Auf Deutsch Tradition pflegen und sich für die Moderne öffnen

Im Gespräch mit den Turwaller Musikfreunden

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SB: Der Verein Turwaller Musikfreunde definiert sich als eine Organisation, der die Pflege der ungarndeutschen Traditionen, vor allem der Musiktraditionen, wichtig ist. Erzählt bitte etwas über den Verein!

Franz (Ferenc) Holczer (Leiter der Blaskapelle – Flügelhorn): Die Mitglieder des Vereins sind Musiker und unsere Familienmitglieder. Bis auf ein Mitglied stammen alle aus Kleinturwall/Biatorbágy. Der Verein wurde 2021 gegründet. In den vergangenen anderthalb Jahren hat unser Verein mehrere Veranstaltungen, Polkanachmittage und Festivals organisiert.

Richárd Tálas-Tamássy (Vorsitzender des Vereins): Die Gründung des Vereins „Turwaller Musikfreunde“ war auf die COVID-Epidemie zurückzuführen. Wegen der Beschränkungen waren alle Proben verboten. Aber diese musikliebenden Jungs haben Proben zusammen im Freien – zum Beispiel auf einem Hof – gehalten. Nachdem die Musikanten eine lange Zeit zusammen musizierten, beschlossen wir, dass wir auch im offiziellen Rahmen zusammenarbeiten könnten. Ich half der Kapelle, sich in einen Verein zu verwandeln, deshalb wurde ich Vorsitzender. Dieses Jahr haben wir unseren zweiten „Geburtstag” gefeiert. Nur ein Musiker lebt im Nachbardorf Edeck/Etyek, aber früher ging er auch in Kleinturwall zur Schule. Also es gibt einen Verein, er heißt „Turwaller Musikfreunde“, und dieser Verein beherbergt auch eine Blaskapelle namens „SpeckBaum“.

SB: Auffallend ist es, dass ihr ausschließlich auf Deutsch postet (auf Facebook) – wie kommt das bei euren Followern – also Menschen, die euch in den sozialen Medien folgen – an und gilt die Deutschsprachigkeit auch bei Vereinsaktivitäten?

Richárd Tálas-Tamássy: Ich als Verantwortlicher für unsere Internetauftritte halte es für wichtig, dass wir nicht nur unsere ungarischen, sondern auch unsere deutschen Traditionen pflegen. Wir sind Mitglieder eines ungarndeutschen Kulturvereines, deshalb probieren wir mehr die deutsche Sprache zu benutzen. Untereinander sprechen wir nur ungarisch.

SB: Ihr reist sicherlich im Land herum – welche Eindrücke habt ihr über die deutsche Gemeinschaft in Ungarn gewonnen? Wo seht ihr Probleme?

Anna Bálinger (deutsche Nationalitätenlehrerin, Mitglied der Blaskapelle – Flöte): Wir müssen nicht weit fahren, um über Herausforderungen zu erfahren. Hier in unserer Gemeinde müssen wir die Kinder und die Jugendlichen auch motivieren. Sie wissen wenig über die Kultur unserer Vorfahren.

Sonja (Szonja) Földházi (deutsche Nationalitätenlehrerin, Mitglied der Blaskapelle – Klarinette): Bei ungarndeutschen Veranstaltungen treffen wir uns oft mit den gleichen Menschen und Gruppen. Ich denke, unter den Ungarndeutschen gibt es einen Kreis, der mithilfe der Kulturgruppen die Sitten pflegen und weitergeben möchte, aber das ist eine schwere Aufgabe. Leider besuchen immer weniger Menschen unsere Veranstaltungen. In den Städten interessieren sich die Leute für moderne bzw. neue Sachen, nicht für Kulturpflege. Wir können immer weniger Menschen z.B. mit Volksmusik ansprechen und erreichen. Deshalb ist es auch schwer, in einer deutschen Nationalitätengrundschule die ungarndeutschen Bräuche zu vermitteln. Bei uns in unserer Region sprechen leider nur wenige Menschen eine Mundart. In den Siedlungen, wo es keine Aussiedlung gab, sprechen auch noch Jugendliche „Schwäbisch”. Ich kenne und singe nur Volkslieder in dieser Sprache, aber es ist immer gut, jemanden eine Mundart sprechen hören.

SB: Mit welchen Herausforderungen, falls, habt ihr im Verein zu kämpfen?

Gábor Balog: Meiner Meinung nach hat ein Verband nur eine Herausforderung zu bewältigen, nämlich, dass unsere Mitglieder ein gemeinsames Ziel sehen und danach handeln; sie müssen sich das Ziel des Vereins zu Eigen machen. Wenn dies der Fall ist, dann muss die Führung des Vereins nur die Mitglieder motivieren und das Ziel im Auge behalten.

Richárd Tálas-Tamássy: Wir sind Erwachsene, wir haben Familien und arbeiten auch. Musikspielen ist nur ein Hobby für uns. Es ist nicht einfach, dass wir uns für die Proben und Auftritte Zeit nehmen und das dann allen passt.

SB: Wie seht ihr die Zukunft des Ungarndeutschtums?

Sonja Földházi: Die alten Sachen, die ehemalige Familiensprache – in erster Linie Deutsch – und die Traditionen sind heutzutage nicht besonders wichtig und beliebt. Für die jüngere Generation können sie kein Erlebnis bedeuten. Sie will sich eher mit den neuen Dingen beschäftigen. Für diese Generation bieten diese Programme keine Unterhaltungsmöglichkeiten mehr. Allein mit den Bällen kann sie sich identifizieren. Ein kleiner Kreis in dieser Minderheit soll die Bräuche weitergeben und die Traditionen bewahren. Unsere Aufgabe ist, dass wir diese Minderheit und ihre Sitten weiterleben lassen und an die nächsten Generationen weitergeben. Man muss eine jugendbezogene Strategie aufbauen, andernfalls werden die ungarndeutschen Traditionen verschwinden und diese traditionsreiche Minderheit voller kultureller Werte wird aussterben.

Anna Bálinger: Ich bin optimistisch. Im Kreis der Jugendlichen ist die Traditionspflege cool, wie ich sehe. Ich hoffe, es wird noch besser. Wir haben noch viel zu tun, aber es gibt noch Hoffnung. Es leben noch ältere ungarndeutsche Männer und Frauen unter uns, deren Erinnerungen und Bräuche wir noch sammeln sollten.

Franz Holczer: Wir sind Deutsch-Ungarn, also versuchen wir, die Traditionen aufrechtzuerhalten und an unsere Kinder weiterzugeben.

Richárd Tálas-Tamássy: Ich denke, dass die Ungarndeutschen und anderen Nationalitäten in den letzten zehn Jahren viel mehr Unterstützung erhalten haben als zuvor. Nicht überall kann man alle Traditionen wie die schwäbische Mundart vollständig bewahren, aber die Möglichkeit dazu ist auf alle Fälle da.

SB: Vielen Dank für das Gespräch!

Das deutschsprachige Gespräch führte Richard Guth.

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