Von Ágoston Frank
Um ehrlich zu sein, hatte ich mir nie vorgestellt, dass der Weg für den Besuch einer Ausstellung über das Grenzgebiet zwischen Österreich und Ungarn, das heutige Burgenland, in das Bezirksmuseum Simmering (Wien) führt. Nach den da verbrachten zwei Stunden war ich mir aber sicher, dass dieser Ort aus dem Kreis der für die Wanderausstellung Platz gebotenen Gemeinden nicht ausgelassen werden konnte.
Bei diesem Projekt handelte sich nämlich um eine internationale Initiative, um das Leben der Menschen in diesem Gebiet durch die geschichtlichen Ereignisse des langen 20. Jahrhunderts zu verfolgen. Das Hauptaugenmerk lag eindeutig daran, die Fakten dem Publikum durch persönliche „Stories“ näher zu bringen, die Herausforderungen für die damaligen Alltagsmenschen besser zu vermitteln.
Die Ausstellung setzte allerlei Mittel ein, Informationen in dem 21. Jahrhundert entsprechenderweise interaktiv und interdisziplinär darzustellen. Wegen des verfolgten Zwecks des einfachen Transports, der für eine Wanderausstellung wesentlich ist, waren Plakate die primären Quellen. Sie waren mit zahlreichen QR-Codes versehen, durch die man zu interessanten Audio- und Videoquellen gelangen konnte. Um aber auch für die jüngere Generation attraktiv zu bleiben, verwendete sman AR-Inhalte (Augmanted Reality), die durch ein Handy-App hervorgerufen werden konnten und gut funktionierten. Chapeau!
Auch außer der technologischen Neuerungen war es wahrnehmbar, eine erleichterte Rückschau in die Geschichte als vorgesetztes Ziel zu haben. Die Sprache der Beschreibungen war Deutsch, Englisch und Ungarisch. Das erste Plakat gab außerdem Auskunft über die geographische Lage. Die in der Ausstellung dargestellten Orte wurden auf der Karte separat markiert, zu der ich immer wieder zurückkehren konnte, um mich im Raum positionieren zu können. Die Feststellung der Zeit bereitete auch kein Problem, eine Zeittafel war auf jedem Plakat zu sehen.
Trotz der „Äußerlichkeiten” und der heutzutage unverzichtbaren formellen Mitteln wäre natürlich die Ausstellung ohne hinreichenden Inhalt nicht empfehlenswert gewesen. Gott sei Dank war bei „border(hi)stories“ keine Rede davon. Die Ausstellung begann mit dem Ersten Weltkrieg und dessen unmittelbarer Folge, die Friedensverträge, die dieses davor zusammenhängende Gebiet künstlich aufteilten und Grundlage der danach erfolgten Geschehnisse werden. Ein eigenes Plakat beschrieb die durch die Venediger Protokolle angeordnete Volksabstimmung in Ödenburg. Als Verdienst der Ausstellung ist zu bewerten, dass die ab dieser Trennung erfolgten historischen Ereignisse in ihrem grenzüberschreitenden Bezug und Charakter dargestellt werden, wodurch der Besucher für eine kurze Zeit völlig vergessen konnte, dass die hier dargestellten Inhalte in zwei mit Grenzen und Grenzsoldaten geteilten Länder erfolgten. Die Geschichte des Grenzgebietes stand im Vordergrund!
Und diese Geschichte des 20. Jahrhunderts war von Flucht und Vertreibung gezeichnet. Die in der Zwischenkriegszeit erfolgte Tragödie der Juden und Zigeuner wurde durch persönliche Erzählungen und Videos lebhafter gemacht, „Stories“ berichteten zum Beispiel darüber, wie man in Wien 15.000 bereits nach Auschwitz einwaggonierten Juden für 100 Dollar pro Kopf „abkaufte“, um den Arbeitsmangel zu mildern oder dass die erste gewaltsame Vertreibung der Juden aus dem Territorium des Deutschen Reiches auch an dieser Grenze erfolgte. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges konnte sich das Gebiet auch nicht ausruhen. Die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn, die den „ungarischen“ Teil des Burgenlandes sogar in ganz Ungarn am intensivsten betraf, beeinflusst das Leben im Grenzgebiet noch bis heute. Viele Vertriebene sind nach Österreich gezogen, um die Beibehaltung von familiären Beziehungen zu erleichtern. Nicht wenige haben jedes Jahr ein Ticket nach Deutschkreutz gekauft, um mit dem Zug der Österreichischen Bundesbahn für eine kleine Strecke wieder über heimischen Boden fahren zu können. Wenn man dem Lokführer was gezahlt hat, dann nahm die Geschwindigkeit des Zuges immer ab.
1956 haben 9 von 10 Flüchtlingen den Weg zur Freiheit durch Österreich gesehen, nicht unbegründet. Um ihre friedfertige Haltung gegenüber dem neutralen Österreich zum Ausdruck zu bringen, hatte die ungarische Parteiführung bereits im Frühjahr die Minenfelder beseitigt. In Wien wurde ein österreichisches Nationalkomitee für Ungarn begründet, das enorm viel Spenden gesammelt hat. Zur Unterbringung der Menschen wurden entweder Kasernen verwendet, wie im Fall von Simmering, was die begründete Auswahl des Ausstellungsortes noch einmal bekräftigt. Andererseits wurden Flüchtlingslager aufgestellt, das größte in Eisenstadt, das sogar vom damaligen US-Vizepräsidenten Nixon besichtigt wurde.
Die Strapazen des „Kalten Krieges“ waren selbstverständlich im Grenzgebiet als Zäsur zwischen Ost und West wahrzunehmen. Die von Grenzsoldaten beschnitzten Baumstämme im Rattersdorf oder die verschobene Renovierung der Kirche in Radling sind Zeichen der absoluten Sinnwidrigkeit des Eisernen Vorhanges gewesen. Der in den 1980er und 90er Jahren erfolgte Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung und die Grenzeröffnung bringt die Ausstellung aber noch nicht zum Ende. Auch aktuelle Geschehnisse, wie in dem Jahr 2015 erfolgte Tragödie im Rahmen der „europäischen Flüchtlingskrise“ mit 71 Toten in der Nähe von Parndorf zeigen die für ein Grenzgebiet so unabdingbare Eigenschaft der Internationalität weiterhin auf.
Entlang der österreichisch-ungarischen Grenze bestand die Möglichkeit, sich die Inhalte der Ausstellung zuzueignen und über unsere gemeinsame Geschichte nachzudenken. Ich glaube, ich wäre nicht der Einzige, der für eine ständige Ausstellung dieses Projektes plädieren würde.
Foto: Pál Balog