Traditionspflege geht durch den Magen

Koch Gábor Schneider über Familientradition, die schwäbische Küche und deren Gegenwartsrelevanz

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Gábor Schneider wurde in Ohfala/Ófalu geboren und wuchs in Bohl/Bóly auf. Die schwäbische Umgebung hatte einen großen Einfluss auf ihn, vor allem die Küche seiner Großmutter. Später studierte er Ästhetik an der Universität Fünfkirchen. Wir sprachen mit dem Besitzer des ehemaligen schwäbischen Restaurants Krédli in Fünfkirchen und des Restaurants Kiskastély in Bohl.

SB: Gábor, hast du gleich nach dem Studium mit dem Kochen angefangen?

GS: Nach dem Studium wurde ich Journalist und arbeitete bei „Dunántúli Napló“. Dort habe ich zwanzig Jahre lang gearbeitet.

SB: Und was hat dich dazu bewogen, eine ganz andere Richtung einzuschlagen? Ich meine, wie bist du zum Kochen und zur Gastronomie gekommen?

GS: Nun, ich hatte schon immer ein grundsätzliches Interesse daran. Angefangen hat alles mit meiner Verbindung zu Bohl, mit meinen Erfahrungen bei meinen Großeltern, mit der schwäbischen Küche und den Geschmäcken dort. Diese Großeltern sind nicht mehr bei mir, und da habe ich begonnen, mich dafür zu interessieren und zu erkennen, wie wichtig das für mich ist. Und dann habe ich angefangen zu kochen. Ich hatte eine Wohnung mit einer kleinen Küche. Da habe ich angefangen, aber ich wusste nicht, wie.

Gott sei Dank gab und gibt es in der Familie ältere Menschen, meistens Frauen: Großmütter, Urgroßmütter, die ich aufsuchen konnte. Und das A und O des Ganzen war übrigens das sogenannte pekes kifli. Egal wie man es nennt, Bäkekipfl, Pekekipl, wie auch immer, in Surgetin/Szederkény heißt es ganz anders als Bohl. Also wollte ich lernen, wie man dieses Brötchen backt. Weil es mir immer so gut geschmeckt hat. Jeden Sonntag, wenn ich zu meiner Großmutter ging, zwei Straßen weiter, stand dieses Brötchen auf dem Tisch. Es war köstlich, es roch nach Großmutters Kipfeln. Und das hat mir gefehlt, das wollte ich nachmachen, und da habe ich nach diesem Rezept gesucht. Ich wollte es in meinem eigenen Leben nachmachen. Wenn meine Oma nicht mehr da ist, mache ich es für meine Kinder.

Und mit der Zeit wurde es weiterentwickelt. Ich interessierte mich nicht mehr nur für die Kipfeln, sondern auch für andere Lebensmittel. Damals, vor etwa 15 Jahren, haben diese Food-Blogs angefangen. Und dann habe ich zwei Blogs gemacht, einen mit schwäbischen Themen und einen ganz normalen, wo ich jede Woche Rezepte gepostet habe. Und da ich Journalist war, war es für mich nicht schwer, zu jeder schwäbischen Gastroveranstaltung hinzugehen. Zum einen konnte ich für die Zeitung darüber berichten, zum anderen konnte ich mich selbst informieren. In Feked beim Stifolderfest, in Surgetin beim Kipfelbackfest, beim Strudelbacken, einfach überall.

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SB: Wie soll man diese Sammlung sich vorstellen? Meine Urgroßmutter hat immer gesagt: Das sieht man. Also hat sie das Essen nach Gefühl zusammengestellt, ohne ein richtiges Rezept.

