Vor 120 Jahren geboren – Ludwig (Lajos) Ordass‘ (Wolf) Leidensweg

Erstmalig erschienen am 5. Februar 2021 in der Zeitschrift „Országút“, Veröffentlichung in deutscher Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Chefredakteur Csongor Szerdahelyi, deutsche Übersetzung: Dora Herbert

Vor 120 Jahren, am 6. Februar 1901 ist der evangelische Bischof Lajos Ordass geboren, dessen Name bis zur Wende als Tabu galt, selbst in seiner eigenen Kirche.

Obgleich seine moralische Größe bereits 1944 sichtbar war! Der Geistliche, ein Banater Schwabe, schrieb am Tag der deutschen Besetzung von Ungarn in sein Tagebuch empört und bitter: „Ab dem heutigen Tag verwende ich außerhalb der offiziellen Verpflichtungen statt des Familiennamens ‚Wolf‘ den Namen ‚Ordass‘.” Während der Judenverfolgung – mit Hilfe seiner guten Verbindungen zur schwedischen Botschaft – nahm er an der Menschenrettung teil, später widerstand er der überhandnehmenden kommunistischen Macht.

Seine tatsächliche Beseitigung wurde mit einem Charaktermord vorbereitet. 1948 wurde er angeklagt, die ausländischen Unterstützungsleistungen nicht abgerechnet zu haben.

Die Anklage war nicht, dass er kritisch gegenüber dem bereits ausschließliche Macht anstrebenden Kommunisten sei (er war es übrigens), nicht einmal, dass er gegen die Verstaatlichung der kirchlichen Schulen protestiere (obwohl er das tat) oder dass er für die Autonomie der Kirche auftrete (natürlich trat er auf), – sondern dass er veruntreut habe.

Als bei Ordass die Hausdurchsuchung erfolgte, wurde „natürlich” der Kirchendiener als Zeuge beigezogen, um den Ruf des Bischofs auch in seiner eigenen Kirche zu ruinieren. Die Absicht war, einen Keil zwischen den Bischof und seine Pfarrer zu treiben, deshalb suchte man Kollaborateure. Charakteristisch ist, dass meistens Personen gefunden wurden, die während der braunen Diktatur sich verbrannt hatten und deshalb bereit waren, den Kommunisten dienlich zu sein. Den Bischof hielten sie in Hausarrest und gaben ihm ein Ultimatum: Er sollte zurücktreten. Als er dazu nicht bereit war, versuchten sie, ihn moralisch zu vernichten. Nach seiner Festnahme wurde er nicht in Untersuchungshaft genommen, sondern bewusst ins Gebäude der Wirtschaftspolizei gebracht.

Die Nachrichtentitel der damaligen Presse schrieben über den „Bischof und seine Devisenmachenschaften“. Die Söldnerliteraten grölten, die Justizgewalt der Volksdemokratie „bemühe sich um die Aufspürung der gesetzwidrigen Tat einer trügerischen, volksquälenden kirchlichen Verbrecherbande”. In der Hetzkampagne hatte das Hohnblatt ‚Pesti izé‘ mit einem Spottvers die Ehre des Bischofs mit Füßen getreten: „Szajrézni az Ordas jól tud, / Ha segélyt lop, másnak is jut” – Ordas kann ja sehr gut stibitzen / Klaut er die Spenden, gibt er auch and‘ren). Das andere Hohnblatt, „Ludas Matyi“, brachte eine niederträchtige Karikatur über ihn unter dem Titel:
„Er stahl sich in die Herzen der Gläubigen”.
Später trat das Gesudel auf das nächste Niveau. Ein Brief von einer angeblichen Witwe wurde verbreitet, wonach der „volksverratende Bischof” ihre dreizehnjährige Tochter mit der Franzosenkrankheit angesteckt haben soll.

