Vom Verlust und dem Willen zu bewahren

Tolnauer Niveaupreisträger Josef Kiss aus Jink / Ratzert (D) im SB-Gespräch

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SB: Josef, Du hast im Sommer den Niveaupreis des Komitatsverbandes der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen in der Tolnau erhalten – für welche Tätigkeit bist du ausgezeichnet worden?

JK: Diese Auszeichnung bekam ich für die Errichtung meines ungarndeutschen Heimatmuseums in Jink/Gyönk, wo ich die in den letzten 30 Jahren gesammelten Gegenstände aufbewahre.

SB: Wenn man dich in deinem Haus in Rheinland-Pfalz besucht, dann hat man den Eindruck, man befinde sich in einem Museum – wie entstand bei dir diese Sammeltätigkeit und wie kommst/kamst du an die Gegenstände, die teilweise in dem Jinker Bauernhaus ausgestellt werden, heran?

JK: Wenn manche meiner Besucher bei mir in Deutschland den Eindruck bekommen, dass sie hier durch einige Erinnerungsstücke an ein Museum erinnert werden, dann kann das nur an bemalten Wäschetruhen und Patscherkistchen aus dem vergangenen Jahrhundert liegen. Sie sind hier und auch in einigen ehemaligen deutschen Dörfern in Ungarn recht bekannt. In der Küche und im Vorzimmer hängen zwei bestickte Zierhandtücher von einer Großmutter. Die Truhen werden von meinen Gästen als ein Augenschmaus bezeichnet.

Meine Sammeltätigkeit begann im Sommer 1990, als ich in den Ferien dort war (Josef Kiss hat in Deutschland studiert und lebt seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik, Red.) und einige Händler im Ort nach einigen Bauermöbeln suchten. So ist es mir bewusst geworden, dass kaum was von den alten Generationen für uns erhalten bleibt, wenn die Händler alles aufkaufen. So fing ich an, bei meinen Bekannten bewusst nach Gegenständen, Trachten oder Haustextilien zu fragen. Die unmittelbare Idee kam durch meinen Besuch bei Bekannten aus Waschad/Varsád, wo Frau Fuchs am Sonntag ein altes Leinentuch auf den Tisch legte. Das hat mich begeistert und motiviert, so dass ich danach bei der Familie Kern in Waschad die ersten Haustextilien angeboten bekommen konnte. Sie verkauften mir ein altes Halstuch und das war der Auslöser für die Suche nach weiteren Trachtenteilen. Durch Mundpropaganda lief die Nachricht von meiner Trachtensuche bei den ehemaligen aus Kleindarmisch/Kistormás, Waschad und Falschnone/Felsőnána vertriebenen Landsleuten weiter. Sie waren dadurch auch meine besten Freunde in Deutschland geworden.

SB: Du lebst und arbeitest in Deutschland, aber bist in Jink aufgewachsen – wie sehr hat sich deine Heimatgemeinde in den letzten Dekaden verändert?

JK: Jink ist die kleinste Stadt der Tolnau und die Ortschaft zeigt ein dörfliches Gesicht. Die Investoren suchen/suchten nach günstig gelegenen Städten, dadurch war/ist Jink für sie nicht interessant. Bonnhard, Seksard und Paks entwickelten sich in den letzten Jahren recht dynamisch, Jink blieb leider zurück. Was mich freut, ist die Erneuerung der Straßen, die 50 Jahre lang kaum ausgebessert wurden. Aber dennoch: Wir müssen unsere Bankangelegenheiten oder Arztbesuche in Sexard erledigen, weil dieses ländliche Gebiet (Jink) eher zu den benachteiligten Gegenden in Ungarn gehört. Die Jugend zieht aus diesem Grund in die größeren Städte, wo sie Arbeit findet.

SB: Du bist – wie viele in deiner Generation – in einer Mischehe aufgewachsen: Vater Madjare, Mutter Schwäbin: Inwiefern hat diese Herkunftsgeschichte euer Familienleben beeinflusst?

JK: Ich hatte das große Glück in der Familie, dass meine Altgroßmutter, die Schwester meiner Urgroßmutter, mit uns zusammengewohnt hat. Bei ihr kamen sonntagnachmittags immer die Verwandten und Bekannten zu Besuch und sie erzählten viel von Jink und der Vergangenheit. Ich als Kind konnte dabei sein und es ging oft um die traurigen Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg. Es wurde viel deutsch gesprochen und das „Verstehen-Wollen” motivierte mich zum Deutschlernen. Dadurch weiß ich recht viel von der Jinker Vergangenheit und dafür bin ich meiner Großmutter sehr dankbar.

SB: Du lebst seit über 30 Jahren in Deutschland – wie wirst du von den Einheimischen wahrgenommen? Als Deutscher, Ungar/Madjare oder Volksdeutscher (Aussiedler)? Ist deine Sammeltätigkeit in deinem Umfeld Thema?

