Langer, heißer Sommer

Von Prof. em. Dr. Josef Bayer

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, / Dass ich so traurig bin, /Ein Märchen aus uralten Zeiten / Das kommt mir nicht aus dem Sinn. / Die Luft ist kühl und es dunkelt, / Und ruhig fließt der Rhein, / Der Gipfel des Berges funkelt/ Im Abendsonnenschein.” Dieses Lied, Loreley von Heinrich Heine, kommt auch mir nicht aus dem Sinn, seit ich die Nachricht vernahm, dass der Rhein nicht mehr so ruhig fließt. Das Gedicht haben wir einst in der Dorfschule aus unserem deutschen Schulbuch auswendig gelernt; ihre Melodie, die unsere liebe Deutsch-Lehrerin uns beigebracht hat, klingt mir noch in den Ohren. Das poetische Märchen ist eine Art deutsche Version der mythischen Sirenen aus der Odyssee, die mit ihrem magischen Singen die Schiffer in Bann gesetzt, sie zu Schiffbruch verurteilten.

Nun könnte Loreley mit ihren goldenen Locken heute keinen Schaden mehr anrichten, da der Rhein, einer der größten Flüsse Europas, bald ungeeignet für Schifffahrt wird. Der Rhein, der einst den Namen für den deutschen „Rheinischen Kapitalismus“ als einen der erfolgreichsten Modelle der modernen Wirtschaft gegeben hat! Er war nämlich der wichtigste Wasserweg des Frachtverkehrs für Stahl und Kohle und weitere wichtige Waren für die deutsche Industrie. Seine Austrocknung klingt ominös in einer Zeit der annähernden Energie-Krise, ein Warnzeichen dafür, was alles infolge der galoppierenden Klimaänderung auf uns zukommt, wenn wir nichts dagegen etwas unternehmen. Und sein Schicksal steht nicht allein.

Vorbei ist die Zeit des braven und schönen Regelwerks der Jahreszeiten und das gemäßigte Klima in unserem Kontinent, an die wir seit Kindheit gewohnt waren. Im Winter gibt es seit einer Weile kaum genug Schnee und zu wenig Frost; und viel weniger Regen segnet uns vom Himmel. Dagegen hört man tagtäglich störende Meldungen von außerordentlichen Wetterereignissen: anhaltende Dürre, hohe Hitzewellen, flächendeckende Waldbrände, die in vielen Erdteilen wüten. Auf der anderen Seite, wegen Aufwärmung der Meere, treten immer stärker Taifuns und Hurrikans auf, welche auch am Lande Havarie anrichten und viele Menschen töten oder zur Flucht zwingen. Oft geschehen Überschwemmungen dank enormer Stürme und plötzlicher riesiger Regenbomben, deren Wassermenge nicht schnell genug abgeleitet werden kann, was in hügeligen Ortschaften zu Erdrutschen führt.

Mangel an Regen, kombiniert mit langen Hitzewellen, die dann den untererdigen Wasserspiegel senken, findet man heute vielenorts. Nach Meldung der EU-Kommission aus Juli über die anhaltende Dürre dieses Jahres, sind Osteuropa, Norditalien, Süd-Frankreich und Deutschland am meisten davon betroffen. Über 40 Grad Celsius wurden in Spanien und Süd-Frankreich gemessen. Auch bei uns in Ungarn gab es schon in Mai eine solche Hitzewelle, und in Juli fielen auch viele Temperaturrekorde. Die Landwirtschaft leidet darunter enorm, besonders die Große Tiefebene ähnelt sich bald einer Wüste. Nicht nur am Rhein gibt es Probleme, betroffen sind auch andere große und kleinere Flüsse, die Oder, der Po in Italien, auch die Donau ist viel schmaler geworden. Der Wasserspiegel von Seen wie dem Neusiedlersee und Velencei-tó sind auch dramatisch gesunken. Weltweit sieht man ähnliche Zuspitzung von Temperatur, im Irak 52 Grad Celsius, in Pakistan und Indien sowie in Australien ebenfalls gab/gibt es heuer sehr hohe Temperaturen und andauernde Hitzewellen; sogar im eiskalten Sibirien wurden im Frühjahr in Verhoyansk über 35 Grad Celsius gemessen!

