„Meinen Glauben und Muttersprache kann mir niemand wegnehmen”

Die 87-jährige Katharina Binder-Ament berichtet teils im Elsässer Dialekt, teils auf Hochdeutsch über ihr Leben

Für die Veröffentlichung bearbeitet von Richard Guth

Vorbemerkungen

Im Januar erreichte mich über einen langjährigen Kollegen und Weggefährten ein Brief aus der Tolnau, adressiert an mich. Absender der Sendung war Katharina Ament, geborene Binder, wohnhaft in Hedjess/Hőgyész, Geburtsort unseres vor anderthalb Jahren mit 92 verstorbenen Freundes Franz Wesner. Frau Ament ist 1934 in Perin/Diósberény geboren und feierte in diesem Monat Juni ihren 87. Geburtstag. Anlass für sie, sich an mich zu wenden, war mein Artikel über das Elsass, das in Nummer 4/2020 erschienen ist. Die Familie von Frau Binder-Amend stammt nämlich  aus dem Elsass und spricht noch den alten Dialekt – Grund genug, um sie zu bitten, ein wenig über ihr Leben zu berichten, am besten im Dialekt. Das Ergebnis können Sie folgend lesen.

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Ich haß Khadi Ament. Mein Mann ist starwa 2012 Jahr. Ich wohn alla in eim Familienhaus. Hun an Sohn und a Tochtr. Drei Englkiner. Ich khann mich noch so ziemlich versorche. A Weib khummt jeden Tag (eine Fürsorgerin). Ti macht mr alles, was ich net khann. Einkafe, zum Doktr gehn, Einemsach (Arznei, „Sachen zum Einnehmen”, Red.) hole, Bett iwerziehn, die Wäsch aufhänge und noch alles, was ich net khann. Die Fürsorgerin khann kha Wort Teitsch. In dr Nachparschaft wohne 2-3 Weiwr, wu noch teitsch rete mit mir, Dialekt.

Mei Kinr rette ti Dialekt Sproch grad so wie ich. Wie sie kla warn, to hume gar net Ungrisch gekennt. To hat an Monat gedauert sein in Kindrgarte komme to hums glei Ungrisch gelernt und gerett.

Meine Eltern, eine Schwester hat(te) ich, mein lieber Mann und Großmutter Onkels, Tante, alles sind ausgestorben, die ganze Verwandtschaft. So bin ich allein in dem Sprichwort „krumpuchliche (krummer Buckel, Red.) Welt”, überhaupt, weil die ganze Welt voll ist mit dr Kronekrankheit. Muss immer im Zimmer bleiben, wo ich immer traurig bin. Die Kinr sein ausfloge. Die Arweit, khenne wenich kumme! Nor mit dr Nachprsweiwer khann ich rette im Telefon. To is mei Glick, dass 9 Witwe sein. Was khenne mir rette miteinander?

Wie es frieer war: Mir warn arm, awar klicklich, solang die Kinrjahr’ dauert. Ich sah immr: Mir hun dr Zwate Weltkrieg mitgemacht. Angst hatte mir auch schon von den Russe, weil die erwacksan  warn immer uf am Weg. Die Frauen mussten sich immer flüchten! Dann ist die Auswanderung khuma, ts a(uch) erlebt! Jest ist die Kronevirus, to humr jest Angst. Vielleicht nehmt uns amol mit von dr Welt. Mei Kroßmadr hat uns verzählt immr: Die Leit, wenn schlecht wärn, klawe nimmr und am End werde die Leit sterwe, dass nur so viel Leit bleiwe, was unerm an Schattepam (unter dem Schatten eines Baumes, Red.) Platz haben. Ich wert eire Stoor (Schnur, Red.) abschneid lass. Kanns umkleide: Die Röcke ausziehn, die Hose anziehn. Mit net hun wir ksat (Man wird nie satt, Red.), weil die Arme wera sich o ziche (weil die Armen werden sich anziehen, Red.) wie die Reiche und wern gehn wie die Narren. Viel Feuer und Regen khebs Verschwemmungen, durch Wasser und Wind wert Sommr sein, Sommr wert Wintr sein. Soviel Ungeziefer wern in dr Erd, die wern alles uffressen. Dr nock kumese (noch komme sie, Red.) an die Leit. Wadrn wern ihre Kinr umprin(g)e und Kinr ihre Eltern. Viele Krankheit gibt es, viel wern sterwe. Kroßmadr war im 1870 Jahr geboren. Wir als Kinr wollte tes net klawa. Heit ist alles wahr.