GS: Das war für mich einer der wichtigsten Aspekte bei den Blogs. Dass man die Rezepte so veröffentlicht, dass andere sie nachkochen können. Denn ich stand unzählige Male vor der Frage: Wie heiß muss der Ofen sein? Na ja, heiß. Wie viel braucht man? Eine Tasse. Na ja, einfach draufstreuen. Ich habe jedes Rezept nachgekocht, um herauszufinden, wie die Mengen sind. Damit ich das, was ich im pekeskifli-Blog schreibe, auch hinkriege, ob es 20 Gramm oder 10 Gramm und 200 Grad sind. Deshalb war es mir von Anfang an wichtig, diese handgemachten Nudeln und Gerichte ein bisschen zu konkretisieren. Und ja, es sollten Grammangaben und Hitzestufen danebenstehen, damit ein jeder, wenn nicht die gleiche Erfahrung machen, aber etwas Ähnliches erleben kann. Viele Leute fragen auf Internetportalen nach, wie man verschiedene Gerichte von Oma zubereiten kann. Ich habe übrigens den großen Traum, ein schwäbisches Kochbuch zu erstellen. Damit das Wissen über diese schwäbische Küche allen zugänglich wird.

SB: Vielleicht war „Großmutters Küche“ so ein Buch.

SG: Für mich ist es meine Bibel. Es ist ein sehr gutes Buch mit so vielen Informationen, das ist unglaublich. Ich schaue bis heute oft darin nach. Es ist in den 90er Jahren erschienen, also vor fast 30 Jahren, und die Frauen, die mir damals gezeigt haben, wie es geht, sind schon lange nicht mehr da. Mit anderen Worten, die Menge an Informationen, die sie dort zusammengetragen haben, ist fantastisch und hat einen sehr großen Wert. Aber es ist ein Schwarzweißbuch in deutscher Sprache. Ich finde es wichtig, dass ein solches Kochbuch auch auf Ungarisch und auch auf Deutsch oder auch auf Schwäbisch geschrieben wird.

Also das ist mein Plan, so ein Buch zu machen, ein schwäbisches Kochbuch mit vielen bunten Fotos. Damit man sieht, wie das Essen aussieht. Und es soll voll mit praktischen Informationen sein, wie man es zubereiten muss. So möchte ich diese ganze Erfahrung und dieses ganze Wissen zusammenfassen, zum Teil für mich selbst, zum Teil für andere.

SB: Die schwäbische Küche hat also viel Tiefgang.

GS: Ja, auf jeden Fall. Deshalb habe ich auch das Krédli in Fünfkirchen gemacht, wo es ausschließlich um schwäbische Küche ging. Als ich mit dem Journalismus aufgehört habe, habe ich ein dreiviertel Jahr gebraucht, um diese kleine Küche und diese ganze Brand aufzubauen. Es war nur auf schwäbische Küche aufgebaut, es gab nichts anderes. Es war eine kleine Speisekarte mit sechs Hauptgerichten, zwei Suppen und zwei Desserts. Man ging dorthin, weil man in schwäbischer Umgebung aus einer schwäbischen Speisekarte wählen konnte. Das war mir sehr wichtig.

Und nun ja, es musste geschlossen werden, wegen Covid. Und weil es ein sehr spezifisches Restaurant war. Also von Ödenburg aus war es wirklich leichter zu finden als aus der nächsten Straße. Ich habe dort sehr gute Erfahrungen gemacht. Es gab nicht viel Geld für Marketing, aber es hat sich sehr schnell herumgesprochen und viele Leute kamen. Wir wussten, dass es schwierig sein würde, weil man ein Publikum für dieses Angebot finden muss, aber sie haben uns sehr schnell gefunden.

Das Gleiche passierte in Bohl mit dem Kiskastély, das wegen der Pandemie schließen musste. Ich bin hier in Bohl aufgewachsen, habe fast 20 Jahre hier gelebt. Mein Bruder arbeitet auch in der Gastronomie. Er hat früher auf dem Rókusfalvy Birtok in Edeck/Etyek gearbeitet. Und wir haben herausgefunden, dass dieser Ort zu mieten ist. Dann haben wir uns zusammengesetzt und beschlossen, dass wir das zusammen machen. Er hat seine Arbeit dort aufgegeben und ich habe die Krédli nicht neueröffnet. Aber der Plan war eigentlich das. Stattdessen sind wir hierhergekommen und haben etwas ganz anderes gemacht, was teilweise auch mit schwäbischer Küche zu tun hat.

SB: Aber trotzdem, vermisst du das Krédli nicht?

