz des immer größer werdenden Lehrermangels alle Lehrerstellen mit Fachlehrern zu besetzen. Auch die materielle Ausstattung der Schule hat sich verbessert: Alle Klassenräume wurden mit Smartboards (elektronischen Tafeln, Red.) ausgestattet und die Lehrer beherrschen durch kontinuierliche Schulungen den Umgang mit den Geräten.

Nach dem Trägerwechsel erweiterten sich unsere finanziellen Möglichkeiten, wodurch wir neben der Renovierung des Schulgebäudes auch die Qualität der Erziehung und Bildung verbessern konnten, z. B. durch die Anstellung von einer Schulpsychologin und pädagogischen Assistenten oder die Reduzierung der Arbeitsbelastung der Lehrkräfte durch eine Minimierung der Stundenzahl. Zur Verbesserung der Sprachkenntnisse haben wir für unsere Schüler jedes Jahr in Österreich ein Sprachcamp organisiert.

Die hohe Qualität der Arbeit des stabilen, gut ausgebildeten und sehr erfahrenen Lehrpersonals wurde durch hervorragende Wettbewerbsergebnisse, die erfolgreichen Aufnahmeprüfungen in die Mittelschule und die Ergebnisse der nationalen Kompetenzmessungen belegt.

Ich habe mehr als drei Jahrzehnte meiner 40-jährigen Lehrerlaufbahn in der Grundschule Sende verbracht. Rückblickend wurde mir mit einem angenehmen Gefühl bewusst, wie viel ich im Laufe der Jahre von dieser Institution erhalten habe: Entwicklungsmöglichkeiten, Anerkennung, Liebe und den Respekt meiner Kollegen. Während meiner Arbeit habe ich stets die Unterstützung der Lehrkörper und meiner Vorgesetzten gespürt.

SB: Sie stammen aus einer deutschen Familie im Ort – erzählen Sie bitte ein wenig über sich selbst und Ihre Familie!

MGG: Ich bin in Berkina/Berkenye in einer schwäbischen (fränkischen) Familie aufgewachsen. Nach der Grundschule machte ich das Abitur im Nationalitätenklassenzug des Lajos-Kossuth-Gymnasiums in Budapest. Am Anfang hatte ich hier mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, da meine Sprachkenntnisse noch sehr unvollständig waren, aber bis zum Ende des ersten Jahres habe ich es geschafft aufzuholen. Die Gymnasialzeit war entscheidend für mein Leben. Hier bildete sich meine Identität heraus, hier wurde mir meine Zugehörigkeit klar. Ich habe noch viele Bekannte aus dieser Zeit, die in deutschsprachigen Siedlungen überall im Land leben. Ich habe in Baaja ein Deutschlehrerdiplom für die Unterstufe (Primarstufe, Red.) erworben und dann in einer ungeteilten Klasse an meiner ehemaligen Schule in Berkina angefangen zu unterrichten. Nach meiner Heirat zogen wir ins Nachbardorf Sende. Ab 1990 unterrichtete ich hier in der Grundschule zunächst in der Unterstufe, dann erlangte ich einen Abschluss als Sprachlehrerin an der ELTE und unterrichtete das Fach Deutsch. Von 2009 bis zu meiner Pensionierung war ich Schulleiterin der Deutschen Nationalitätengrundschule Sende. Ich habe zwei Töchter und bin eine glückliche Omi von zwei Enkelkindern.

SB: Seit kurzem sind Sie pensioniert – wie gestaltet sich Ihr (Un-) Ruhestand?

MGG: Während meiner Arbeit hatte ich oft Probleme damit, die Zeit zwischen Arbeit und Familie aufzuteilen. Jetzt steht natürlich die Familie im Vordergrund, ich verbringe viel Zeit mit meinem Enkel. Es ist auch kein Problem mehr, meine im Ausland lebende Tochter mit Enkelin öfters besuchen zu können. Mir gefällt, dass ich viel mehr Zeit für meinen Garten und meinen Haushalt habe. Aus familiären Gründen habe ich vor kurzem angefangen, Italienisch zu lernen, ich hoffe, dass ich dadurch auch meine geistige Frische im Zaum halten kann. Ich bin sehr gern in der Natur. Es wäre schön, wenn wir uns noch lange Zeit dem Wandern widmen könnten, was mit meinem Mann eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen ist.

