Mit künstlerischen Mitteln für den Erhalt von Sprache und Kulturerbe

SB-Gespräch mit DBU-Intendantin Katalin Lotz anlässlich des 40. Geburtstags der ungarndeutschen Spielstätte

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SB: Frau Lotz, über welche Informationen und Erinnerungen verfügen Sie bezüglich der Gründung(-szeit) der Deutschen Bühne Ungarn vor 40 Jahren?

KL: Um über die Gründung des Theaters mehr zu erfahren, habe ich den ersten Direktor des Theaters, János Kaczián, befragt. Von ihm erfuhr ich Folgendes: Als Ausgangspunkt der Entstehung der Deutschen Darstellungsbühne und der daraus entstandenen Deutschen Bühne Ungarn gilt der Vorschlag zu einem ungarndeutschen Reisekammertheater. Der Initiator war Dr. Dénes Földessy, Journalist, Dramaturg und Theatertheoretiker.

Er hat als erste Stufe die im Kindesalter verwendbare Theaterkunstmethode zur schulischen Minderheitensprachpflege, das sogenannte Audio-Gedächtnis-Theater, empfohlen. Das Wesen dieser Methode beruht darauf, dass das Theatererlebnis mit der Möglichkeit des Sprachgebrauchs gemeinsam erlebt wird. Über die Vorstellungen sollen Tonaufnahmen für Schulen und für die Gemeinschaft gemacht werden, damit man die Möglichkeit bekommt, das Gesehene selber spielen zu können.

Die Idee war, Vorstellungen auf die Bühne zu bringen, mit denen man auf Reisen gehen kann: mit wenigen Schauspieler*innen, mit kleinen Bühnenansprüchen und mit effektiver Publikumsorganisation. Die Verwaltung des Komitats Tolnau hat den Vorschlag für gut befunden. Das Kultusministerium und der Demokratische Verband der Ungarndeutschen sagten ihre Unterstützung zu. Mit den organisatorischen Aufgaben wurde das Kulturhaus „Mihály Babits“ des Komitat Tolnau beauftragt.

SB: Was waren die Höhepunkte der letzten 40 Jahre und hat sich etwas grundlegend verändert?

KL: Aus einer Vorstellungsbühne mit Gastschauspielerinnen und -schauspielern wurde ein richtiges Ensemble mit festen Ensemblemitgliedern und mit Fachpersonen hinter der Bühne (Technik, Requisite, Kostüm, Organisation…). 1989 erhielt das Theater den Namen Deutsche Bühne Ungarn (DBU), 1994 bekam es ein wunderschönes Zuhause in der Innenstadt Sexards, als das damalige Kino „Mozgó Világ“ zum Theater umgebaut wurde. Nach langer Zeit gemeinsamer Trägerschaft von dem Komitat Tolnau und der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) übernahm die LdU vor knapp über 10 Jahren die komplette Trägerschaft und sorgt seitdem dafür, dass sich die künstlerische Arbeit des Theaters – gesichert und unter ruhigen Umständen – entfalten und weiterentwickeln kann.

Die DBU hat zurzeit insgesamt 20 Angestellte. Ihr Ensemble besteht aus sechs fest angestellten Schauspielerinnen und Schauspielern aus Deutschland und Ungarn. Die Bühne arbeitet zurzeit mit Regisseurinnen und Regisseuren, Kostüm- und Bühnenbildnerinnen und -bildnern aus Deutschland, Österreich, Ungarn und Serbien zusammen. Dadurch erhält die Deutsche Bühne Ungarn fortwährend neue Impulse aus der internationalen Theaterszene.

Die DBU hat langfristig vor, ein wichtiges und wahrnehmbares kulturelles Zentrum deutscher Sprache und Kultur in Ungarn zu bleiben, das gleichzeitig den europäischen Gedanken der Einheit in Vielfalt lebt.

SB: Wer spielt an der DBU und wie deutschsprachig gestaltet sich der Alltag?

KL: Das Ensemble besteht wie gesagt aus sechs festangestellten Schauspielerinnen und -spielern, die aus Deutschland und Ungarn kommen. Des Weiteren gibt es noch einen Kreis aus Gästen, bestehend aus ca. 15 Schauspielerinnen und -spielern und Musikerinnen und Musikern aus Deutschland, Österreich und Ungarn, die in einzelnen Stücken mitwirken.