GS: Ja, sehr. Aber es ist eine andere Größenordnung, es war wirklich ein kleines Restaurant mit fünf Tischen. Jedenfalls habe ich noch meine Sachen dort gelassen. Das Restaurant könnte immer noch wiedereröffnet werden. Das Krédli ist ein schlafendes Dornröschen. Es kann jederzeit zum neuen Leben erweckt werden. Das Kiskastély und das Krédli können nicht gleichzeitig gemacht werden. Und ich will dieses machen.

SB: Ich weiß, dass du im Krédli immer selbst gekocht hast, ist das hier auch so?

GS: Hier teilweise, aber im Krédli war sonst niemand. Ich war in der Küche und meine Frau war im Gastraum. Hier ist es eine andere Größenordnung. In Stoßzeiten sind wir mindestens zu dritt oder zu viert in der Küche. Alleine könnte ich es nicht schaffen. Ich mag das Wort ” Küchenchef ” nicht. Denn eigentlich sehe ich mich immer als Philosoph, der gerne kocht und diese Umgebung liebt. Ich bin kein Koch, sondern ein Philosoph. Die Leute sagen: „Aber du hast einen Abschluss als Koch, einen als Kellner und bald bist du Konditor.“ Für mich ist es mehr ein innerer Drang oder eine Mission. Es ist das, was ich gerne mache. Ich sehe es nicht als Beruf.

Auf jeden Fall liebe ich es, wenn jemand in die Küche kommt und gut kochen kann. Und ich liebe junge und nicht mehr ganz so junge Leute, die sich für wirklich gute Köche halten. Sie sollen doch hier mit mir kochen und mir zeigen, was sie können.

Ich habe mich schon immer für die schwäbische Küche interessiert. Und das werde ich nicht aufgeben, auch wenn wir Burger und Pizza machen. Weil die Nachfrage da ist, interessiere ich mich weiterhin dafür.

SB: Glaubst du, dass das schwäbische Essen bzw. die schwäbische Küche in der heutigen Zeit noch relevant ist, oder müsste sie modernisiert bzw. verändert werden?

GS: Ich habe immer versucht, das Grundrezept nicht zu verändern. Wenn es also Dampfnudeln oder Schufnudl gibt, dann soll es so sein. Ich möchte nicht zu viel darüber nachdenken. Was man hinzufügen kann und was ich wichtig finde, ist das Anrichten und die Diskussion über das Ganze. Wie das Essen auf dem Teller aussieht und die Kommunikation. Was bekommt man, woraus besteht es, damit der Gast Bescheid weiß. Ich halte mich wirklich an die Originalrezepte, die ich gesammelt habe. Ich bin nicht den Weg von Béla Bartók gegangen, aber ich bin in die Dörfer und zu den Verwandten in der Gegend gegangen, um Rezepte zu sammeln. Ich glaube nicht, dass wir uns ändern sollten. Im Gegenteil, wir sollten es genauso machen. Wenn es mit Fett ist, ist es mit Fett. So ist die schwäbische Küche. Man braucht Zwiebeln, man braucht Kraut, man braucht Kartoffeln, man braucht Fett, man braucht Wurst. Damit kocht man und so muss es schmecken. Das ist ganz wichtig.

Ich hatte ein sehr schönes Erlebnis im Krédli. Da ist eine Familie reingekommen und hat sich hingesetzt. Meine Frau servierte das Essen, und die Mutter nahm es und weinte. Meine Frau ging zu ihr und sagte: „Was ist los? Kann ich Ihnen helfen?“ Und sie sagte, sie habe es gekostet, sie habe sowas das letzte Mal in der Küche ihrer Großmutter gegessen. Es habe ihr den Geschmack, die Erfahrung zurückgebracht. Sie war so glücklich, dass sie weinen musste. Es war eine fantastische Erfahrung für mich, was man mit einem Essen weitergeben kann, denn darum geht es. Es ist eine einfache bäuerliche Küche, die wir miteinander teilen. Mit ganz einfachen Zutaten, aber sehr sorgfältig zubereitet. Die schwäbische Küche ist gut, weil man immer versucht hat, aus dem Wenigen das Beste zu machen. Sie haben es so lange verfeinert, bis es gut war. Das ist wie beim Italiener. Wenn man also von Spaghetti und Carbonara spricht, ist es das Gleiche. Nudeln, Ei, Käse, Knoblauch, Öl. Und eines der besten Gerichte der Welt.

