Im Gespräch mit Henrik Hartai, dem Inhaber des mittelständischen Unternehmens Hartauer Wurstfabrik (Hartai Kolbászüzem)
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SB: Durch Zufall habe ich Ihr Salamiwurstprodukt kennen gelernt, das an Hausgemachtes erinnert. Nach welchem Rezept wird diese Salamiwurst hergestellt.
HH: Dazu muss ich ein bisschen weiter ausholen. 1979 kam ich nach meiner Berufsschulausbildung als Fleischer an die LPG Hartau/Harta. Dort wurde bereits Wurst hergestellt – nach traditionell schwäbischem Rezept, insgesamt aber nicht sehr würzig. Dieses verfolgen wir immer noch, aber wir passen uns gleichzeitig an die Erwartungen der Kunden an. Man musste eine Technologie aufbauen, denn früher legte man Wert auf Streichwurst, heute soll die Wurst aufschneidbar sein. Dennoch ist uns die traditionelle Anfertigung beim Räuchern immer noch wichtig, bei dem wir auch auf die Wetterbedingungen achten müssen. Das ist insgesamt schwierig zu bewerkstelligen, denn man erwartet, auch im Sommer die gleiche Wurst essen zu können – früher war man gezwungen sich an die Möglichkeit anzupassen, man aß dann jahreszeittypische Speisen.
SB: Sie stammen aus Hartau und tragen den Ortsnamen auch in Ihrem Namen. Deswegen vermute ich, dass das ein madjarisierter Name ist. Stimmt das?
HH: Ja, da irren Sie sich nicht. Mein Großvater ließ nach dem Krieg seinen Namen von „Klein“ auf „Hartai“ madjarisieren, aber das war später eigentlich kein Thema in der Familie. Etwas ungewöhnlich, denn normalerweise hat man aus praktischen Gründen den Anfangsbuchstaben beibehalten! Beide Eltern von mir waren Schwaben, sie sprachen Mundart untereinander. Als die 260 „telepesek” kamen, war Hartau noch eine geschlossene Gemeinschaft. Wir sprachen bereits ungarisch miteinander, aber ein zwei deutsche Wörter wurden immer beigemischt. Manchmal sprachen sie zu mir dennoch Mundart, was ich zwar verstand, aber ich antwortete auf Ungarisch. In der Schule lernte ich Deutsch, in Form von Nachmittagsunterricht.
SB: Wie bestimmend waren bzw. sind in Ihrem Leben diese deutschen Wurzeln?
HH: Ich war Tänzer in der Volkstanzgruppe, das wollten die Eltern auch so. Mir ist die Kontaktpflege zum Deutschen Verein für Traditionspflege, den ich bis heute unterstütze, weiterhin wichtig. Auch bei Vorstellungen von Hartau in Budapest oder Totis beispielsweise machen wir mit. Man bietet dann Wurst als Kostprobe an – zusammen mit dem Auftritt der Tanzgruppe. Früher war Traditionspflege in der Familie kein Gesprächsthema, sondern man lebte danach, bei den Essgewohnheiten zum Beispiel.
SB: Wie deutsch, donauschwäbisch ist noch Hartau?
HH: Das ist eine gute Frage. Interessant ist es, dass es unter den Aktiven des traditionspflegenden deutschen Vereins viele Nichtschwaben gibt, womit sie das Ganze insgesamt voranbringen. Durch die Ankunft der telepesek und immer mehr Mischehen sowie Zuwanderung in jüngster Zeit ist die Bevölkerung mittlerweile gemischt. Das merkt man auch auf den Tableaus bei den Namen der Absolventen: Man findet eher Kiss als Hinkel. In der Schule ist Deutschunterricht Teil des Lehrplans, trotzdem spielt die deutsche Sprache bzw. der Dialekt im Alltag keine große Rolle mehr.
SB: Ihre Wurstfabrik ist ein relativ kleiner Betrieb, jedenfalls laut der Internetseite – wieviel wird im Jahr produziert und wo befindet sich der Absatzmarkt für Ihre Produkte?
HH: 50 Tonnen beträgt die Gesamtproduktion im Jahr und es werden vor allem Markthallen in Budapest wie am Bosnier- oder Lehelplatz beliefert. Alle zwei Monate liefern wir sogar nach Deutschland, nach Berlin.
SB: Ihre Produkte kann man auch online kaufen – wie weit verbreitet ist diese Art Wurst zu erwerben im Falle Ihres Betriebs?
SB: Ich, wir dachten, Online wird den Durchbruch bringen. Wir mussten aber feststellen, dass das nicht funktioniert, denn die meisten Kunden haben kleine Mengen bestellt, so dass die Kosten für die aufwendige Verpackung sowie für den Versand oft den Verkaufspreis überstiegen. So werden wir diesen Verkaufskanal in der Zukunft nicht weiter nutzen.
SB: Welche Entwicklung durchlief der Betrieb seit seiner Gründung?
HH: Auch hier muss ich ein bisschen weiter in der Geschichte zurückgehen. In der Wendezeit haben wir zu sechst die Fleischerei der LPG gekauft, aber nach fünf Jahren trennten sich unsere Wege: Ich hatte bereits vorher angefangen, meinen eigenen Betrieb hinter meinem Haus aufzubauen. Zum Ausscheiden kam es 1998. Damals habe ich 200 kg pro Woche produziert, alleine, heute stellen wir zu viert 1000 kg pro Woche her. So kommt man auf die 50 Tonnen im Jahr – in etwa. Interessant ist es, dass zwei ehemalige Kollegen von mir heute bei uns im Betrieb arbeiten.
SB: Wie bestimmend sind Trends und Käufererwartungen wie Biofleisch oder artgerechte Tierhaltung bei Ihnen?
HH: Wir haben zeitweise Paleowurst hergestellt, wobei ich mit dem Konzept meine Schwierigkeiten hatte. Wir glauben generell an die traditionelle Herstellungsweise. Wir legen besonderen Wert auf Frische, deswegen beziehen wir das Fleisch aus nahe gelegenen Schlachthöfen. Früher wurden übrig gebliebene Fleischstücke zu Wurst verarbeitet, heute arbeiten wir mit Speck, Schenkel und Schulterblatt.
SB: Mit welchen Schwierigkeiten kämpft der Betrieb und haben Sie Zukunftspläne?
HH: Wie sieht die Zukunft aus? Hm, das kann, glaube ich nicht, heute keiner sagen. Die Gewinnspanne ist in den letzten zwanzig Jahren massiv gesunken. Es gab sogar in der Vergangenheit Jahre, wo wir Verluste geschrieben haben. Ob wir diesmal wieder schwarze Zahlen schreiben, weiß ich nicht. Bei mir – uns – spielt auch das Alter bereits eine Rolle. Ich bin 62, ich stehe jeden Morgen um drei Uhr auf – das ist wenig attraktiv für den Nachwuchs. Meine Söhne wohnen in Budapest und sind Akademiker, den Job würde ich ihnen auch nicht unbedingt ans Herz legen.
SB: Herr Hartai, vielen Dank für das Gespräch!
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Mit dem Fleischermeister Henrik Hartai sprach Richard Guth.