Von Maria Bencze-Tóth
Das Budaörser Heimatbuch, zusammengestellt von Dr. Franz Riedl, erschien 1952 in der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Gründung der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung in Wudersch 1994 konnte die Wiederbelebung der deutschen kulturellen Traditionen beginnen. Von den seit 2000 herausgegebenen zahlreichen Publikationen war ein Buch von besonderer Bedeutung: Das Budaörser Heimatbuch konnte 2008 erscheinen – eine Neuauflage mit der ungarischen Übersetzung. Die Familie Frank hat sich besonders dafür eingesetzt, die ungarische Übersetzung stammt von unserer Direktorin des Heimatmuseums. In diesem anspruchsvoll gestalteten Buch können wir den Originaltext des Ansiedlungsvertrags lesen, der 1721 zwischen der Gräfin Susannne Zichy geborene Bercsényi und den deutschen Siedlern geschlossen wurde. Das geschah also vor 300 Jahren. Wir werden diesen Vertrag ein wenig näher studieren, zunächst aber einen Rückblick machen: 1686 wurde Ofen/Buda durch kaiserliche Truppen von den Türken zurückerobert, so lernten wir das im Geschichtsunterricht. Drei Jahre davor, 1683 begann der Großwesir Kara Mustafa mit einem Heer von etwa 150.000 Soldaten den Vormarsch in Richtung Wien. Die kaiserlichen Truppen standen unter der Führung von Herzog Karl von Lothringen, an seiner Seite ein Teil der Ungarn, vor allem aus dem Hochadel die Esterházys, Pálffys, Batthyánys, Széchenyis. In Oberungarn waren Thököly und seine Kuruzzen gegen die kaiserlichen Truppen. Der polnische König Jan III. Sobieski kam mit 30 000 Mann. Papst Innozenz XI. brachte den polnischen König dazu, sich mit dem Kaiser gegen die Türken zu verbünden.
Dieser Papst hatte die große Bedrohung des Abendlandes durch das Osmanische Reich erkannt und so wurde auf seinen Druck hin die Allianz im März 1683 unterzeichnet: In den kaiserlichen Streitkräften kämpften also Polen, Bayern, Sachsen, Schwaben und Franken – und in einer erbitterten Schlacht zwangen sie gemeinsam die Türken zur Flucht.
Nach diesem Sieg über das osmanische Heer fassten Kaiser Leopold I. (1658-1705), der polnische König Jan III. Sobieski sowie die Kurfürsten von Bayern und Sachsen den Entschluss, das türkische Heer zu verfolgen und die von den Türken besetzten Teile Ungarns zu befreien. Das Ziel wurde erreicht, aber erst nach harten und wechselvollen 16 Jahren!
Der 2. September 1686 brachte einen bedeutenden militärischen Erfolg mit der Einnahme Ofens. Die Türken hatten die Festung seit 1684 mit großer Hartnäckigkeit verteidigt. Im Heer der Verbündeten – unter ihnen eine starke ungarische Truppe – befanden sich internationale Kräfte aus den katholischen sowie protestantischen Gebieten Europas. Auch die hervorragenden Heerführer Herzog Karl V. von Lothringen, Markgraf Ludwig von Baden, Kurfürst Maximilian II. Emanuel von Bayern oder Prinz Eugen von Savoyen demonstrieren die europäischen Bemühungen. Der Krieg war aber noch nicht zu Ende. Das Osmanische Reich gab sich nicht geschlagen, im Süden des Landes kam es 1687 im August zu einer weiteren blutigen Schlacht bei Nagyharsány in der Nähe von Mohatsch. Den endgültigen Sieg errang 1697 Prinz Eugen von Savoyen bei Senta, die Türken waren nun zu Friedensverhandlungen bereit. Nach mehreren Monaten kam es zum Vertrag von Karlowitz: Ungarn war frei, nicht aber das Banat.