Nicht die zeitweise extreme Wetterkatastrophen sind das Problem, solche gab es immer schon vereinzelt, sondern ihre wachsende Häufigkeit. Naturwissenschaftler haben uns längst gewarnt, dass der von Menschen verursachte Klimawandel (infolge der Anhäufung von Kohlendioxid in der Atmosphäre, durch Verbrennung der Energiestoffe Kohle, Öl und Gas) bedrohlich voranschreitet. Der dadurch entstehende Treibhaus-Effekt löst eine Kette von extremen Ereignissen aus; dadurch wird der Wasserkreislauf der Erde destabilisiert. Soll dieser Trend weiter anhalten, erreichen wir bald einen Punkt, wo wir den Prozess nicht mehr stoppen oder gar umkehren können.

Seit Beginn des industriellen Zeitalters ist die Durchschnitt-Temperatur um mehr als ein Grad Celsius angewachsen. Als sich die Daten über die globale Aufwärmung nicht mehr zu leugnen waren, begannen auch verantwortliche Politiker wahrzunehmen, welche Risiken das für die Menschheit bedeutet. Die Warnzeichen sind wohl bekannt: das Schmelzen der nördlichen und südlichen Eiskappe, das Tauen in Grönland und der Gletscher. Der Zusammenbruch von Ökosystemen führt zur Verringerung der Biodiversität, die Versäuerung der Ozeane gefährden die Korallen und den Fischbestand. Neue, schwer kontrollierbare Seuchen treten auf und verbreiten sich in der global verknüpften Welt. Die erwähnten extremen Wetterereignisse gefährden die landwirtschaftlichen Erträge, die dadurch entstandene Hungersnot führt vermehrt zu sozialen und politischen Konflikten (siehe Sri Lanka). Die am meisten vom Klimawandel bedrohten Gegenden sind die Sub-Sahara in Afrika, Madagaskar, Kenia und das Horn von Afrika, Süd-Asien (insbesondere Pakistan, Indien und Bangladesh), und neulich auch Australien. Wenn solche Entwicklungen nicht gestoppt werden, führt das unweigerlich zu beträchtlichen Migrantionswellen. Die UN-Kommission für Migration rechnet mit etwa 200 Millionen klimabedingten Migranten bis 2040. (Während des Bürgerkriegs in Syrien – der teils auch infolge einer langen Dürre ausbrach – erschienen plötzlich eine Million Migranten vor den Türen der Europäischen Union, was einen Aufschwung von rechtspopulistischen Tendenzen auslöste. Wie könnte man den Druck von Hundertmillionen aushalten?)

Erste Reaktion auf diese Drohungen war das Kyoto Protokoll von 1997 (als Folge des internationalen Rahmenabkommens von Rio de Janeiro in 1992), eine Vereinbarung von Gegenmaßnahmen, die aber leider nicht hinreichten und deren Initiativen zur Senkung der Emissionen wenig beachtet wurden. Der neue Versuch, den Klimawandel zu mäßigen war das Pariser Abkommen im Jahre 2016, welche von 195 Staaten akzeptiert und bis 2020 auch ratifiziert wurde. (Obwohl der amerikanische Präsident, Donald Trump, das Abkommen aufkündigte, des neuen Präsidenten Joe Bidens erster Akt war der erneute Beitritt zu den dort festgelegten Vereinbarungen.)

Gesetztes Ziel des Pariser Abkommens (vom Jahre 2015) war die Temperaturgrenze möglichst unter +1,5 Grad Celsius zu halten und sich auf andere, erneuerbare Energiequelle umzustellen. Wenn nämlich der Ausstoß von Treibhausgasen nicht drastisch zurückgeschraubt wird, kann es bis auf 2, 3, oder gar 4 Celsius Grad ansteigen. Bei +6 Grad Celsius wird die Erde für Menschen völlig unbewohnbar.

