Eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft in der Diaspora

Zusammenarbeit innerhalb der deutschen Gemeinschaft blickt auf eine lange Tradition zurück. Besuche und Gegenbesuche – insbesondere auf der Vereinsebene – zeichnen diesen Austausch aus. Das Sonntagsblatt sprach mit einem der Initiatoren einer neuen Kooperation, dem aus der Branau stammenden Vorsitzenden der DNSVW Kaposvár, Dr. Ernst Máté, über die Gegenwart der Deutschen in Ruppertsburg/Kaposvár.

SB: Sie haben mit der Hajoscher Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung (DNSVW) einen Kooperationsvertrag unterzeichnet – erzählen Sie bitte ein wenig über diese Kooperation!

EM: Es hat im Sommer 2019 begonnen, als die Wahlvorbereitungen für den 13. Oktober auf Hochtouren liefen. Der Deutsche Gemeinnützige Verein Kaposvár, als nominierende Organisation, wurde von einigen ungarndeutschen Personen aus Hajosch gebeten bei der Nominierung behilflich zu sein. Nach einer kurzen Bedenkzeit erfüllten wir diesen Wunsch und dadurch wurde dort ein Wettkampf ermöglicht, den mit Sicherheit die Besten gewonnen haben. Was erhofften wir uns von dieser selbstlosen Geste? Nun, ehrlich gesagt außer ein paar Flaschen Hajoscher Weine gar nichts! Wir sprachen jedoch bereits bei der ersten Kontaktaufnahme darüber, dass wir einen Kooperationsvertrag abschließen würden, falls der Wahlsieg unseren neuen Freunden gelingen wird.

Es hat sich in der Tat so ergeben und folglich konnten wir den Chor und die berühmten Musikanten bereits im November des gleichen Jahres zu unserer Herbstgala begrüßen. Wegen der Pandemie konnten wir uns erst im Oktober 2021 mit einem zweitägigen Besuch in Hajosch revanchieren, an dem dann der zuvor sorgfältig vorbereitete Vertrag unterzeichnet wurde.

Wir hoffen, dass die Kooperation mit den beiden Besuchen nicht enden wird und wir – den Paragraphen des Vertrages treu – noch weitere gemeinsame Programme und kulturelle Erlebnisse haben werden.

In der Hoffnung, dass ähnliche interregionale oder sogar grenzüberschreitende Kooperationsvereinbarungen zustandekommen, teilen wir unsere Erfahrungen anderen Interessenten, den Lesern des Sonntagsblattes beispielsweise, gerne mit.

SB: Sie sind Vorsitzender der DNSVW Kaposvár – nun assoziiert man mit Kaposvár, Ruppertsburg, nicht zwangsläufig deutsche Präsenz – aber man irrt sich sicherlich, oder?

EM: Einerseits stimmt es: Kaposvár ist kein richtiges Zentrum der Ungarndeutschen. Ähnliches kann man wohl auch über das Komitat Schomodei behaupten: Es gibt nicht einmal ein halbes Dutzend Ortschaften, in denen die Ungarndeutschen eine wichtige Rolle im Ortsleben spielen könnten. Andererseits kann man feststellen, dass im Jahre 2019, vor den Kommunalwahlen, weit über 100 Personen in Kaposvár sich zur deutschen Nationalität bekannt haben, so dass wir eine 5-köpfige deutsche Nationalitätenselbstverwaltung aufstellen konnten. Des Weiteren gibt es in der Stadt einen Verein, über den ich soeben sprach, dessen Aufgabe es unter anderem ist, ein Forum für die hiesigen Ungarndeutschen und Deutschen zu sein. Die Mitgliederzahl des Vereins, reguläre und assoziierte Mitglieder, beläuft sich auf rund 80 Personen, welche die Basis seiner beiden aktiven Kulturgruppen bilden. Der aus 25-30 Personen bestehende Chor heißt „Neuer Rosenchor“, während die „Herz-Schmerz Kapelle“ 10 Musikanten, darunter 5 Akkordeonisten, umfasst. Etwa die Hälfte der Mitglieder des Vereins setzt sich aus „Zuwanderern“ zusammen: Außer unseren in Kaposvár und Umgebung lebenden deutschen Mitgliedern gibt es zahlreiche Personen, die aus der benachbarten Branau stammen. Dabei soll unbedingt erwähnt werden, dass die Gründung des Chores und des Vereins sowie die Errichtung und Einrichtung des kleinen Museums vor etwa 20 Jahren einer legendären, unlängst verstorbenen Frau aus Schomberg/Somberek, Frau Bauer, Mari-Basl, deren Person sogar in der Vereinssatzung verewigt wurde, zu verdanken ist.

SB: Erzählen Sie bitte ein wenig mehr über die deutsche Gemeinschaft in Kaposvár!