Wie war dieser Sieg möglich? In den Geschichtsbüchern für den Schulunterricht wurde dieser Tatsache wenig Aufmerksamkeit geschenkt, während meines Studiums in den 1960er Jahren war es unerwünscht das 1928 erstmals und dann noch bis 1939 fünfmal verlegte Werk von den damals hoch anerkannten Historikern Gyula Szekfű und Bálint Hóman (Magyar történet / Ungarische Geschichte in 5 Bänden) zu erwähnen oder etwa zu studieren. Aus diesem Werk (Band 4) möchte ich zitieren – zu der oben gestellten Frage. Es war ein über den Nationen stehendes internationales „Unternehmen”, an dem Protestanten aus England, Schottland, Dänemark, Schweden sowie der Initiative des Papstes zufolge, Italiener und in größter Zahl Deutsche teilnahmen:
’’A pápaság kezdeményező és vezető, a német birodalom végrehajtó szerepet töltött be és kétségtelen hogy Magyarország visszafoglalásáért a német nép saját fiainak hekatombáival áldozott (….) A magyar királyság területének helyreállítása mindvégig emberirtó, gyilkos harcok között folyt le, s a harcosok, valamint a halottak közt túlnyomórész, legalább 50-60% német volt: bajorok, svábok, rajnaiak, hannoveriak, poroszok (….) A németség e nagy erőfeszítését az akkori államrendszer kereteiben abszolutisztikus fejedelmei irányították, akik addig nem bocsátották katonáikat a visszafoglaló háborúkba, míg Lipót császártól hosszas alkudozásokban, nagy anyagi előnyöket nem szereztek maguknak.’’ (Das Papsttum nahm eine initiatorische und führende Rolle ein, das Deutsche Reich hingegen eine ausführende und es ist Fakt, dass das deutsche Volk für die Rückeroberung Ungarns einen hohen Blutzoll gezahlt hat. (…) Die Wiederherstellung des Territoriums des Königreichs Ungarn war stets von mörderischen Kämpfen begleitet, unter den Kämpfern und Toten betrug der Anteil der Deutschen 50-60 %: Bayern, Schwaben, Rheinländer, Hannoveraner, Preußen (…) Diese großen Anstrengungen des Deutschtums wurden von den im damaligen Sinne absolutistischen Fürsten angeführt, die solange ihre Soldaten nicht in den Krieg ziehen ließen, bis sie sich von Kaiser Leopold nach langen Verhandlung materielle Vorteile verschaffen konnten.”)
Der Preis, den Ungarn dafür zahlen musste, war riesengroß, die Verwüstung war unermesslich, die hier stationierten Streitkräfte schonten weder die Bevölkerung noch ihre Häuser mit Hab und Gut. Raub- und Mordfälle gab es dauernd.
Der Wiener Hof führte Ungarn gegenüber seit 1670 eine „harte” Politik: Die hohen Steuerlasten sollten zu den Kriegskosten jährlich mit 4 Millionen Forint beitragen, es gab auch Pläne die Steuerfreiheit des ungarischen Adels abzuschaffen. Aufgrund des Waffenrechts wollte der Kaiser über den zurückeroberten Landesteil unbeschränkt verfügen. Es herrschte eine große Unzufriedenheit, was letzten Endes zum Freiheitkampf von Ferenc II. Rákóczi führte: Weitere acht Jahre waren von Zerstörung und Entvölkerung geprägt. Erst 1711 mit dem Sathmarer Frieden setzte endlich eine lange Friedensperiode ein. Es musste wahrhaft von Neuem begonnen werden.
Während der Türkenkriege hatte sich der Wiener Hof natürlich schon Gedanken gemacht, wie Ungarn nach der Befreiung von den Osmanen aussehen sollte, was Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Militär betrifft. Leopold I. ließ 1688 eine Kommission unter der Leitung des Bischofs von Raab/Győr, Leopold Kollonich, aufstellen. In anderthalb Jahren wurde ein Dokument von ca. 500 Seiten erstellt, das war das Einrichtungswerk des Königreichs Ungarn. Es handelte sich darin um den Wiederaufbau des Landes im wirtschaftlichen Bereich; Handel und Industrie wurden entsprechend den merkantilischen Gesichtspunkten hervorgehoben.
Kollonich vertrat die Meinung, der Wiederaufbau solle durch eine gesteuerte Ansiedlung verwirklicht werden. Diese Impopulation sollte die ungarische Entwicklung über hundert Jahre bedeutend beeinflussen. Kollonich konnte sich nicht durchsetzen und ging nach Rom.
Wie sollte die Neueinrichtung des Landes vor sich gehen? Man kann sagen, dass es zwischen 1686 und 1711 eine Übergangszeit für die Grundlegung der Richtlinien zur politischen und wirtschaftlichen Konsolidation des Ungarischen Königreichs gab. Dabei spielte eine bedeutende Rolle die Besiedlung der neuerworbenen Gebiete durch Deutsche und auch andere Volksgruppen wie Slowaken, Serben oder Rumänen. Für unser Thema ist die organisierte Ansiedlung interessant. In dem von den Türken befreiten zentralen Landesteil kam es zu einer Rückwanderung von Ungarn, von Norden kamen viele Slowaken und ließen sich hier nieder.
