1722/23 kamen im Auftrag von Grafen Mercy die ersten evangelischen deutschen Siedler aus Hessen in das entvölkerte Gallaß/Kalaznó. In den 1740er Jahren kamen weitere Deutsche mit der zweiten Siedlungswelle hinzu, sodass im Laufe des 18. Jahrhunderts eine evangelische Gemeinde mit 116 Häusern entstand. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die Einwohnerzahl des Dorfes 1.014, es war eine homogene deutsche Siedlung. Heute leben ungefähr 100-110 Leute in der ehemaligen deutschsprachigen Siedlung. Das Sonntagsblatt führte ein Interview mit Bürgermeisterin Monika Mayer-Kovács über den Rückgang der Bevölkerungszahl, über die Gegenwart des Dorfes und die verbliebenen schwäbischen Traditionen.
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SB: Im Jahr 1900 zählte das Dorf 1.014 Einwohner, im Jahr 2011 sank die Einwohnerzahl des Dorfes unter 200, heute sind es ca. 100-110 Menschen. Was war der Grund für die Abwanderung?
MMK: Einer der Hauptgründe war die Vertreibung der ungarndeutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei der Volkszählung von 1941 erklärten sich 95 % des Dorfes zu Schwaben. Sie wurden vollständig vertrieben. Es blieben nur 57 Personen zurück, die behaupteten, Ungarn zu sein, sowie die Szekler aus der Bukowina und Ungarn, die anstelle der Schwaben hierher umgesiedelt wurden. Die sesshaften Bukowina-Szekler konnten hier jedoch keine Wurzeln schlagen und zogen aus dem Dorf fort. Dazu trug auch der Sozialismus mit den Regionalisierungen und der Auflösung von Produktionsgenossenschaften bei, sodass die Einwohner das Dorf verließen. Typischerweise zogen sie in die umliegenden Siedlungen, Hedjeß/Hőgyész und deren Umgebung.
SB: Wie hoch ist die Zahl der ungarndeutschen Einwohner des Dorfes heute? Spricht noch jemand den Dialekt?
MMK: 161 Personen sind die permanent gemeldeten Einwohner, 100-110 sind jedoch auch physisch anwesend. Leider leben hier keine Ungarndeutschen mehr. Es gibt eine Familie (Elisabeth Lux und ihre Familie), aber sie leben nicht durchgehend hier. Sie besitzen hier ein Ferienhaus. Den Dialekt spricht leider niemand mehr und es gibt keine Aufzeichnungen darüber, soviel ich weiß.
SB: Welche schwäbischen Traditionen und Feste sind erhalten geblieben, die die Dorfbewohner noch heute schätzen?
MMK: Erinnerungen bewahren wir eher in der heimatkundlichen Sammlung des ˇVereins für die Entwicklung des Dorfes Gallaß” und im Rahmen der Ausstellung gibt es eine ungarndeutsche Stube, in der man diese Traditionen bewundern kann. Über verbliebene Berufe und Handwerke habe ich keine Information. Letztes Jahr fand der 300. Jahrestag der Ansiedlung der Deutschen nach Gallaß statt, wo wir versuchten, mit Aufführungen, evangelischen Gottesdiensten und traditionellen Ausstellungen zu den Traditionen zurückzukehren. Zu sehen war eine Puppenausstellung mit traditionellen ungarndeutschen Trachten, wo man nicht nur die ansässige Kleidung von Gallaß, sondern auch die ungarndeutsche Tracht des Komitats Tolnau bewundern konnte. Außerdem gibt es eine Privatsammlung, die Johann-Lux-Stallgalerie, in der sich Interessierte über die deutschen Traditionen der Familie Lux informieren können. Es gibt hier auch eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg. Auch ein Brautkleid von Gallaß kann hier in Originalgröße betrachtet werden. Diese Ausstellung kann nach vorheriger Anmeldung besucht werden.
SB: Obwohl im Dorf keine Schwaben mehr leben, ist ihre Anwesenheit nicht spurlos verschwunden, was der Besucher am Erscheinungsbild und an der Bebauung des Dorfes erkennen kann. Welche Gebäude zeugen heute davon?
MMK: Darunter ist zuerst zu erwähnen, die evangelische Kirche im spätbarocken Stil, diese wurde zwischen 1787 und 1790 erbaut. Wir haben keine katholische Kirche, aber ein Gebetshaus. Eigentlich sind alle Gebäude in Gallaß Zeitzeugen der Anwesenheit des Ungarndeutschtums. Wir haben keine sogenannten Kádár-Baublöcke, sondern nur schwäbische Bauernhäuser, weil in den 1950er und 60er Jahren ein Bauverbot im Dorf galt. Unsere Häuser sind typische schwäbische Häuser mit schönen Fassaden. Wir haben ein Gebäude, an dessen Fassade der vollständige Name der schwäbischen Familie, die es erbaut hatte, und das Fertigstellungsdatum zu finden sind. Diejenigen, die später das Elternhaus zurückgekauft haben, versuchten, das Wohngebäude in seiner ursprünglichen Form zu erhalten und zu renovieren.
Darüber hinaus ist das Gebäude der Fotosammlung, ein wunderschönes Bauernhaus, eine Privatsammlung. Im Ort, jedoch einzigartig im Landkreis, befindet sich ein Stallgebäude mit Fachwerkaufbau. Hierbei handelt es sich um einen originalen Schiffsbalken, den die auf der Donau ankommenden Schwaben nach dem Abbau der “Ulmer Schachtel” im Anbau einbauten. Bereits erwähnt wurden die Johann-Lux-Stallgalerie und das Gebäude der „Heimatgeschichtlichen Sammlung“. Darüber hinaus ging das katholische Gebetshaus, das Eigentum der Familie Ochs war, später in den Besitz der sesshaften Bukowina-Szekler über. Das Dachgerüst des Gebäudes wurde sehr schön renoviert. Jetzt gibt es dort alle zwei Wochen eine katholische Messe. (Über die schwäbischen Bauten von Gallaß konnte der Leser bereits in Ausgabe 4/2022 lesen.)
SB: Was hat das Dorf den Schwaben zu verdanken? Welche Handwerke und Tätigkeiten gibt es, die von den schwäbischen Vorfahren eingebürgert wurden?
MMK: Früher wurde hier viel Wein angebaut, es gab damals fast 200 Weinkeller, heute gibt es nur noch einen Weingarten für den privaten Weinbau. Leider sterben die alten Handwerke aus, wenn die Enkel sie nicht in der Familie weiterführen. Ich kenne nichts anderes als Weinbau.
SB: Wer besucht heutzutage das Dorf oder zieht hierher?
MMK: Viele Menschen, die in dieser Saison das Dorf besuchen, kommen aus den Großstädten. Sie kaufen Immobilien und renovieren sie, belassen sie in ihrem ursprünglichen Stil und bleiben saisonal hier. Darüber hinaus verfügt die Gemeinde über ein Gästehaus, das wir vermieten, und wer sich entspannen möchte, kann hier übernachten. Es kommen auch Ausländer und Niederländer, die Immobilien kaufen und dauerhaft hierherziehen. Sie gehen in den Ruhestand und ziehen hierher. Oder sie kaufen das Grundstück, lassen dort alles renovieren, kehren erst nach Hause zurück und ziehen dann nach Gallaß, wenn sie älter werden. Über Gallas konnte man in der letzten Zeit in den Medien öfter hören und lesen, infolgedessen ist die Besucherzahl des Dorfes gestiegen.
SB: Vielen Dank für das Interview.
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Das Interview führte Ibolya Lengyel-Rauh.