A pissl Schmonzl mit Georg Ritter

Die Geschichte einer Symbiose

Von Richard Guth

Der Begriff „smonca“ ist auf das jiddische „S(c)hmonze“ zurückzuführen und bedeutet „Geplauder“, wie die Moderatorin uns erklärt. Aber dennoch soll es nach der Gastgeberin, Gabriella Dohi, um wichtige Dinge gehen: in erster Linie um das Jüdischsein. „Smonca“ ist ein PodcastFormat des Mazsike, des Ungarisch-Jüdischen Kulturvereins (Magyar Zsidó Kulturális Egyesület), der 1989 als erste jüdische zivile Organisation gegründet wurde – der Aprilpodcast, also Audiobeitrag (Nummer 11), tanzte aber ein wenig aus der Reihe, aber wiederum doch nicht.

Exkurs: Da kommt mir meine schwäbische Großtante aus Werischwar/Pilisvörösvár in den Sinn, die im „vészkorszak”, also zur Zeit der Judenverfolgung 1944, einen Teppich in Empfang genommen hatte, der vom jüdischen Besitzer 1945, als es mit der Verfolgung vorbei war, wieder abgeholt wurde.

Über deutschjüdische Beziehungen ging es im Gespräch von Dohai mit dem Schaumarer Historiker, Archivar und Filmkritiker Dr. Georg Ritter. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand Ritters Dissertation „Oh, Vaterland, warum ließt du es geschehen?”, die auf 173 Interviews basiert. Den Satz entdeckte Ritter nach eigenen Angaben in der Gemeinde Woj/Baj, der von Aussiedlung und Vertreibung verschont blieb – der Historiker benutzte im Gespräch beide Begriffe gleichzeitig und begründete dies auch: Aussiedlung, vornehmlich ab Ende 1947, aus den Häusern in andere Häuser, andere Dörfer und andere Komitate und Vertreibung aus der Heimat, die eine vollständige Enteignung und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft beim Überqueren der ungarischen Grenze bedeutete.

Georg Ritters Dissertation gliedert sich in drei Teile:

1.) Krieg und Verschleppung,

2.) Vertreibung und

3.) das Geschehen in den 1950er, 60er und 70er Jahren.

Nach Einschätzung von Ritter waren alle drei gleichermaßen historisch einschneidend. Ritter unterstrich, dass sich die ländlich geprägte deutsche Bevölkerung über Arbeit definierte – und hier kamen Juden, „ein-zwei Familien je Gemeinde” ins Bild in den untersuchten „Kulturlandschaften” in Westungarn oder wie es Ritter nannte: vom Pilsner Gebirge bis Ostburgenland (wie von den Dortigen genannt) bzw. Wieselburg. Die Deutschen seien in erster Linie verkaufsorientierte Bauern – Landwirte – gewesen, die sich mit jüdischen Familien „verbündet“ hätten, um das Angebaute zu vermarkten. Die Juden hätten nach ein, zwei Generationen in den Dörfern Krämerläden eröffnet, wo man gegen Kredit einkaufen konnte. Diese Juden waren laut Ritter Teil der Gemeinschaft, was das Beispiel des jüdischen Friedhofs zu Deutschpilsen/Nagybörzsöny zeige kaum größer als ein Zimmer, abgezweigt vom evangelischen Friedhof. Interessant dabei sei die hohe Akzeptanz dieser (oft deutschsprachigen) jüdischen Mitbürger, denn selbst antisemitisch eingestellte Interviewpartner hätten sich lobend über sie vielfach Kreditgeber im Dorf geäußert. Ritter wies dabei auf die Besonderheit des Erbrechts hin, bei dem selbst noch in den 1940er Jahren der Zusammenhalt des Familienbesitzes im Vordergrund gestanden habe: So erbte der älteste Sohn 75 % des Besitzes, der nächste ein Viertel oder Geld; die anderen Kinder hätten beispielsweise priesterliche Berufe ergreifen sollen und die Mädchen hätten Mitgift erhalten. Mit Hilfe jüdischer Kreditgeber hätten dabei die zweitältesten Erben gepachteten Boden im Besitz eines Vorverkaufsrechts erwerben können, was in einer vom Adel geprägten ländlichen Gemeinschaft Aufstiegschancen geboten habe.