Es kam zur Einwanderung großer Massen von rumänischen Bauern und Hirten im Osten und im Süden die von Serben, letztere führte ihr Patriarch an. Sie machten dem Kaiser ein Angebot: Wenn sie in von den Türken befreite ungarische Gebiete einwandern dürfen, sind sie bereit an den kaiserlichen Befreiungskämpfen teilzunehmen. Leopold I. bekräftigte ihre Privilegien, was ihre orthodoxe Kirche betrifft: Sie mussten also keinen Zehnt zahlen, waren entweder Grenzwächter oder hielten Vieh, waren also keine Bauern. An der Donau entlang gründeten sie ihre Siedlungen z.B. Ráckeve, St. Andrä/Szentendre, Komorn/Komárom oder Raab; sie waren gute Geschäftsleute, vor allem Weinhändler.
Nach der Vertreibung des Türkenheeres aus Ofen 1686 begann gleich der Wiederaufbau. Für die Bauarbeiten wurden viele Handwerker aus den Erbländern angesiedelt, gleichzeitig wurden im Ofner Bergland viele Ortschaften neubesiedelt mit Bauern; überwiegend waren es deutsche Bauern. Sie sollten die Bevölkerung und das Söldnerheer mit Lebensmitteln versorgen.
Im Jahre 1689 erschien die kaiserliche Siedlungsverordnung (das Impopulationspatent): Darin wurden die Grundprinzipien festgelegt, die beim Schließen eines Ansiedlungsvertrages berücksichtigt werden mussten. Ein Jahr später bestimmte ein kaiserliches Patent die Normen, nach denen die von der Hofkammer aufgestellte Commission de Neoacquistica die Verteilung und Enteignung der Grundbesitze durchführen musste. Jede adelige Familie und auch die Kirche – Bischöfe und Klöster – mussten ihr altes Besitzrecht mit Dokumenten bestätigen lassen und nachdem die Kriegssteuer bezahlt war, bekamen sie ihren Besitz zurück. Neue Grundherren waren oft Fremde, die für ihre Verdienste mit Besitztümern belohnt wurden. Die Großgrundbesitzer und auch die kirchlichen Orden wollten Siedler.
Wudigess/Budakeszi wurde 1698 von Peter Graf Zichy mit Deutschen besiedelt, die Ofner Jesuiten schlossen 1701 mit den deutschen Ansiedlern in Großturwall/Törökbálint einen Vertrag. In Werischwar/Pilisvörösvár tauchten schon 1689 fünf schwäbische Bauernfamilien auf.
Eine feste Ansiedlung gab es in Wudersch erst später. Bekannt ist, dass Peter Graf Zichy einen Vertrag mit den deutschen Ansiedlern in Wudigess schloss (1701).
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Was wissen wir über die Zichys? 1659 erhielt István Zichy von Leopold I. die Altofner und Plintenburger Herrschaften als gemischte königliche Donation (Schenkung), dazu gehörte auch Wudersch. Seine Söhne Pál und István bekleideten hohe Ämter und der Sohn von István, Péter, war bei Kaiser Josef I. besonders beliebt. Den Grafentitel erhielt der Vater 1676, als sein Sohn erst zwei Jahre alt war. Péter Graf Zichy besaß schon ein großes Vermögen, das wirtschaftlich nicht immer stabil war, so kam es oft zu Pachtverträgen. Seine erste Gattin hieß Klara Homonnay-Drugeth, sie starb sehr früh und die Schwiegermutter bestand darauf, dass der verwitwete Peter Zichy eine zweite Ehe nur aus der Familie der Homonnay–Drugeth schließen dürfe, sonst werde er enterbt. Der Graf war in großen finanziellen Schwierigkeiten. Da in der Homonnay–Drugeth-Familie keine große Nachkommenschaft zu finden war, konnte als die zukünftige Ehegattin nur die 16-jährige Novizin Susanna Bercsényi in Frage kommen: Ihre früh verstorbene Mutter war nämlich Kristina Homonnay-Drugeth. Peter Graf Zichy wandte sich an den Kaiser und an den Erzbischof von Gran/Esztergom, um die Eheerlaubnis zu bekommen. Auch der Papst musste seine Zustimmung geben, damit die 16-jährige Susanna aus dem Ursulinerorden austreten durfte. Im Jahre 1708 war alles geregelt und der Eheschließung stand nichts mehr im Wege. Im Jahre 1709 kam Sohn Miklós zur Welt. Zu dieser Zeit war Peter Graf Zichy gezwungen einen Pachtvertrag zu schließen, 1710 wurden Wudigess, Csék und Wudersch für 8 Jahre an Georg Christoph Zenneg, Rath und Kameralinspektor des ganzen Ofner Distrikts, verpachtet. Nach Ablauf der acht Jahre löste die Gattin des Grafen, Susanna Bercsényi, die drei Ortschaften zurück und die blieben bis zu ihrem Tode 1745 in ihrem Besitz. Sie übernahm die Verwaltung der Güter.