EM: Ich glaube, es ist nicht einfach eine Minderheit zu vertreten, die kurz vor der vollständigen Assimilation steht. Es mögen zwar harte Worte sein, aber es ist leider so. Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt weit über 60 Jahre, wovon circa die Hälfte die deutsche Sprache annähernd gut beherrscht. Unsere Mitglieder kommen, wie bereits erläutert, selten aus reinen ungarndeutschen Familien – wenn sie überhaupt solche Wurzeln haben – und so bringen sie von Haus aus wenig Munition mit, was die Sprachkenntnisse anbelangt. Es gibt aber kleine Hoffnungsschimmer: Jüngere Menschen sind neulich zu uns gestoßen und sie lernen mit den älteren Mitgliedern zusammen fleißig Deutsch; an dieser Stelle möchte ich ein Dankeschön an die Lehrerin aus unserem Verein für ihre selbstlose Arbeit aussprechen. Diejenigen, die der deutschen Sprache mächtig sind, darunter Deutschlehrerinnen und deutschsprachige Mitglieder, machen den anderen Mut, indem sie die Zweisprachigkeit in den Proben und anderen Veranstaltungen in die Tat umsetzen. In der Stadt wird an den Grundschulen und Gymnasien Deutsch unterrichtet, aber in der Regel leider nur als zweite Fremdsprache nach Englisch. Ich vertrete die Meinung, dass es besser wäre, zuerst die deutsche und erst dann die englische Sprache zu erlernen, aber es ist halt nicht so, wir müssen damit leben. Auf dem Gebiet der Pflege der ungarndeutschen Kultur versuchen wir alles Mögliche in unserer Macht Stehende zu tun: Ende Juni organisierten wir das erste Mal ein Camp für Schulkinder, wo sie ein Stück ungarndeutsche Kultur kennen lernen konnten, weiterhin haben wir bereits fünf deutsche Liederbücher herausgegeben und arbeiten bereits am sechsten. Wir haben einen Partnerchor in Deutschland: Mit dem Frauenchor Rodewisch (Vogtland) trafen wir uns schon viermal – abwechselnd in Ungarn und in Deutschland.

SB: Es war bereits mehrfach von der Sprache die Rede – welchen Stellenwert genießt bei Ihnen die deutsche Sprache?

EM: Ich bin in einem kleinen Dorf in der Branau aufgewachsen. Wir waren eine große Familie mit drei Generationen, meine Oma und meine Mutter sprachen in der dortigen Mundart mit mir. Ich konnte fließend sprechen, aber erst mit 16 in Österreich bei den Verwandten wurden mir die Grundsteine der deutschen Grammatik beigebracht. Folglich hat sich bei mir die Zweisprachigkeit so tief eingeprägt, dass sie mich gewiss bis zum Ende meiner Tage begleiten wird. Hochdeutsch erlernte ich autodidaktisch, aber von den zahlreichen in den deutschsprachigen Ländern wohnenden Verwandten und Freunden konnte ich bei den gegenseitigen Besuchen sehr viel dazulernen. Mit meinen beiden Töchtern sprach ich von Anfang an konsequent deutsch und es blieb auch dabei, nachdem sie schon erwachsen und selbst Mütter von Kindern waren. Mit meinen Enkelkindern versuche ich auch deutsch zu sprechen, wenn ich nur die Möglichkeit dazu habe. In meinem Beruf kennt man mich, als Rechtsanwalt, der den deutschsprachigen Mandanten gewissenhaft Beistand leistet. Diese Vorgeschichte führte mich dann fast automatisch zur ungarndeutschen Gemeinschaft, zum Verein und zur Nationalitätenselbstverwaltung in Kaposvár.

SB: Worin unterscheidet sich nach Ihrem Eindruck das Innenleben der deutschen Gemeinschaft in Kaposvár von dem der Deutschen in Hajosch?

EM: Als wir in Hajosch waren und ihre Institutionen und Einrichtungen besichtigen konnten, beneidete ich sie ein wenig und ich war mit meinen Gefühlen nicht allein. Die Hajoscher Schwaben feiern gerade dieses Jahr das 300-jährige Jubiläum der Ankunft ihrer Vorfahren. Dies macht einen wesentlichen Unterschied zu uns: Die Kaposvárer Ungarndeutschen können sich keiner derartigen Geschichte rühmen. Wir mussten bei Null anfangen und es hat erst vor etwa 20 Jahren begonnen. Den Gründern der Handvoll großen Gemeinschaft sei Dank, dass sie so wagemutig und begeistert waren. Unsere Aufgabe ist es nun auf diesen Grundmauern die Bauarbeit fortzusetzen, damit das bereits vorhandene Kulturgut der hiesigen Ungarndeutschen nicht verloren geht.

SB: Herr Dr. Máté, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Richard Guth.

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