Reisenotizen spezial – Zips / Bodwatal

Von Martin Szanyi

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(August 2023) Als ich der JBG-Studienfahrt in die Slowakei zustimmte, hatte ich keine Ahnung, was mich in der Zips erwarten wird. Eine Reise mit neuen Leuten zu unbekannten Orten und Menschen. Die Landschaft wurde immer hügeliger, als wir in Richtung Kaschau/Košice fuhren. Nach dem Ortsschild von Košice erblickten wir die aufstrebenden Plattenbausiedlungen und die verrosteten Schienen der Straßenbahn. Die zweispurige Straße endete plötzlich, als wir in der Innenstadt ankamen und zufällig vor dem Márai Studiószínpad parkten. Die engen Gassen, die versteckten Innenhöfe, die Arkadengänge und die bürgerlichen Häuser erinnerten mich mehr an die mittelalterliche Geschichte der Stadt. Der gotische Kaschauer Elisabethdom, welche nach den Plänen von Emmerich Steindl renoviert wurde, wirkt imposant sowohl von außen als auch im Inneren des Gotteshauses mit ihrem feinen Maßwerk und Reliefs, spinnennetzartigem Netzgewölbe und bunt leuchtenden Mosaikfenstern. Man kann nicht nur die kleinen Skulpturen vom heiligen Emmerich, den Monarchen Stephan I., Ladislaus I. und Heinrich II. oder die Gedenktafel von Ferenc II. Rákóczi finden, sondern eine Aufschrift auf einem der Bleiglasfenster ist auch das zu lesen: In memoriam Francisci Josephi regis apostolici eiusque conjugis Elisabethae regina Hungariae (Zum Gedenken an Franz Joseph, den apostolischen König, und seine Frau Elisabeth, Königin von Ungarn). Der Nachlass des Ungarischen Königreichs und Integrierungskraft der Kirche sind auf jedem Fall zu erkennen.

Die Mitglieder des Karpatendeutschen Vereins haben uns herzlich empfangen. Es gab Kaffee und Kuchen nach deutscher Tradition und ein nettes Gespräch über die zukünftige Zusammenarbeit.

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Nachmittags ging es weiter, 35 Kilometer in Richtung Westen, nach Metzenseifen, auf Slowakisch Medzev. Unsere Reise aus Kaschau führte durch ein Dorf namens Jossau/Jasov. Die Gemeinde Jasov ist eigentlich berühmt nach seinem im Mittelalter gegründeten Prämonstratenserkloster. Von der Hauptstraße sind die spätbarocken Türme gut erkennbar. Auch die Zigeunersiedlung darunter neben der Straße am Ende des Dorfes. Bunte Häuser aus Holztüren, Plastikfolie, Blech- und Furnierplatten und wer weiß, was noch alles. Manche sind aus Ziegel, aber natürlich ohne Verputz und Fenster. Der Müll liegt auf den Feldwegen zwischen den Häusern und dem Bach. Es sind etwas über achthundert Leute, die im Elendsviertel leben. Manche laufen in zerrissenen Klamotten auf der Hauptstraße, manche verkaufen Pfifferlinge am Straßenrand.

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Als wir Metzenseifen ankamen, waren die Straßen leer, die meisten Häuser haben hier graue Schieferdächer. Über die deutsche Kultur berichtete uns Peter Sorg, der Vorsitzende der Karpatendeutschen im Bodwatal. Die Gemeinde wurde nach dem Tatarensturm, zur Herrschaftszeit von Adalbert (Béla) IV. von deutschen Siedlern gegründet. Wir wurden in einem lebensvollen Café neben der Kirche zu einem Kaffee eingeladen. Das Interieur mit den renovierten Holzmöbeln, mit der avantgardistischen Kunstaustellung und mit Fragmenten von einer neobarocken Freskomalerei an der Decke strahlen eine angenehme Atmosphäre aus. Ich fühlte mich wie zu Hause. Der karpentendeutsche Besitzer des gastronomischen Betriebes, Helmut Bistika, ist auch als Künstler tätig. Es war sehr angenehm, mit dem freundlichen Gastgeber zu unterhalten. Er findet die Förderung und Unterstützung der Jugend wichtig, deshalb organisiert er in seinem Café als Kunstpädagoge Workshops und Projekttage für Schüler. „Die Kinder sind unsere Zukunft“, sagt er. Als ich ihn über das barocke Fresko fragte, hat mir Helmut erzählt, dass hier vor dem Zweiten Weltkrieg eine Apotheke stand, was von sowjetischen Soldaten zerschlagen wurde. Die Decke wurde dann weiß gestrichen, um die Spuren der vorangegangenen Ära zu beseitigen. Als ihre Familie den ehemaligen Laden als Wohnort gekauft hat, hat sein Vater die Wandmalerei entdeckt und nach der Wende mit der Eröffnung des Cafés hat Helmut sie renoviert.