Der Alltag gestaltet sich mindestens zweisprachig (auf Deutsch und Ungarisch), was hin und wieder auch durch Englisch unterstützt wird.

SB: Was hat Sie persönlich zur DBU geführt? Welche Verbindungen haben Sie zum Ungarndeutschtum?

KL: Ich habe in Budapest BWL studiert und nahm danach ein Jobangebot in München an. Nach einem Jahr Büroarbeit fing ich meine Schauspielausbildung in München an. Ich kam Jahre später aus familiären Gründen nach Sexard und erfuhr, dass hier eine deutschsprachige Bühne ist. So habe ich mich dann als Schauspielerin beworben.

Väterlicherseits stamme ich aus einer ungarndeutschen Familie. Meine Großeltern flüchteten mit ihren Kindern 1947 aus der Vojvodina nach Ungarn, lebten zuerst in Jula/Gyula und ließen sich ein paar Jahre später in Tiedisch/Csikóstőttős nieder.

SB: Worauf legen Sie Wert in Ihrer künstlerischen Arbeit als DBU-Intendantin und wie intensiv ist die Zusammenarbeit mit anderen Spielstätten im In- und Ausland?

KL: Mein Motto lautet, dass das Theater der Menschheit einen Spiegel vorhalten soll, damit wir im Alltag unser Leben und das Menschsein reflektieren können. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, Themen auf der Bühne zu verarbeiten, die gesellschaftlich aktuell sind und dies auf hohem künstlerischem Niveau mit vielfältigen künstlerischen Mitteln. Es ist unumgänglich ein buntes Repertoire anzubieten: von der Klassik zur Moderne und von Tragödie zu leichter Unterhaltung. Ich lege großen Wert auf qualitativ hochwertige Vorstellungen für Kinder und Jugendliche – mit dezidierter theaterpädagogischer Vor- und/oder Nachbereitung.

SB: Die LdU ist Trägerin der DBU – wie beziehungsweise inwiefern macht sich das im Alltag des Theaters bemerkbar?

KL: Die LdU sorgt dafür, dass sich die künstlerische Arbeit des Theaters entfalten und weiterentwickeln kann. Die DBU sorgt dafür, dass wir uns dem erklärten Ziel der LdU unterordnen: Auf kultureller Ebene tragen wir mit unseren künstlerischen Mitteln zu dem Erhalt und der Förderung der deutschen Sprache, des geistigen Kulturerbes, der geschichtlichen Traditionen und der Identität der Ungarndeutschen bei. Die Zusammenarbeit beruht auf gegenseitigem Respekt und regem Austausch.

SB: Sie legen Wert auf die Zusammenarbeit mit Schulen – welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?

KL: Wir arbeiten sehr eng mit Bildungseinrichtungen zusammen. Wir ergänzen den Unterricht in den Bereichen Sprache und Kultur, ermöglichen den Kindern und Jugendlichen Erlebnisse und Unterhaltung und regen sie zum Nachdenken an.

Es gibt Schulen, mit denen wir enger zusammenarbeiten und mit denen wir uns auch über inhaltliche Fragen austauschen. Wir haben ein landesweites Netzwerk mit Bildungseinrichtungen, das sich kontinuierlich vergrößert. Wir haben auch einen sehr guten Kontakt zu deutschen Institutionen, die in Ungarn als Multiplikatoren für das Deutschlernen und Kennenlernen der deutschen Kultur tätig sind, wie zum Beispiel das Goethe-Institut oder die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA). Diese Kooperationen bringen allen Seiten Vorteile, vor allem den Kindern und Jugendlichen.

SB: Wo wird die DBU in 20 oder gar in 40 Jahren stehen? Worin sehen Sie die größten Herausforderungen?

KL: Ich wünsche der DBU noch viele Jahre Erfolg! Ich wünsche ihr innerhalb Ungarns – aber auch international – als Theater und künstlerische Werkstatt anerkannt zu werden. Ich wünsche, dass sich die DBU einen Namen erarbeitet, der es für Künstlerinnen und Künstler interessant macht, bei uns zu arbeiten. Aber vor allem wünsche ich unserem Publikum noch viele kathartische Momente während unserer Vorstellungen.

SB: Frau Lotz, vielen Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch mit der Intendantin der DBU führte Richard Guth.

Bild: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46049884

 

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