SB: Und hast du auch diese Geschmackserlebnisse gehabt?

GS: Ja, von meiner Großmutter in Bohl. Mit ihr kann ich diese kulinarischen Erfahrungen verbinden. Es geht darum, dass man eigentlich nicht viel braucht. Es ist also eine bäuerliche Küche, sowohl was die Technik, die Geräte als auch die Zutaten betrifft. Was sie meiner Meinung nach so wertvoll macht, ist, dass damals alles vom Bauernhof in die Küche kam. Deshalb schmeckte es so gut. Weil man es nicht im Laden kaufte, sondern die Großmutter in den Garten ging und den Knoblauch pflückte und der Großvater im Winter die Schweine schlachtete. Und das macht einen großen Unterschied im Geschmack aus. Die Zutaten, mit denen man kocht. Wenn ich etwas kochen wollte, habe ich oft festgestellt, dass es nicht so geworden ist.

Ich habe nicht das Fleisch, wo Großvater das Schwein jeden Tag gefüttert hat. Aber es gibt eine Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten. Die Früchte für den Sirup werden gleich nebenan angebaut. Etwa 5 Kilometer entfernt gibt es eine Fischzucht, von der ich sehr gerne Fisch mitbringe. Ich suche so oft wie möglich nach lokalen Zutaten. Dann ist das Endergebnis viel besser. Das gilt für alles, auch für frische Produkte.

SB: Und die Generation deiner Eltern? Haben sie diese Küche beibehalten?

GS: Ich würde sagen, überhaupt nicht. Also es war anders. In den Achtzigern war die schwäbische Küche nicht in Mode und es gab auch ein historisches Trauma dahinter. Es gab eine Abneigung, schwäbische Sachen zu machen. Dann kam alles Neue, die moderne Küche sozusagen. Von schwäbischer Tradition war keine Rede mehr.

SB: Wenn du nicht im Restaurant bist, kochst du dann auch zu Hause? Und wenn ja, inwieweit kommen dann schwäbische Gerichte auf den Tisch?

GS: Na ja, zu Hause muss gefeiert werden, damit ich koche. Aber ich koche auch sehr gerne zu Hause. Das Schöne daran ist, dass ich Zeit habe und weiß, für wen ich koche, es ist etwas Persönliches, es ist ein Flow-Gefühl. Kochen im Restaurant hat eine andere Dynamik. Dort weiß man nicht, für wen man kocht. Es ist etwas ganz anderes, für seine Familie und seine Lieben zu Hause entspannt zu kochen. In einem Restaurant muss man Quantität und Qualität rechtzeitig liefern. Denn das ist ein Job, ein Beruf. Hier kann man keine Fehler machen, zu Hause kann man Fehler machen und man kann sogar ein Glas Wein dazu trinken.

SB: Das Konzept hier im Kiskastély ist anders als z.B. im Krédli, aber das schwäbische Essen habt ihr behalten, oder?

GS: Ja, schwäbisch oder teilweise schwäbisch. Es kommt vor, dass die Beilage schwäbisch ist. Also zum Beispiel jetzt haben wir das Schweinefilet, das ist mit Schufnudl angefertigt. Und zum Nachtisch ist es auch gut, zum Beispiel mit Mohn. Manchmal ist es einfach ein schwäbisches Gericht, aber manchmal ist es wirklich nur eine Beilage.

SB: Hast du ein schwäbisches Rezept, welches du anderen zum Nachkochen und Ausprobieren empfehlen würdest?

GS: Einer meiner beliebtesten Beiträge auf meinem Blog war zum Beispiel die Knoblauchsoße: Knoblauchsoße in drei Schritten. Diese ist eine Grundlage in der schwäbischen Küche, deshalb gab es sie bei uns immer am Wochenende. Sie ist einfach, sehr schnell zuzubereiten und sehr lecker. Mit etwas gekochtem Fleisch schmeckt sie besonders gut.

SB: Gábor, Vielen Dank für das Gespräch!

GS: Sehr gern geschehen!

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Das Gespräch führte Martin Szanyi.

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