SB: Ihre berufliche Laufbahn begann Anfang der 1980er Jahre – inwiefern hat sich die pädagogische Arbeit in all den Jahren verändert?

MGG: Im Laufe der vier Jahrzehnte erfuhren das Schulumfeld, die Schüler, die Methoden und die Bildungspolitik unzählige Veränderungen, die von den Akteuren des Schullebens eine ständige Anpassung erforderten. Leider gehen heute immer mehr Kinder zur Schule, die das Lernen als Zwang erleben. Sie haben keine emotionale Bindung zur Schule, der Wunsch nach Wissen ist für sie ein unbekanntes Konzept, sie sind unmotiviert, sie erleben täglich Misserfolge und sie haben keine festen Lerngewohnheiten.

In den 80er Jahren waren Schulbücher und Kreide die grundlegenden Lehrmittel, aber es bedarf heute viel mehr, um die Aufmerksamkeit der Kinder zu erregen und aufrechtzuerhalten. Habe ich anfangs zu Hause viele Wortkarten, Plakate usw. zur Veranschaulichung angefertigt, gezeichnet, ausgeschnitten und gemalt – so habe ich in den letzten Jahren bei der Vorbereitung auf den Unterricht mehr Zeit damit verbracht, im Internet zu recherchieren, Apps auszuprobieren und anzupassen.

Im Laufe der Jahre wurde es notwendig, auch neue Lernverfahren einzuführen. Beispielsweise führten wir statt des früher fast ausschließlichen Frontalunterrichts immer häufiger Projekttage und Klassenprojekte durch, mit denen wir versuchten, die Motivation der Schüler zu steigern. Neuheit ist für die Kinder von heute wichtig – etwas anderes, als die Alltagsroutine. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass die Kinder an der Arbeit aktiv teilnehmen.

Ich finde, eine der schwierigsten Aufgaben der heutigen Pädagogen besteht darin, die Schüler zum selbstständigen Lernen zu erziehen. In der heutigen Welt sind sie es gewohnt, vieles vorgefertigt zu bekommen, müssen sich das Wissen aber selbst erkämpfen.

SB: Welche Erinnerungen haben Sie an Sende der 60er, 70er Jahre, insbesondere was den Alltag, den Sprachgebrauch und die lokale Identität der Dorfbewohner angeht?

MGG: In den 60er Jahren verbrachte ich meine Kindheit in Berkina, einem kleinen schwäbischen Dorf mit 500 Einwohnern, das bis 1990 verwaltungsmäßig zu einem slowakischen Dorf, Novohrad/Nógrád, gehörte. Hier wurden die Entscheidungen zur Dorfentwicklung getroffen – natürlich meist zugunsten der größeren Siedlung. Berkina war ein rückständiges, kleines Sackdorf mit einer zusammenhaltenden, gottesfürchtigen Bevölkerung. Die Männer fuhren zum Arbeiten meist nach Waitzen oder Budapest, für die Frauen bot eine von Budapest ins Dorf ausgelagerte Fabrik Arbeitsmöglichkeiten. Wir lebten mit meinen Großeltern väterlicherseits zusammen und ich verbrachte viel Zeit mit ihnen. Mein Großvater war Schuster, deshalb besuchten ihn viele Leute. Während man auf die Reparatur wartete, diskurrierten sie die Nachrichten. Meist wurde schwäbisch gesprochen. Sie sprachen untereinander und mit meinen Eltern oft in ihrer Muttersprache, aber leider strebten sie nicht danach, uns Kindern diese beizubringen. Im Gegensatz dazu sprach mein Mann in Sende bis zu seinem dritten Lebensjahr nur Schwäbisch, erst im Kindergarten lernte er Ungarisch. Über unsere Herkunft wurde in der Familie nicht viel gesprochen. Es gab keinen Deutschunterricht, nur in der Oberstufe wurde versuchsweise ein Deutschkurs gestartet, wo wir ein paar Wörter lernen konnten. Die Geschichte und Kultur der Ungarndeutschen und die Muttersprache meiner Eltern habe ich am Kossuth-Gymnasium kennen gelernt, wo ich auch meine Identität gefunden habe.

