Erinnerungen an Richard Wagner (1952-2023) – Die frühen Banater Jahre

Von Dr. Hans Dama

 Als Junglehrer hatte ich 1966 meine ersten drei Dienstjahre an der deutschen Abteilung des Lyzeums in der Banater Großgemeinde Perjamosch angetreten, wo damals u.a. auch Richard Wagner als Schüler diese Schule besuchte, ich jedoch in seiner Klasse nicht unterrichtete.

Als ich dann im Herbst 1969 dienstlich in meine Heimatstadt Großsanktnikolaus wechselte, unterrichtete ich an der Deutschen Abteilung des dortigen Lyzeums Geschichte. Das Fach Deutsch lehrte Frau Prof. Dorothea Götz, die ihre Schüler für die deutsche Sprache und Literatur begeisterte und einigen von ihnen den Weg als spätere Schriftsteller ebnete. Richard Wagner, William Totok, Werner Kremm, Anton Sterbling u.a. zählten zu dieser Schülergeneration, die auch von Nikolaus Berwanger gefördert wurden und somit sich mit ihren Anfangswerken früh in Publikationen der Öffentlichkeit vorstellen konnten.

Mein Geschichtsunterricht war vor allem in der stoffreichen Periode des Mittelalters auf lediglich eine Unterrichtsstunde pro Woche äußerst konzentriert zusammengefasst. So musste der Stoff vermittelt werden, was vielen Schülern – schon wegen des unermesslichen Umfangs – nur schwer zugänglich war. Richards Gedächtnis war brillant: Er konnte bei der Stoffzusammenfassung vor Schluss der Unterrichtseinheit – bei der sogenannten Festigung der neu vermittelten Kenntnisse – diese sinngemäß seinen Mitschülern anschaulich wiederholen.

Ich konnte damals nur am Rande des Geschehens agieren: Von meiner nachmaligen Frau Waltraud Schuhmann, damals im österreichischen Außenministerium tätig, erhielt ich über die Österreichische Botschaft in Bukarest Fachzeitschriften wie „Literatur und Kritik“ u.a., die an langen Nachmittagen in meinem Elternhaus bei kubanischem Rührkaffee und Banater Aprikosenschnaps mit einigen Schülern – ich erinnere mich an Richard Wagner und Richard Kernweiß – studiert wurden; die Inhalte der Fachzeitschriften wurden besprochen. Damals war Peter Handke gerade international „im Kommen…“

Es waren häufige Nachmittage, die wir mit der interessanten West-Lektüre zusammen verbrachten, eingebunden in diesbezüglichen Meinungsaustausch. Alles wurde jedoch nicht an die sprichwörtliche Große Glocke gehängt.

Richard war auch stimmlich sehr begabt: Ich erinnere mich daran, als er im Rahmen eines Unterhaltungsmusikprogramms – ich war damals Tenorsaxofonist im Orchester des Kulturhauses von Großsanktnikolaus – u.a. das Lied Green Green Grass of Home mit viel Erfolg interpretierte, doch äußerst bescheiden blieb. Jahre später aber erregte einer seiner Sprüche Kopfschütteln, als er (sinngemäß) meinte: „Mit mir beginnt die deutschsprachige Literatur des Banats…“

Am Rande einer gemeinsamen Lesung in Temeswar nach 1990 habe ich Richard darauf angesprochen. Er entschuldigte sich und meinte, es sei ein „schwacher Moment“ in seinem Leben gewesen (Lapsus) gewesen (De mortuis nil nisi bene…)

Seine allgemein anerkannte literarische Tätigkeit und jene darüber hinaus ist unbestritten, seine Bestrebungen, der Wahrheit ans Licht zu verhelfen, die Banater Literatur auf einen Spitzenplatz in der fünften deutschen Literatur zu hieven, ist auch auf seine Verdienste zurückzuführten.

R.I.P.

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Richard Wagner (geb. 1953 in Lowrin, verstorben im März 2023 in Berlin) war ein bedeutender Schriftsteller rumäniendeutscher Herkunft und ein rigoroser Verfechter der Aufdeckung von Securitate-Verstrickungen rumäniendeutscher Intellektueller.

Nach dem Lehramtsstudium in Temeswar arbeitete Wagner als Deutschlehrer in Eisenmarkt/Hunedoara und als Journalist. Er begründete mit anderen banaterdeutschen Schriftstellern 1972 die Aktionsgruppe Banat, die aber von der Securitate zerschlagen wurde, er selbst kam ins Gefängnis. In Temeswar trat er dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis bei, wo er seine spätere Frau, die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, kennen lernte. 1987 übersiedelten die beiden in die Bundesrepublik und Wagner lebte (nach der Scheidung im Jahre 1989) als freier Autor in Berlin.

Er vermachte sein Archiv dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München. Zwischen 1973 und 2017 publizierte er 12 Gedichtbände mit über 1000 Gedichten. Er debütierte bereits mit 16 Jahren in der rumäniendeutschen Zeitschrift „Neuer Weg“. Aber auch in anderen Genres entfaltete sich seine Schaffenskraft: Kurzprosa, Roman und Essay. Die beiden erfolgreichsten Romane waren „Das reiche Mädchen“ (2004) und „Habseligkeiten“ (2007). In seinem letzten Werk „Herr Parkinson“ (2015) setzt er sich bereits mit den Unwägbarkeiten seiner Erkrankung auseinander.

 

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