„Ihre Untaten sind ohnegleichen”, – dröhnte die Presse über Ordass und seine Mitarbeiter. Man wollte sie auch mit der falschen Anschuldigung verunglimpfen, dass sie „für ihre teuren Prassereien Tausende ausgegeben”, die Spenden für den Wiederaufbau „zu ihren eigenen Machenschaften verwendet” hätten und Ordass aus öffentlichen Geldern eine Villa für sich gekauft hätte.

Nach der Vorbereitungsarbeit der Propaganda entstand die Anklageschrift „gegen die Leiter der evangelischen Kirche wegen Devisenmachenschaften und Unterschlagung”. Nach alledem ist es keine Überraschung, dass die Verhandlung vor dem „Wuchereigericht” lief. Ein schönes Beispiel der ökumenischen Solidarität war aber, dass der engagierte kalvinistische Anwalt, János Kardos, den Schutz von Ordass übernahm. Seine Rede, in der er seinen Glauben nicht versteckte, beendete er mit den Worten:

„Ich bitte um ein gerechtes Urteil, kein gnädiges, kein erbarmendes Urteil, weil Lajos Ordass das nicht nötig hat. Hat er Gnade nötig, so gilt das schöne Gedicht: »Bei seinem Jesus steht die Gnade bereit: Er wird sich direkt an ihn wenden.« Hier bitten wir um ein gerechtes Urteil.”

Auch Bischof Ordass hielt als letztes Wort eine bekennende Rede; er betonte, dass er auch unter den vor ihm „verschleierten” Umständen den Willen Gottes suche.
Das „Wuchereigericht” (welch‘ eine Benennung!) verurteilte den Bischof zu zwei Jahren Gefängnis. Seine zwei unmittelbaren Mitarbeiter, András Keken und György Kendeh, wurden ebenfalls gewaltsam verschleppt, in Kistarcsa interniert und ihrer Stellung enthoben.

Am 5. Oktober 1948 kam der Bischof ins Sammelgefängnis in Budapest. In der kleinen Zelle hatten auf dem Boden nur vier Matratzen Platz, darauf schliefen aber fünf oder sechs Menschen. Seine Bibel wurde ihm genommen. Nach sechs Wochen wurde er in schweren Fesseln auf einem Personenzug nach Segedin gebracht. Im Gefängnis ‚Stern‘ spannen die Gefangenen monatelang Hanf, nicht aber an einem äußeren Arbeitsplatz, sondern in der Zelle, wo tagsüber anstelle der Matratzen das Spinnrad aufgestellt wurde. Auch hier galt der „Arbeitswettbewerb”: Die „Priesterbrigade von Ordass” stand mit der Zigeunerbrigade in Wettbewerb.

Währenddessen hatten die verängstigten Leiter der lutheranischen Kirche die diktatartige Vereinbarung mit dem Staat unterzeichnet; diese hat das Leben der Kirche für lange Zeit geknebelt.

Die Regierung wollte Ordass unbedingt loswerden. Durch einen anderen Bischof, der ihn im Gefängnis besuchte, wollte man ihn zum Abdanken bewegen: Dafür wurden ihm Freisetzung und staatliche Rente versprochen,  sogar die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, kam in Frage. Ordass wies dieses Angebot zurück  aufgrund des Bibelwortes: „Man muss viel mehr Gott gehorchen als den Menschen.” Als er das angebotene Abkommen ablehnte, beteten die fünfzehn katholischen Priester im selben Gefängnis für ihn. Mit diesen Brüdern konnte er die Ökumene auf ganz besondere Art und Weise erleben. An Weihnachten 1949 hielt er mit seinen katholischen Priesterbrüdern gemeinsamen Gottesdienst in einer größeren Zelle. Da er keine Bibel hatte, zitierte Ordass die Weihnachtsgeschichte frei. In seiner Predigt sagte er – wie nachher aufgeschrieben – unter anderem:

„Ich behaupte vor euch mit stiller Überzeugung, dass wir zu sechszehnt jetzt lauter predigen als damals, als wir uns noch für freie Menschen hielten. Sogar halte ich es nicht für unmöglich, dass wir jetzt wahrer predigen als damals.”