Wie ist dieses Ziel zu erreichen? Das Abkommen sieht nationale Klimaaktionspläne vor, um die entsprechende Senkung der Treibhausgas-Emissionen einzuhalten. Bis 2030 sollte jährlich 7,6 % Emissions-Senkung statfinden. Eine Umstellung auf erneuerbare Energiequellen sollte jedes Jahr verdoppelt werden. Für diese Energiewende – hin zur Solar-, Wind- und anderer Energiequellen, wie Hydrogen als Brennstoff – sollten von Regierungen und private Unternehmen milliardenhohe Fonds bereitgestellt werden. Diese Umstellung sollte bis 2040 abgeschlossen sein.

Förderung von Klimaresistenz wie Aufforstung von Wäldern, Steigerung von Energieeffizienz in Anwendungen ist nicht weniger wichtig. Die Landwirtschaft muss sich auch an die Verschiebung von Klimazonen anpassen. Neben der Senkung der Emissionen ist auch der Abbau von früher emittierten Treibhausgase möglich geworden – dafür gibt es schon technische Einrichtungen, die Kohlendioxid und Methan aus der Luft entfernen und lagern oder aufarbeiten können. (Eine solche Einrichtung ist eben in Island in Betrieb gesetzt worden.)

Die nächsten Jahre sind kritisch in Bezug auf die Einhaltung des Abkommens. Bis 2025 wird die Spitze der Emissionen erreicht, danach soll sie bis 2030 um die 46 % gesenkt werden. Das sind realistische Zielsetzungen, wenn alle Programme durchgeführt würden. Bis dann wird die Aufwärmung zwar weiter andauern, aber auf lange Sicht kann das Klima stabilisiert werden, falls die Emission bis 2050 auf Null reduziert wird. Für +2 Grad Celsius liegt diese Grenze bei 2070, wenn nur bis 2030 die Emission wenigstens um einen Viertel sinkt.

Unsere Lage ist also nicht hoffnungslos, und es ist weitgehend falsch und defätistisch, über den Untergang der Menschheit zu phantasieren. Allerdings können katastrophale Entwicklungen nicht vermieden werden, falls die Staaten den Versprechungen im Abkommen nicht folgen. Ein Kontrollmechanismus ist eingebaut in den periodischen Folgemeldungen, für welche der UN IPCC (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, auf Deutsch auch Weltklimarat genannt) verantwortet. Ihrer letzten Meldung (von Februar 2022) zufolge kann die Welt die Höhe von 1,5 Grad Celsius in den nächsten zwei Jahrzehnt erreichen, aber nur eine drastische Kürzung der Carbon- Emission kann die Umweltkatastrophe ganz verhindern. In den ersten zwei Jahren der Covid-19.Epidemie ist zwar die Emission leicht zurückgegangen, aber seitdem erhöht sie sich wieder. Inzwischen laufen weltweit Programme der Umstellung auf neue Energiequellen; gerade gestern konnte in den USA ein entsprechender Plan durch den Kongress durchgeprescht werden. Der Krieg in der Ukraine kann zwar diese Umstellung einstweilen bremsen, aber auf lange Sicht kann der Krieg – paradoxerweise – gerade zur schnelleren Beseitigung der Abhängigkeit von fossiler Energie führen und die Umstellung auf „grüne“ Energie noch beschleunigen.

Nach einer Aussage von Meteorologen mag der jetzige Sommer, verglichen mit der Vergangenheit, als außerordentlich dünken – mit Blick auf die Zukunft kann er jedoch sich als der kühlste in unserem weiteren Leben erweisen – angenommen, wir tun nichts dagegen. Und das ist nun vor allem auch eine politische Frage des Wollens. Um den Klimawandel zu bremsen und ihre Folgen zu bewältigen braucht es wohl auch einen Wandel im politischen Klima. Wie einmal Winston Churchill sagte, auch Politiker sind zu rationalen Entscheidungen fähig – nachdem sie alle anderen Optionen ausprobiert hatten… Das gibt Grund für Hoffnung.

Bild: https://www.flickr.com/photos/140988606@N08/46695506094

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