1947 kommen zwei junge Männer mit einem Papier: „Ihr seid auf den Listen, müsst raus aus dem Haus! Ihr seid Kriegsvrbechr!” Mein Vater saat, wohin selle mir khe? „In anr Stund messt ihr tha Haus verlasse!” Mer hun net getraut frohe. Ja, ist unser Noma uf am Papier? Mein Wadr warn 10 Schwistr. 5 sein starwa, 5 sein kroß wan. Mein Wadr is im Elternhaus gebliewe. Die Kwister (Geschwister, Red.) und alle warn schon fast geliewert. An gute Mann hat uns hie genumme: Waschape (Waschküche, Red.) 4 x 3 Meter; to sein mir hiekomme, Wadr, Madr, Kroßmadr, mei Schwestr mit 19 Jahr und ich mit 13 Jahr alt – 2 Bettr, 1 Tisch, 4 Stihl (Stühle, Red.) und 1 Kist (Trüge). Mir hats kha Bett getroffe. Dr Waschape (Waschküche, Red.) war uf, da war kha Tier und kha Fenster. 3 Monat hun wir tart gewohnt. Ich hun immer uf dr Kist (Trüge) geschlafen. Nu humr an Platz krie(g)t, to wa(r)n schun 3 Familie(n) gewohnt.

Ich war sehr fleißig und gut im Lernen. Ich habe nur 4 Klassen Deutsch gelernt. Aber die gotischen Buchstaben khann ich heute noch gut lesen. Da kam der Zweite Weltkrieg (die Russen), da sind wir nicht jeden Tag in die Schule gegangen. Die Lehrer mussten einrücken, da war khein deutscher Lehrer mehr. Eine Lehrerin ist khommen, wo kein Wort Deutsch konnte, nur Ungarisch! Damals waren nur 6 Klassen. Im selben Jahr kham es, 8 Klassen mussten wir lernen schon. Hätte wollen weiterlernen! Im Nachbarsdorf war eine polgári Schule. Ich hatte keine Kleidung, keine Schuhe, dann konnte ich nicht weiterlernen. Nur Holzklumba (Holzklumpe, Holzschuh, Red.)! Da sind wir in die Nachbardörfer gegangen: Szakály, Regöly, Pincehely usw. Morgen 5 Uhr weggegangen und abends vielmals 10 Uhr nach Haus gekommen! Taglohn war 6 Forint bei Tag und das Essen! Nächstes Jahr bin ich schon zu der Dreschmaschine gegangen. Genährt war ich sehr arm. Dann bin ich krank geworden und habe ein Jahr nichts Schweres arbeiten dürfen. Ich bin heute noch krank. Ich habe einen Glauben, Jesus und Maria haben mir immer geholfen. Mit meiner Familie haben wir drei Häuser gebaut (und umgebaut). Jest bin ich allein in einem Familienhaus. Zeit habe ich jest dazu. Ich schaue immer österreichische und deutsche Sendung(en). Katholisches Fernsehen, da kommen täglich 2-3 Messen, Gottesdienste – wo ich Interesse hab. Ich sage immer das Zitat: „Meinen Glauben und Muttersprache kann mir niemand wegnehmen.” Wir sind eine katholische Familie.

Und zum Schluss ein Gebet im Dialekt:

Im Gotts Noma schlaff khanna (schlafen gegangen)
14 Engl mitmr khane (gegangen)
Zwa zu dr Kop(f)ts. Zwa zu dr Fusset
Zwa zu dr rechte Seit, zwa zu dr linke Seit
Zwa solle mich wecke, zwa solle mich decke
Und zwa solle mich fiehre ins Himmelreich. Amen.

Bildquelle: http://www.zentrum.hu/hu/2015/10/harom-generacio-harom-megkozelites-2/

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