Nach einer Weile wurde er ins Gefängnis in Waitzen verlegt, dort kam er in Einzelhaft. Um sein seelisches Gleichgewicht zu bewahren, lebte er nach strenger Tagesordnung: Morgens auf Englisch und abends auf Schwedisch hielt er Andachten für sich. In der Zwischenzeit rief er sich Kirchenlieder, Volkslieder, Literatur, lustige Geschichten und alte Begegnungen in Erinnerung, machte aus dem Gedächtnis Stenographieübungen und ging dann auf „Gemeindebesuche…

Während Ordass im Gefängnis setzte ihn das sogenannte Sonderdisziplinargericht seiner erpressten und beängstigten Kirche als Bischof ab – mit der Begründung, er könne seinen Dienst nicht ausüben . Diesen Beschluss erlebte Ordass als im Stich lassen und dies tat ihm mehr weh als all der Rufmord und die Gefangenschaft. Auch nachdem er freigelassen war, lebte er in Budapest kaltgestellt, praktisch in Hausarrest in seiner Wohnung in der Márvány-Gasse.

In der gegenüberliegenden Wohnung hatte die Geheimpolizei einen Überwachungsstützpunkt ausgebaut, sodass die Bewegungen von Ordass und etwaige Besucher beobachtet werden konnten.

Im politischen Brodeln des Sommers 1956 war es dann nicht mehr unvorstellbar, dass Ordass allmählich in den Dienst zurückkehre. Dazu trugen auch die Leiter der ausländischen Bruderkirchen bei, die die Rehabilitation des Bischofs entschlossen forderten.
Während dem Aufstand traten die kollaborierenden Bischöfe ab, so konnte Ordass zurückkehren. Mit großer Energie warf er sich in die Arbeit: Er organisierte nicht nur das Leben der freigewordenen Kirche und half die Spenden zum Ziel zu bringen, sondern auch  als besonders edle Geste  bot er dem früher mächtigen, nun aber sich herumdrückenden und Vergeltung fürchtenden Vorsitzenden des Staatlichen Kirchenamtes den Schutz seiner eigenen Wohnung

Am 31. Oktober konnte Ordass wieder an seinem Bischofssitz in der Kirche am Deák-Platz predigen. Vor dem Gottesdienst konnte er ein schönes Zeichen der Solidarität erleben: Ihm wurde die Trauerschleife überreicht, die man am Tag seiner Verhaftung am Altar der Kirche auf das Kreuz gehängt hatte.

Am 2. November hielt er eine Rundfunkrede von großer Wirkung. Er trat ein für den Aufstand und für die Freiheit der Kirche, bat aber auch um die Hilfe der ausländischen Bruderkirchen – in englischer, deutscher und schwedischer Sprache.
Nachdem der Aufstand niederschlagen worden war, kam es erst mit einer gewissen Verspätung zur Rückordnung in den Kirchen. 1957 war das Leben der lutheranischen Kirche von relativer Autonomie und Freiheit gekennzeichnet. Mit der Zeit gab es aber immer weniger Luft für Ordass. Zum zweiten Mal ging die berüchtigte Maschinerie an: erneuter Rufmord, dann Versuche der „Salamitaktik”, später die offenen Drohungen. Dem theologisch anspruchsvollen, mehrerer Sprachen mächtigen Ordass wurde der Ministerialkommissar Károly Grnák aufgedrängt, der die acht Klassen der Grundschule absolviert und eine Ausbildung als Maurer hatte  – diese war noch mit einer dreimonatigen Parteischule gekrönt.

Die kommunistische Macht stellte Ordass zum zweiten Mal mit einem rechtsbrechenden Beschluss beiseite. Bis zu seinem Tod im Jahre 1978 wartete noch eine Reihe erneuter Demütigungen auf ihn. Doch die Zeit hat Lajos Ordass bestätigt.

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!