Problematik der frühen Zweisprachigkeit bei den Ungarndeutschen I.

Das Sonntagsblatt.hu startet eine Artikelreihe zum Thema der Zweisprachigkeit der Ungarndeutschen. Als erster Artikel veröffentlichen wir den Artikel über einen Vortrag von Ágnes Sauer (erschien in Sonntagsblatt 2010/1), der auch heute aktuell ist.

Gyula, den 23. 10. 2009 – Vortrag von Agnes Sauer  (Auszüge)

Mit der Zweisprachigkeit unserer Kinder gewinnen wir alle, nicht nur der einzelne Mensch. Nützen wir die Möglichkeit aus, verbessern wir die Gegebenheiten, die mit wenig Aufwand wesentich grössere Erfolge ermöglichen.

Laut Statistik des Bildungsministeriums gibt es in Ungarn mehr als 200 ungarndeutsche Kindergärten, die mit Hilfe zusätzlicher staatlicher Fördergelder von ungarndeutschen Gemeinden, Minderheitenselbstverwaltungen oder Stiftungen, eventuell von Kirchengemeinschaften getragen werden.

Was geschieht in diesen Kindergruppen? Wie wird die zweisprachige Erziehung gewährleistet?

Diese Kinder bekommen die deutsche Sprache schon nach den neuesten Vorschriften erteilt. 1997 entstanden die Grunddokumente für den Minderheitenunterricht in Zusammenarbeit mit den Landesselbstverwaltungen, unter anderem auch die Richtlinien für Kindergartenerziehung der nationalen und etnischen Minderheiten Ungarns.

Was ist die Aufgabe des deutschen Minderheitenkindergartens laut Richtlinien?

„Der Minderheitenkindergarten dient zum Kennenlernen und Aneignung der Minderheitensprache und Kultur. Seine Aufgabe ist die Kinder für den Minderheitenunterricht in der Schule vorzubereiten. Nach den Richtlinien können die Eltern ihre Kinder in muttersprachlichen (die Erziehung und Beschäftigungen laufen in der Minderheitensprache) oder zweisprachigen (Muttersprache und Ungarisch) Kindergarten einschreiben lassen. Bei der  letzteren Form muß die Sprache gefördert werden, die von den Kindern weniger gesprochen wird.” (Anna Kerner, Kultusministerium 2001)…

Diese Einrichtungen sollten also seit dem Erscheinen der Richtlinien für ungarndeutsche Kindergartenerziehung ein- oder zweisprachig sein, der Tagesablauf sollte in diesem Sinne gestaltet werden. Entweder nur auf Deutsch, oder die Hälfte der Tätigkeiten in der einen, die andere Hälfte in der anderen Sprache organisiert. Das Ziel der Gesetzgeber war eindeutig: der Kindergarten soll der Weitergabe der deutschen Sprache dienen, nicht nur der der deutschen Reime, Gedichte, Kreisspiele und Lieder.

Probleme bereitete und bereitet das, dass sich die Wenigsten Gedanken darüber gemacht haben, was eigentlich das Ziel der vorschulischen zweisprachigen Erziehung in von Minderheitenangehörigen bewohnten Gemeinden wäre.

Früher Erwerb einer zweiten Sprache soll das weitere Leben des Kindes beeinflussen und spätestens in der Pubertät schwere Folgen haben.

Man zog Parallele zwischen dem Minderheitenunterricht und dem Fremdsprachenunterricht. An dieser Stelle möchte ich nicht eingehend über den Fremdsprachenunterricht, überwiegend Russischunterricht sprechen, eine Bemerkung muss  aber trotzdem gemacht werden: Generationen von – gut deutsch, besser gesagt schwäbisch (Mundart) sprechenden! – Pädagogen wurden von der Methodik des Fremdsprachenunterrichtes geprägt, beeinflusst. Kein Wunder. Die meisten von ihnen haben Spracherwerb als schulische Aufgabe aufgefasst, Erinnerungen, eigene Erfahrungen haben sie nur aus ihrer eigenen Schulzeit gehabt. In der Methodik war nicht die Rede von einem natürlichen Spracherwerb, Kindergarten-Alltag wurde nicht verglichen mit der

Zweisprachigkeit der ungarndeutschen Vorgänger.

Die Methodik des Fremdsprachenunterrichts wurde jahrzehntelang verwendet, der Prozess sollte spielerisch verlaufen, die Methode war aber trotzdem schulisch, das deutschsprachige Umfeld in den Einrichtungen fehlte eindeutig…

Von einem freien Gebrauch der deutschen Sprache war nicht die Rede.  Mit einigen Ausnahmen verläuft das Leben im ungarndeutschen Kindergarten in vieler Hinsicht meist so wie vor 20 Jahren. Die Palette wurde in den letzten zwei Jahrzehnten wesentlich bunter, die allgemeine Methodik des Kindergartens änderte sich, wurde lockerer, man übernahm viele neue Methoden auch aus dem Ausland. Diese Vielfalt bezog sich meistens aber nicht auf die sprachenbezogene Tätigkeit der Erzieherinnen…

Die Aufenthalte im deutschsprachigen Ausland, von deutschen Experten geleiteten Fortbildungen in Ungarn haben zur Vielfalt der Methoden unserer Deutschkindergärtnerinnen weitgehend beigetragen. Diese Fortbildungen bereicherten mit Sicherheit den Wortschatz, förderten die Sprachkenntnisse und die Sprechfertigkeit der Erzieherinnen, ein wesentlicher Fortschritt Richtung echte Zweisprachigkeit im Kindergarten wurde aber nicht gefördert, nicht angezielt.

In einen ungarischsprachigen Tag musste der deutsche Teil eingebettet werden. In der Methodik wurden den Kindergärtnerinnen alle Schritte und Tips zu diesen Angeboten oder Beschäftigungen gegeben. Diese blieben trotzdem und bleiben noch heute Fremdkörper im Alltag der Kinder.

Kinder sind genial! Sie können alles aufnehmen, erlernen und zu jeder Zeit wiedergeben. Zu jeder Angelegenheit, zu Frauen- und Muttertag, Ostern, Nikolaus, Schulanfang und -Abschluss. Auf Anfrage des Bürgermeisters gingen und gehen die Kindergartenkinder zum Auftritt, sollten es Gäste sein aus Deutschland, die Delegation der Partnergemeinde, oder Senioren, Sportler u.ä. Es wird allgemein von den Kindergärtnerinnen erwartet, dass sie von den „Deutschkenntnissen” der Kinder einen Beweis liefern. Man hat ja schliesslich einen deutschen Kindergarten in der Gemeinde! Das ist die einzige – wenn auch nicht konkret formulierte – Erwartung hinsichtlich Spracherwerb, die vermittelt wird. Und man möchte den Erwartungen des Umfeldes entpsrechen. Denen der Eltern, der Träger, der Kollegen, der Schule.

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