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Nach dem Kaffee haben uns der örtliche Vorsitzende des Karpatendeutschen Verein und der Museumsleiter durch das Museum für Kinematographie geführt. Die Privatsammlung von Foto- und Filmgeräten von Ex-Staatspräsident Rudolf Schuster ist die größte Sammlung in Europa. Hier konnten wir uns auch über die erste slowakische Amateurfilmexpedition ins Landesinnere Brasiliens informieren. Es war schon beeindruckend, von den vielen Objektiven beobachtet zu werden. Neben der Foto- und Filmausrüstung befindet sich eine Schmiede mit einem mächtigen Wasserhammer und einem Wasserkreislauf, mit Ambosse und Schmiedewerkzeugen. Da haben wir erfahren, dass es in Metzenseifen mal 109 solche Schmieden gegeben habe, was auch viele Fachleute benötigte. Hier wurden vor allem landwirtschaftliche Werkzeuge wie Schaufeln und Hacken geschmiedet. Die Handwerker haben mit ihren Produkten das Königreich Ungarn lange Zeit versorgt, sogar die rumänischen und balkanischen Bauer haben mit Metzenseifener Eisen gehackt. Am Abend konnten wir im Kulturhaus noch einige Gegenstände der Metzenseifener angucken und über die mantakische Mundart etwas erfahren. Der Legende nach, als die Metzenseifener ihre Waren auf den Markt brachten, haben die älteren Schmiede Schwierigkeiten bei den Verhandlungen gehabt, da sie schwerhörig wurden von den lauten Hammerschlägen. So haben sie die Jüngeren als Hilfe genommen und sie gefragt: Bo:s ma:nt-a? (Was meint er?). So haben die Ungarn die Schmiede einfach Mantaker/n genannt. Nach einer anderen Version haben die Ungarn die Metzenseifener gefragt: Mit mondtak? (Was haben sie gesagt?) und daher ist die Benennung Mantaker/n entstanden.

Am nächsten Morgen ging es wieder von Kaschau aus los, diesmal in den Norden Richtung Käsmark/Kežmarok und Hobgarten/Chmel‘nica. Unsere Reise begann gleich mit einem Umweg zur Zipser Burg. Die mächtige Burg auf dem kahlen Hügel ist eine der größten in der Welt mit ihrem fast 50.000 m2. Die im 11. oder 12. Jahrhundert erstandene Festung hat mehrere Hundert Jahre Geschichte hinter sich. Von dem Durchstehen des Mongolensturms über den Aufenthalt der Hussitenarmee von Jan Jiskra bis zu der Kuruzen, die bei der Belagerung zu einer List griffen. Die von blauen Bergen und mal grünen, mal gelben Wiesen umarmten Burg stellte eine mittelalterliche Landschaft dar.

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In Käsmark hat auf uns Vojtech Wagner, der Vorsitzende der Ortsgruppe des Karpatendeutschen Vereins Käsmark, gewartet. Nach einem Gespräch mit Kaffee und Kuchen im Vereinshaus ging die Stadttour los. Die moderne griechisch-katholische Kuppelkirche, die von dem dänischen Bauingenieur Theophil Hansen in eklektischen Stil errichtet wurde, die evangelische Kirche und die alte, dreihundert Jahre alte evangelische Holzkirche bilden ein spirituelles Dreieck am Rande des Stadtzentrums. Die Artikularkirche aus Holz ist ein Nachlass des Ödenburger Landtages 1681, wobei festgelegt wurde, dass die Protestanten außerhalb der Stadtmauern, ohne festen Turm und Glocken und Toröffnung zur Straße Holzkirchen bauen dürfen. Hinter den Kirchen befindet sich ein Lyzeum, an dessen Wand hängt unter anderem auch eine Petőfi-Gedenktafel. In der mittelalterlichen Innenstadt sind die Spuren der Fachwerkhäuser bis heute zu finden. Das klassizistische Rathaus, das ehemaligen Theater – heute Stadtbibliothek –, die spätgotische Basilika des Heiligen Kreuzes und das Thököly-Schloss bestätigen den Eindruck, dass hier früher eine deutsche Handwerkerstadt florierte. Nicht nur Emmerich Thököly ist ein berühmter gebürtiger Einwohner der Stadt. In einem Turm des Schlosses hat der polnische Grundherr seine Frau – Beata Łaska, die als erste Frau in der Hohen Tatra Touren machte – eingemauert, weil er den Ausflug seiner Frau unmoralisch hielt, das war auch ein Weg, Vermögen zu erwerben.

Nach der Strapačky und ein paar Gläsern Kofola – die Coca-Cola-Nachahmung mit dem Nachgeschmack von Hustensaft schmeckt mir immer noch nicht – fuhren wir nach Hobgarten. Auf Ungarisch heißt der Ort fälschlicherweise Komlóskert, da Hob- eigentlich für Hof und nicht für Hop oder Hopfen steht. Die Fehlübersetzung gilt auf für die slowakische Benennung: chmel ist gleich Hopfen. Die Anzahl der Deutschen ist in Hobgarten am höchsten geblieben, weil die Einwohner zur Zeit des Zweiten Weltkriegs von Zwangsrekrutierungen der SS und vor den befreienden sowjetischen Soldaten in den Wald oder in andere Dörfer geflüchtet haben, nachdem sie von Slowaken und Ruthenen früher gewarnt wurden. Die Karpatendeutschen haben uns auch hier ganz herzlich empfangen, natürlich mit Kaffee und Kuchen. Sie haben uns über die Probleme beim Nachwuchs und dem deutschen Schulunterricht erzählt, denn in slowakischen Schulen muss immer Englisch die erste Fremdsprache sein und viele junge Leute ziehe es nach Deutschland und Österreich.

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Schnell noch ein Blick auf die Hobgartener Kirche und auf gehts zur vierstündigen Reise nach Hause.

Die Studienfahrt wurde gefördert durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

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