Bemerkenswert fand Ritter die Einschätzung des Verhältnisses zwischen den Deutschen und den Juden in den Kriegsjahren, mit nach Eindruck des Historikers Tendenzen zur „Vernebelung” oder gar Tabuisierung auch aus den historischen Erfahrungen der Folgezeit heraus. Zu den Orten der Interviews gehörten drei Gemeinden, wo es zu Massenmorden gekommen war: Kimling/Kimle, Pußtawam/Pusztavám und Wolfs/Balf. Die Interviewpartner betonten in den Gesprächen, so Ritter, stets die Bemühungen, die Juden vor Deportation und Arbeitsdienst zu bewahren, aber dennoch hätten viele zugeschaut. Auch habe es SS-Angehörige gegeben (Ritter hat vier ehemalige SSler interviewt), die Juden helfen wollten und die Konsequenzen trugen. Die Gründung des Volksbundes habe dabei eine Zäsur bedeutet: Gegründet um den Deutschunterricht zu fördern, in Ermangelung deutscher Schulen, habe er sich zu einer nationalsozialistischen Organisation entwickelt, die eine unrühmliche Rolle bei den SS-Zwangsrekrutierungen und bei der Deportation der Juden gespielt habe. Zurück zu Pußtawam: Hier habe eine Pfeilkreuzler oder SS-Division Juden, die mehrheitlich aus Nordostungarn stammten und im Dorf untergebracht waren, ermordet. Ihre Kleidungsstücke habe man in der Bevölkerung von Pußtawam und Moor/Mór (neben Ödenburg die zweite Stadt, wo Zeitzeugen befragt wurden) verteilt.

Interessante Details lieferte Georg Ritter zum Sinneswandel vieler Pfeilkreuzler zum Kommunismus, was beispielsweise das Wahlverhalten in der Gegend von Ofen zeige, aber auch wiederum zur gegenseitigen Hilfe, was Juden (insbesondere Kinder) vor der Deportation und Schwaben vor der Vertreibung rettete. Nach Erhebungen von Ritter gab es in acht von 44 Gemeinden Aktionen, die auf die Rettung von Juden abzielte. Dies zeige sich auch in der Familiengeschichte – der Großvater von Ritter war SS-Zwangsrekrutierter, der in einem Aluminiumwerk arbeitete, das viele jüdische Mitarbeiter hatte: Als Ritters Großvater nach der Rückkehr von der Front angezeigt worden sei, hätten ihm diese jüdischstämmigen (leitendenden) Angestellten geholfen. Auf der anderen Seite gab es auch Zeitzeugeninterviews, in denen man in Bezug auf die Verschleppung in die Sowjetunion von „jüdischer Rache” gesprochen habe, was mit einer gewissen „Opfernarrative” zu tun habe. Auch wenn es Lager für Deutsche gab, wie in Lendl/Lengyel und in Zanegg/Mosonszolnok, ist Ritter der Meinung, dass der Vergleich mit der Nazi-Vernichtungslagerhaft durch manche Zeitzeugen nicht Hand und Fuß habe, weil sie keinerlei Vorstellung und Informationen über das NS-Verbrechen gehabt hätten.

Der Historiker ging auch auf die zahlreichen Fälle ein, die als Heimatvertriebene nach Ungarn zurückgekehrt sind. Die Vertreibung habe für die Deutschen ein einschneidendes Erlebnis bedeutet. Dieser „Rauswurf” beförderte Verschwörungstheorien. Diese beruhten auf antisemitischen Stereotypen aus der Vorzeit.

Als Fazit sprach Georg Ritter von der Symbiose von Deutschen und Juden bis 1930, die die bäuerliche Gemeinschaft gegenüber Adel und Gentry gestärkt habe. Dieser Kosmos sei in den kommenden zwei-drei Jahrzehnten gänzlich zerstört worden.

Den Podcast können Sie hier nachhören (auf Ungarisch): https://mazsike.hu/podcast/11-adas-svabok-es-zsidok-ritter-gyorgy-tortenesz/#bovebben

Bild: Facebook-Seite von Georg Ritter

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