JK: Ich bin in Deutschland berufsbedingt öfters umgezogen und meine Umgebung nahm mich als gut integrierten Mitbürger wahr. Die Herkunft kam – beiläufig erwähnt – vor, aber es kam nie das Gefühl des Fremdseins als Störfaktor auf. Nur im Freundeskreis sprechen wir oft von Ungarn, weil meine Freunde öfter auch bei meinen Eltern waren. Wer Ungarn kennt, fragt mich gern, wenn ich von einer Ungarnreise zurückkomme. Das Sammeln ist auch nur im engen Freundeskreis, aber eher selten das Thema. Unter meinen ungarndeutschen Landsleuten pflegen wir die Gespräche über das Museum sehr oft und sehr intensiv. Da ich kontinuierlich aktiv suche, lerne ich immer neue Bekannte kennen. So ist der Kreis in den letzten Jahren sehr groß geworden. Die traurige Seite des Lebens darf man auch nicht vergessen, denn das Sammeln steht mit dem Sterben der alten Generation im Zusammenhang.

SB: Du engagierst dich auch auf dem Gebiet des Denkmalschutzes, insbesondere im sakralen Bereich, und beklagst dich oft über den Zustand der evangelischen Kirchen in der Tolnau – wie ist es um diesen Teil des baulichen Erbes der Deutschen bestellt?

JK: Ich hatte mich um die Rettung und Erhaltung von vier ehemaligen deutschen evangelischen Kirchen bemüht, aber aktuell bin ich im Kreis der Kirche dort vor Ort kaum aktiv. Die baulichen Zustände der verlassenen Kirchen sind erschreckend, wenn ich an die große, verlassene Kirche ohne Dach in Udvari denke. Dort versucht der Bürgermeister das Gebäude zu retten, aber die Frage der weiteren Erhaltung ohne Kirchengemeinde ist auch ein Problem. Wir haben schon mehrere Kirchen verloren, die abgerissen wurden, so in Sibrick/Zsibrik und Gerienisch/Gerenyes. Die Leitung der Landeskirche investiert nur in die Gemeinden, wo auch eine aktive Gemeindearbeit geleistet wird. Diese (vorher genannten, Anm. Red.) Kirchen bleiben meine Herzensangelegenheit, aber aktiv kann ich nicht viel bewegen. Es tut mir nur weh, wenn ich in der Tolnau die verlassenen Kirchen sehe. Positiv zu erwähnen ist die letzte gemeinsame Rettungsaktion mit der Stiftung für die Zukunft von Falschnone gewesen. Die Falschnoner Kirche bekam eine neue Turmspitze, ein neues Dach und eine Isolierung der Wände gegen das Grundwasser. Die Hilfe des ungarischen Staates macht sich auch in einigen Dörfern bei den Kirchenrenovierungen bemerkbar. Im Moment wird die Waschader Kirche restauriert, die leider sehr tief steht und große Schäden durch den hohen Grundwasserpegel aufweist. Die Rettung der Kirchen muss vor Ort von aktiven Initiatoren betrieben werden.

SB: Lange war die sprachliche Situation auf dem Gebiet der Seelsorge bei den evangelischen Schwaben besser als bei den Katholiken – was ist nach deinen Erfahrungen davon geblieben, denkt man hier an Gottesdienste, Beicht- und Beerdigungsmöglichkeiten in deutscher Sprache?

JK: Die deutschsprachigen Gottesdienste finden in der evangelischen Gemeinde Jink einmal im Monat statt. Die Gottesdienstbesucher sind betagt und viele sind gestorben. Dieser Gottesdienst wird bald auch der Vergangenheit angehören. In der reformierten Kirche finden seit 2009 keine deutschen Andachten mehr statt. Das hängt auch mit den fehlenden Sprachkenntnissen der Pfarrer zusammen. In Bonnhard hält noch Daniel Krähling, der Senior im Ruhestand, regelmäßig deutsche Gottesdienste.

SB: Du engagierst dich vornehmlich auf dem Gebiet der Bewahrung des Erbes, das unsere Vorfahren uns hinterlassen haben – wie siehst du insgesamt die Gegenwart und Zukunft der deutschen Gemeinschaft in Ungarn?

JK: Diese Frage ist für mich recht schwer zu beantworten. Die Bühnenkultur und das Vereinsleben sehe ich nur durch die Medien. Für mich stellt sich die Frage, ob es eine Zukunft gibt, wenn die Sprache nicht gepflegt wird. Eine deutsche Kultur kann man nur mit Hilfe der deutschen Sprache pflegen und erhalten. Das müsste das Ziel auch in den Vereinen sein. Die Pflege und die Freude an der Erhaltung der Kultur bedürfen aktiver und überzeugter Initiatoren, aber dabei soll man wie gesagt mehr Wert auf die Erhaltung der Sprache legen. In unseren Dörfern der Tolnau lebte vor dem Zweiten Weltkrieg ein großer Teil der Ungarndeutschen, was aufgrund der historischen Ereignisse im Alltag fast kaum mehr zu spüren ist. Wo noch viele aktive Ungarndeutsche leben, dort sehe ich eine Zukunft vorhanden, aber in den benachteiligten Ortschaften der Tolnau sehe ich leider einen deutlichen Verlust im Kommen.

SB: Josef, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

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Das Gespräch mit dem Altenkirchner Studienrat führte Richard Guth.

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