Die finanzielle Lage der Familien hat sich deutlich verbessert, als in den 70er Jahren viele mit dem Anbau von Himbeeren angefangen haben. Die Himbeerernte war zwar nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber mir gefiel, dass die Familie dabei zusammen war und viele lustige Kindheitserlebnisse sind damit verbunden.

SB: Sende liegt im „Speckgürtel” von Waitzen und macht einen sehr aufgeräumten Eindruck – ich gehe davon aus, dass das Leute von nah und fern anzieht – falls ja, welche Veränderungen gab es in der Bevölkerungsstruktur in den letzten Jahren, Jahrzehnten?

MGG: In Sende, das Anfang der 90er Jahre von dem Nachbardorf unabhängig wurde, begann der Ausbau der Infrastruktur langsam, aber heutzutage ist die Gemeinde ein moderner, lebenswerter Ort. Die günstige Lage und die Nähe zur Hauptstadt lockten viele neue Bewohner in das Dorf. Sende ist eines der wenigen Dörfer im Komitat Naurad, in dem die Bevölkerung jünger wird und ständig wächst. Die meisten der sesshaft gewordenen Familien nehmen am Dorfleben teil, ihre Kinder besuchen hier den Kindergarten und die Schule. Die Zahl der einheimischen Ungarndeutschen nimmt aufgrund von Mischehen und dem Tod älterer Menschen leider ab. Eine Liste von Klassennamen spiegelt den Wandel gut wider: Vor 15 Jahren trafen wir überwiegend auf deutsche Familiennamen, heute findet man kaum noch einen deutschen Namen. Leider zeigen auch die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Sende ein ungünstigeres Bild als die vorherige.

SB: Sie sind Mitglied der Deutschen Selbstverwaltung Sende – welchen Herausforderungen müssen Sie begegnen, wo „drückt der Schuh”?

MGG: Unsere deutsche Selbstverwaltung war eine der ersten im Land, die das Recht zur Trägerschaft der Grundschule übernahm. Seitdem werden auch der Kindergarten und die Kinderkrippe von der Nationalitätenselbstverwaltung getragen. Dadurch haben sich unsere Aufgaben und natürlich auch unsere Verantwortung deutlich erweitert. Wir haben den Schritt gar nicht bereut, die Lage der Institutionen hat sich verbessert und es ist sehr gut, dass Entscheidungen, die sie betreffen, vor Ort getroffen werden.

Ich sehe die Frage des Nachwuchses sowohl für die Nationalitätenselbstverwaltung als auch für die Vereine als problematisch an. Es können immer nur die gleichen Leute in die Arbeit einbezogen werden, es ist auch schwierig, junge Leute anzusprechen. Die Mitglieder werden immer älter und ich halte das für sehr gefährlich im Hinblick auf die Zukunft der getragenen Institutionen, der Traditionen und des Überlebens unserer Volksgruppe im Allgemeinen.

SB: Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen: Wo wird die deutsche Gemeinschaft in 20, 30 oder 40 Jahren stehen? 

MGG: Meiner Meinung nach hängt das Überleben der Nationalitäten in erster Linie von den Familien ab. Ich denke, wenn Kinder ihre Wurzeln erst in der Schule kennen lernen und ihre Identität und Traditionen im Elternhaus nicht mehr persönlich erleben – insbesondere weil sie ihre Großeltern selten treffen – werden sie ihre Zugehörigkeit leichter aufgeben. Auch die Gemeinschaften tragen eine große Verantwortung, attraktive Programme für junge Menschen anzubieten. Natürlich ist es aber am wichtigsten, dass der Staat die Existenz von Nationalitäten als wichtig erachtet und die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen dafür weiterhin schafft.

SB: Frau German-Götz, vielen Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führte Richard Guth.

 

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