Suche nach deutschen Spuren im Freilichtmuseum

Von Balázs Szabó

Es ist kaum zu glauben: Von ehemals etwa 800.000 Rumäniendeutschen lebten gemäß der Volkszählung von 2011 noch etwa 36.000 im heutigen Rumänien. Wir sind im größten Freilichtmuseum Ungarns in St. Andrä / Szentendre auf die Suche nach deutschen Spuren gegangen, um unter anderem diesem großen Wandel nachzugehen.

An einem sonnigen Augusttag begaben wir uns nach St. Andrä, um das Freilichtmuseum zu entdecken. Unser Ziel war es, auf deutsche Spuren zu treffen. Vor dem Besuch dachten wir, dass die Hitze die Menschen von dem Museum fernhält. Das stellte sich aber als falsch heraus. Zwar musste man nicht mit einer Hektik kämpfen, aber es gab reichlich Besucher und auch Schülergruppen.

Das Gelände ist riesig. Ursprünglich ersteckte es sich über 46 Hektar, heute nimmt das Skansen 60 Hektar ein. Steht man vor der großen Landkarte, stellt man fest, dass es unmöglich ist, die Entdeckung des Museums an einem Tag zu absolvieren. Es hört sich zwar banal an:  Verbringt man nur einen Tag im Museum, muss man im Voraus konkrete Pläne aufstellen. Dazu muss man aber Vorwissen haben, um zu wissen, was man wo finden kann.

Das Skansen, das das größte Freilandmuseum in Ungarn ist, liegt etwa 24 Kilometer nördlich von Budapest und liegt in einer einzigartigen Umgebung als Teil des Nationalparks Donau-Eipel (Duna-Ipoly Nemzeti Park).

Das Museum selbst wurde im Jahre 1967 gegründet. Die originelle Idee war, die Volksarchitektur, die Wohnkultur, die Landwirtschaft und die Lebensweise der ungarländischen Regionen mit originalen, umgesetzten Gebäuden darzustellen. Im Laufe der Zeit wurde das Gelände ständig erweitert und mit weiteren Regionen bereichert.

Das Museum besteht aus verschiedenen ländlichen Ensembles: Oberes Theißgebiet, Kleine Ungarische Tiefebene, Westtransdanubien, Südbakony, Plattensee-Oberland, Südtransdanubien sowie das nördliche Hochland um Tokaj, Nordungarn, Große Ungarische Tiefebene. Seit einem Jahr gehört auch Siebenbürgen zum imposanten ethnographischen Freilichtmuseum.

Bei unserem Besuch stellten wir auf Anhieb fest, dass die letztgenannte Region am beliebtesten ist. Dieser Teil ist nicht nur vielfältig, sondern auch modern – mit der neuesten Technik ausgestattet. Er gliedert sich in zwei Teile: Die Museumsbesucher können Einblicke in die Lebensweise sowohl der Dorfbewohner als auch der bürgerlichen Stadtbevölkerung in Siebenbürgen gewinnen. Der städtische Teil wird durch sechs Häuser, der dörfliche Bereich durch fünf bäuerliche Anwesen sowie durch ein Kulturhaus, ein Schulgebäude und eine unitarische Kirche auf einem Kirchengelände präsentiert.

Obwohl das Siebenbürgen-Gebiet noch nicht fertig ist, ist es faszinierend eine Reise zu machen und nach deutschen Spuren zu fahnden. Siebenbürgen und ganz Rumänien sind aufgrund ihrer Geschichte, Größe und der Einflüsse von Orient und Okzident ein vielfältiger Kulturraum: Neben der rumänischen Mehrheitsbevölkerung leben in dem großen Land 19 autochthone nationale Minderheiten, welche rund 10 % der Bevölkerung Rumäniens ausmachen. Eine davon ist die deutsche Minderheit mit 36.000 Angehörigen.

Die wichtigste deutsche Erinnerung findet man im hinteren Teil des Geländes. Das größte bäuerliche Anwesen im Siebenbürgen-Bereich, das aus Neudorf bei Hermannstadt (ungarisch Szászújfalu, rumänisch Nou) stammt, zeigt die farbenfrohe Vielfalt und die Reichtümer der siebenbürgisch-sächsischen Kultur.

Das Anwesen besteht eigentlich aus je zwei Wohnhäusern, Nebengebäuden und Scheunen. Die Besucher können hier das Gemeinschaftsleben, die Nachbarschaften, die Bräuche und die Handwerkkunst kennen lernen. In einem Zimmer kann man auch die dramatische Entwicklung der Geschichte der Sachsen in Siebenbürgen kennen lernen.