Die Gräfin schloss den Ansiedlungsvertrag mit den deutschen Siedlern. Die Grundherrin war sich im Klaren, dass ihr Besitz nur dann wertvoll werde, wenn arbeitstüchtige Leute sich dort ansiedeln würden: Das waren unsere deutschen Ahnen. Wudersch war in diesen Jahren bestimmt nicht unbewohnt, die Bevölkerung wechselte oft. Deutsche waren schon vor 1718 dort aufzufinden – sie waren also schon im Land bei anderen Grundherren -, zogen aber dann weiter; vielleicht hofften sie auf weitere steuerfreie Jahre. Es ist nicht geklärt, von wo unsere Siedlerahnen aus dem Deutschen Reich kamen, – aus dem Schwarzwald, aus Bayern, vom Donaugebiet, aus Sachsen oder Mähren? Der Herkunftsort wurde nicht aufgezeichnet, man kann aber annehmen, dass sie nicht nur aus einem einzigen Ort kamen. Nikolaus Zichy ließ nach der Pestepidemie 1739 (274 Opfer gab es in Wudersch!) neue Siedler ansiedeln – ca. 50 Familien vor allem aus Donaubayern. Ihre Mundart bestimmte später die Wuderscher Mundart, das Bayerische ist für uns bis heute sehr geläufig. Viele von uns empfinden die Mundart auch dem Wienerischen sehr ähnlich. Die Wörter werden in die Länge gezogen (Diphtonge + .. = Triphtonge)
Die Zichys hatten schon Anfang der 1700er Jahre Probleme mit ihrem Herrenrecht über Wudersch und Csék. Die Besitzurkunde bekam die männliche Linie der Zichys von Leopold I. für ewig. Mit Miklós Zichy starb aber der männliche Zweig 1756 aus und nach langen Prozessen kam Wudersch im Jahre 1765 an die königliche Ungarische Kammer.
Die Wuderscher hatten den Zichys viel zu verdanken. Beide Gräfinnen und ihre Gatten, Graf Peter und Graf Nikolaus, fühlten sich verpflichtet das Wohl ihrer Untertanen zu hegen und zu pflegen. Sie unterstützten auch den Bau von Kirche und Schule. Die Zichys erwiesen viel Verständnis und Zuneigung und so konnte in unermüdlichen Leistungen eine Kulturlandschaft geschaffen werden. (Ihr Porträt ist auch heute noch hochinteressant: Susanne Bercsényi wurde 1691 geboren, also vor 330 Jahren. Ihre Mutter hieß Kristina Homonnay-Drugeth und starb mit 36 Jahren an der Geburt ihrer Tochter Susanne. Der anderthalb Jahre ältere Bruder László und Susanne wuchsen als Halbwaisen auf. Ihr Vater, Miklós Graf Bercsényi, wurde in den folgenden zwei Jahrzehnten neben Ferenc II. Rákóczi eine bedeutende Persönlichkeit, war meistens auf Reisen und sah seine Kinder kaum. Die kleine Susanne wurde schon sehr früh nach Pressburg zu den Ursulinerinnen gebracht, wo sie eine ausgezeichnete Erziehung und Bildung erhielt und als Novizin gedacht war. Aber es kam anders: Sie war 16 Jahre, als ihr Graf Peter Zichy, – er war 1674 geboren und früh verwitwet-, einen Heiratsantrag machte.)
Erinnerungen an diese Zeiten in Wudersch:
1.Türkensprung
2. Die Stadtbibliothek trägt den Namen der Gräfin. . 3. 3. Eine Gasse in der Nähe des Alten Friedhofs ist nach Peter Zichy benannt
4. Kirchenlied, das wir auch heute singen: „Maria breit deinen Mantel aus“
5. Lied aus der Ansiedlungszeit 2 Strophen:
Die Donau fließt und wieder fließt
Die Donau fließt und wieder fließt wohl Tag und Nacht zum Meer. Ein’ Well die andere weiterzieht, und keine siehst du mehr. All’ Frühjahr kehren d’ Schwälblein zurück, der Storch kommt wieder her, doch die gen Ungarn zogen sind, die kommen nimmermehr.
Das Ungarland ist’ s reichste Land, dort wächst viel Wein und Treid, so hat’ s in Günzburg man verkünd’t, die Schiff stehn schon bereit, dort geits viel Vieh und Fleisch und G’flüg, und taglang ist die Weid, wer jetzo zieht ins Ungarland, dem blüht die goldne Zeit.
Der Vortrag wurde im Rahmen der Historikertagung im September 2021 im Heimatmuseum Wudersch gehalten.