Fünfkirchen der Vielfalt – an den Rand eines Festivals

Von Martin Szanyi

Auch dieses Jahr fand am 2. September das Festival für Traditionspflege der Nationalitäten (Nemzetiségi Hagyományőrző Fesztivál) in Fünfkirchen statt. Die Standplätze und Zelte der elf Nationalitäten boten traditionelle Gerichte, Ebru-Malerei, Henna-Zeichnungen und weitere handwerkliche Aktivitäten an, während auf der Hauptbühne das Hauptprogramm lief, vor allem mit Tanz und Musik.

Fünfkirchen war schon immer von vielen Nationalitäten und Völkern bewohnt. Allein wenn man den Stadtteil Rácváros/Raizenstadt oder Bosnyák utca/Bosniergasse erwähnt, mit ihrer typischen Siedlungsstruktur. Am Fuße des Havi-hegys erinnert eine Tafel an die Puturluk, eine turkisierte kroatischstämmige Volksgruppe, die hier einst lebte. Die nach Miroslav Krleža und von Valeria Koch benannten Schulzentren weisen auf die Präsenz der kroatischen und der deutschen Minderheit hin. In Fünfkirchen leben heute Angehörige der serbischen, deutschen, bulgarischen, kroatischen, Roma-, armenischen, rumänischen, ukrainischen, polnischen, ruthenischen, griechischen Minderheit.

Aber was wissen wir über diese Minderheiten?

Die Armenier mit weniger als hundert Menschen bilden die kleinste Gemeinschaft, gefolgt von den Bulgaren, die durch ihre Gartenbaukunst, Auberginen-Creme und Mastika berühmt wurden. Die Zahl der Ruthenen ist nach den beiden Weltkriegen gesunken, aber sie sind heute nicht nur in Nordost-Ungarn aufzufinden, sondern in Fünfkirchen leben ungefähr hundert Verhovinaer – sogenannte Bergbewohner –, die darum lautstark sind, weil in den Bergen man laut schreien musste, um kommunizieren zu können, besagt eine Legende. Die Ukrainer haben ihre Zahl fast verzehnfacht. Nach dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges sprang ihre Zahl in der Branau auf dreihundert Personen. Die Serben mit zirka dreihundert Mitgliedern bilden auch eine lebendige Minderheit, ihr renovierter orthodoxer Tempel ist in der Zrinski (Zrínyi)-Gasse zu finden. Zur Zeit des Griechischen Bürgerkrieges sind zahlreiche Griechen nach Ungarn geflüchtet. Ihr Zentrum ist bis heute Beloiannis im Komitat Stuhlweißenburg, aber auch in Fünfkirchen suchten in den 1950ern fünfundzwanzig Familien Schutz. Die Roma sind eine der größten Minderheiten, nicht nur in Fünfkirchen, sondern auch in Ungarn und in Europa. In Fünfkirchen gibt man auf die Bildung der Roma besonders Acht, da hier die erste Roma-Nationalitätenschule – Gandhi-Gymnasium, 1992 – in Europa errichtet wurde. An der Universität Fünfkirchen gibt es auch ein Institut für Romologie. Seit langem lebt mehr als ein Viertel der ungarischen Kroaten im Komitat Branau, ungefähr siebentausend Menschen. Neben dem kroatischen Schulzentrum ist das Institut für Slawistik für die Schulbildung der Nationalität zuständig. Das Hrvatsko Kazalište Pečuh – Kroatisches Theater Fünfkirchen – spielt eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Kroaten.

Die Mehrheit unter den Minderheiten stelllen die Ungarndeutschen. Die autochthone Gemeinde mit mittelalterlichen bürgerlichen Wurzeln spielte schon damals eine bedeutende Rolle in Fünfkirchen. Am 1. September 1367 wurde die Gründungsurkunde der Universität Fünfkirchen, der ersten Universität Ungarns – studium generale mit Fakultät artes und Kirchenrecht – von Wilhelm von Koppenbach, dem damaligen Bischof von Quinque Ecclesiae – wortwörtlich fünf Kirchen – und von Ludwig I., König von Ungarn, unterzeichnet. Zur Zeit der Ansiedlung kamen Bauern und Handwerker deutscher Herkunft nach Ungarn, viele davon in die Schwäbische Türkei und in die Gegend von Fünfkirchen. Einige Handwerksfamilien, die sich in der Stadt niedergelassen haben, wurden ganz erfolgreich. Trotz des ungarischen Namens Zsolnay waren sie eine deutschsprachige Familie, ursprünglich aus Steinamanger stammend. Vilmos (Wilhelm) Zsolnay gründete 1863 die international anerkannte und nach ihm benannte Keramikfabrik. Weltbekannt wurde die Porzellanfabrik durch ihre einzigartige Glasur: Eosin. In einem Dekret vom 1882 erteilte Kaiser Franz Joseph I. dem Eisenhändler Georg Traiber und seinen rechtmäßigen Nachkommen die Erlaubnis, ihren Namen in Vasváry zu ändern. Das Vasváry-Haus und Vasváry-Schloss tragen bis heute den Namen der Familie. Josef Angster stammt aus einer deutschen Bauernfamilie, die in Esseg/Osijek gelebt hat. Der Meister baute seine Orgelmanufaktur in Fünfkirchen auf, und der auch im Ausland berühmte Handwerker wurde sogar vom Papst ausgezeichnet. Im 20. Jahrhundert hat Valeria Koch – eine der prägenden Persönlichkeiten der ungarndeutschen Literatur – an dem auch durch seinen Nationalitätenunterricht bekannten Klára-Leőwey-Gymnasium gelernt, später auch als Lehrerin dort unterrichtet.

An solchen Veranstaltungen kann man die ethnische Diversität der Stadt erkennen und diese Erkenntnis könnte wahrscheinlich auch für ganz Ungarn gelten. Die Zielsetzung des Festivals, dass es als Katalysator zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Nationalitäten wirken soll, ist meines Erachtens eine wichtige Verpflichtung. Allerdings herrschte dieses Mal am Nationalitätentag keine Festivalstimmung. Einige Nationalitäten zeigten keine nennenswerte Präsenz, die Zahl der Besucher war deutlich geringer als voriges Jahr und die Qualität der Vorführungen war unterschiedlich. Eigentlich schade, denn die ethnische Vielfalt von Fünfkirchen macht die materielle und geistliche Kultur der Stadt nur reicher. Dabei spielten und spielen bis heute die Madjaren, die Kroaten, die Deutschen und die Juden die Hauptrolle, aber jede weitere Minderheit trägt dazu bei.

Varietas delectat.

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