Die älteste deutsche Gruppe, die in dieses Gebiet einwanderte, waren die Siebenbürger Sachsen. Damals gehörte dieses Gebiet noch zum Königreich Ungarn. Sie siedelten sich im 12. Jahrhundert unter dem ungarischen König Geisa (Géza) II. in Siebenbürgen an. Zu dieser Zeit kamen Menschen vor allem aus Gebieten, die im heutigen Luxemburg, Lothringen und im Elsass liegen. Danach siedelten sich die Banater Schwaben zwischen dem 17. Jahrhundert und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an.

Nach dem Bauernanwesen begaben wir uns in den städtischen Bereich. Das Corso-Café liegt an einer Ecke am Hauptplatz. Man hat das Gebäude so nachgebaut, dass das Café den Stand der 1910er Jahre widerspiegeln kann.

Das Café, das sich in Neumarkt am Mieresch/Târgu Mureș befand, erlebte seine Blütezeit unter der Führung von Adolf Rechnitzer, einem jüdischen Bürger der Stadt, als in Neumarkt Deutsch fester Bestandteil des Alltags war. Er strebte nicht nur danach, den besten Espresso anbieten zu können, sondern lud auch Sänger und Zigeunerbands ein. Daneben konnte man sich seine Zeit auch mit Kartenspielen und Billardspiel vertreiben. Das Café fungiert nicht nur als Museum, das an die damalige Zeit erinnert, sondern man kann sich auch einen süßen Kuchen oder einen heißen Espresso gönnen.

Schreitet man ein paar Meter weiter, trifft man auf eine Apotheke aus Szeklerkreuz/Cristuru Secuiesc. Das Gebäude wurde nach dem Muster der großen bürgerlichen Bauten dieser Zeit maßgerecht aufgestellt. In der Apotheke, die damals von Josef F. Jäger und seinem Sohn betrieben wurde, wird auch einiges zum Auszuprobieren geboten – unter anderem Cremes. Uns wurde erzählt, dass diese unsere Haut jünger aussehen lassen sollten.

Nach dem Siebenbürgen-Gebiet setzten wir unsere Suche nach deutschen Spuren in Südtransdanubien fort. Das Hidasch-Haus ist in diesem Landschaftsensemble einzigartig in der Art, wie es das Schicksal der deutschen Minderheit in Ungarn darstellt. Der Fokus wird vor allem auf die Vertreibung gelegt. Das Haus wurde vom schwäbischen Wirt Lukas Johann Ende des 19. Jahrhunderts errichtet. Die Größe des Anwesens und die großen Ställe deuten darauf hin, dass die Familie wohlhabend war.

Trotz der guten finanziellen Lage der Familie musste sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen. Aufgrund des Prinzips der Kollektivschuld begann am 19. Januar 1946 die organisierte Vertreibung der Ungarndeutschen aus Ungarn. Alleine in Hidasch mussten 1165 Männer, Frauen und Kinder ihre Heimat verlassen. Die leerstehenden Häuser wurden später von Szeklern bezogen. Im Stall ist eine Ausstellung aufgebaut, die darauf abzielt zu zeigen, welche Wirkung die Vertreibung auf den Werdegang der vertriebenen Menschen ausübte.

Ein ungarischer Güterwaggon wurde nachgebaut, und er steht für das unwürdige Schicksal der Vertriebenen. Fotos und Videoinstallationen, bei denen Betroffene zu Wort kommen, stellen die Situation der Vertriebenen dar. Die Interviews mit Menschen, die die Vertreibung selbst erlebt und erlitten haben, helfen, sich in diese Situation hineinzuversetzen.

Im Bereich der Kleinen Ungarischen Tiefebene trifft man auf Erinnerungen an die Basilika Mariazell. Laut der Gründungslegende feierte König Ludwig I. von Ungarn einen Sieg über ein überlegenes türkisches Heer, indem er die gotische Kirche errichten ließ. Von 1644 bis 1683 wurde der Kirchenbau von Domenico Sciassia erweitert und barockisiert und die nördliche und südliche Seite wurden mit je sechs Seitenkapellen versehen. Die im Karpatenbecken lebenden Deutschen sahen die römisch-katholische Kapelle als einen der wichtigsten Wallfahrtsorte an. Auch zu dieser Landschaft gehören die Erinnerungen an die Volksabstimmungen in Westungarn nach dem Trianon-Vertrag. Diesem Teil der Geschichte widmet sich eine Ausstellung mit zeitgenössischen Werbeplakaten, aber auch mit Gebrauchsgegenständen der heanzischen Bevölkerung der Grenzregion.

Beitragsbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Szentendre,_Skanzen_71.jpg

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